Das Ziel und der Weg: Die 2000-Watt-Gesellschaft

(Letzte Änderung 24.04.2007)

Bern, 20.04.2007 - EU-G8 Energieeffizienz-Konferenz, Rede Moritz Leuenberger

Am Anfang ist das Ziel

Politisches Wirken beginnt damit, sich Ziele zu setzen. Wer wüsste das besser als Europa? Visionäre haben sich mitten im kalten Krieg das Ziel gesetzt, ehemalige Erzfeinde zu versöhnen, den Kontinent so zu verflechten, dass ein Krieg nicht mehr möglich sein werde. Vor 50 Jahren haben sechs Staaten die Römer Verträge unterzeichnet.

Die UNO setzte sich das Ziel, bis 2015 die Armut auf der Welt zu halbieren.In Kyoto wurde das Ziel formuliert, die Treibhausgase um 5,2% zu reduzieren.Die Liste könnte fortgesetzt werden. Es gibt Sozialziele, es gibt Wachstumsziele, Wahlziele, Legislaturziele.

Wir krempeln nicht einfach blindlings die Ärmel hoch und spucken in die Hände. Bevor wir beginnen, die dicken Bretter der Politik zu bohren, nehmen wir zunächst Augenmass und bestimmen, wohin wir wollen. Wir setzen uns ein Ziel, das uns fordert, ein Ziel, das uns zwingt, alles Mögliche und alles Unmögliche zu unternehmen. Wenn wir sehen, dass ein Ziel erreicht werden muss, fragen wir nicht:

Ist das auch tatsächlich realistisch?“  Nein, wir sagen uns: „Wir werden dieses Ziel erreichen können, weil wir es erreichen müssen.“

So nehmen wir uns selber in Pflicht. 

Es war mutig, im Kyoto-Protokoll verbindliche Ziele für die Reduktion des CO2 festzulegen. Dank diesem Mut ist der Anstieg des CO2 Ausstosses in Europa und Japan tatsächlich gebremst worden. Dank diesem Ziel hat der CO2-Ausstoss heute einen Preis. Wer zuviel Kohlendioxid produziert und damit das Klima erwärmt, muss dafür bezahlen.

Doch wir wissen:

„Sich Ziele setzen ist nicht schwer, sie umzusetzen aber sehr“

  • Die Umsetzung dieses Prozesses in den verschiedenen Ländern, von der Ratifizierung des Protokolls über die Gesetzesvorlagen, war allerdings äusserst anspruchsvoll. Wie mancher Umweltminister biss sich die Zähne am Infrastruktur- oder Wirtschaftsminister aus.
  • Ich habe es in der Schweiz etwas einfacher, weil die Umwelt und die Infrastrukturen, wie Energie und Verkehr, im selben Ministerium vereint sind. Aber selbst in dieser komfortablen Lage musste ich die Erfahrung machen: Es ist eines, sich mutige Ziele zu setzen. Diese Ziele dann auch zu erreichen, ist etwas ganz anderes. 
  • Das Schweizer Volk hat in einer Abstimmung der Regierung eine äusserst weite Vorgabe gesetzt: den alpenquerenden Schwerverkehr auf der Strasse innert weniger Jahre auf 650'000 LKW jährlich zu halbieren (damals waren es 1,3 Mio LKW, die unser Land passierten). Umweltpolitische Motivationen waren dabei ausschlaggebend. Dieses Ziel umzusetzen erfordert schwierige Abstimmungen mit der EU und mit unseren Nachbarländern, internationale Verpflichtungen, wie technische Handelshemmnisse, stehen im Weg  und es sind vor allem zahlreiche Einzelmassnahmen notwendig, die ihrerseits alle wieder auf politische Schwierigkeiten stossen:
  • Wir müssen die Schienenkapazitäten erhöhen. Wir bauen zwei neue Eisenbahnbasistunnel – und wir müssen diese bezahlen.
  • Wir erheben deshalb eine Schwerverkehrsabgabe (MAUT), die auch von ausländischen Fahrzeugen bezahlt wird. Das gab viel Widerstand, die EU fürchtete eine Diskriminierung der ausländischen Transporteure.
  • Das schweizerische Transportgewerbe fürchtete um seine Wettbewerbsfähigkeit. Und so musste jeder Schritt immer wieder in Volksabstimmungen abgesegnet werden.
  • Wir sind noch längst nicht am Ziel. Aber der erste Basistunnel wird dieses Jahr eröffnet und es hat jedes Jahr weniger LKW auf der Strasse.

Ich nenne dieses Beispiel aus der Verkehrspolitik auch, um zu unterstreichen, dass Klimapolitik in allen Sektoren, in allen Ministerien umgesetzt werden muss.

Erst wenn es an die konkreten Massnahmen geht, zeigen sich die Interessenskonflikte. Erst dann zeigen sich die wahren Dilemmata:

  • Können wir Gaskraftwerke akzeptieren, obwohl damit der CO2-Ausstoss zunimmt? Heute wird der Strom in der Schweiz ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe produziert.
  • Hat denn die Atomenergie trotz all ihrer ungelösten Probleme und ihres Gefahrenpotenzials nicht wenigstens klimapolitische Vorteile?
  • Sollen wir unsere Wasserkraftwerke bis zum letzten Tropfen nutzen, auch wenn darunter Flora und Fauna leiden?

Die 2000-Watt-Gesellschaft

  • Die EU will 20% weniger CO2 ausstossen und jedes Jahr die Energieeffizienz um ein Prozent steigern.
  • Schweden peilt als erstes industrialisiertes Land bis 2020 – also innert 14 Jahren - den Ausstieg aus dem Erdöl an. Das Ziel ist, alle fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen.
  • Deutschland will den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromproduktion bis 2020 auf 20% erhöhen.
  • Kalifornien will die Emissionen bis 2020 um 25% senken und mit weiteren Bundesstaaten einen Handel mit Zertifikaten für die Emission von Kohlendioxid einrichten.

In der Schweiz haben wir auch ein Ziel, wobei ich präzisierend sagen muss: ein langfristiges Ziel, eine Vision, in der „Strategie der Nachhaltigkeit“ der Regierung festgehalten. Viele, darunter ich, haben sich zum Ziel gesetzt, dass dieses Ziel ein verbindliches werde. Es heisst „Die 2000-Watt-Gesellschaft“ und ist an der Hochschule in Zürich, der ETH, geboren. In den Köpfen von Forschern also.

Unsere politische Verantwortung soll es sein, diese Ideen umzusetzen. Wir wollen den Energieverbrauch jedes Einwohners um zwei Drittel verringern, auf 2000 Watt. Das entspricht dem durchschnittlichen Energieverbrauch eines Bewohners unseres Planeten.

Dieses Ziel wollen wir bis im Jahre 2100 erreichen.

Heute verbrauchen wir in Westeuropa rund 6000 Watt pro Kopf, in Äthiopien sind es nur 500 Watt, und in den USA 12'000 Watt.

Angesichts dieser Zahlen mag die 2000 Watt-Gesellschaft als unrealistisch erscheinen.

Doch die 2000-Watt-Technologie ist schon da. Ich habe kürzlich das neue Gebäude einer Forschungsanstalt besucht, das praktisch ohne äussere Energiezufuhr funktioniert – der Prototyp eines Nullenergiehauses. Man sieht ihm nichts an, es wurde mit herkömmlichen Materialien gebaut. Nur während der Weihnachtsferien wird es etwas kühler, weil es primär die Mitarbeiter, die Lampen und die Computer sind, die das Gebäude heizen. (Doch dieser Wärmeverlust wird wettgemacht durch die Weihnachtsbotschaft und die dadurch leuchtenden Herzen.) Der Bau dieses Nullenergiehaus kam übrigens nicht teurer als der Bau eines anderen Hauses.

Das Beispiel zeigt: Wir können die 2000 Watt-Gesellschaft verwirklichen, und zwar ohne Einbusse bei Mobilität und Komfort,

  • wenn wir nur die sparsamsten Geräte verwenden, wenn wir
  • beim Hausbau konsequent auf minimalen Energieverbrauch achten und wenn wir
  • die besten Technologien für den Verkehr anwenden.

Die Schwierigkeit, diese Standards durchzusetzen, liegt nicht an den Technologien selber. Diese sind vorhanden und sie sind marktreif. Aber sie sind heute oft noch teurer als herkömmliche Produkte. Das ist das Problem, denn unsere Wirtschaftssysteme beruhen auf dem gegenseitigen Austausch von Produkten.

  • Wenn wir solche Standards in der Schweiz vorschreiben wollen, protestiert unsere Wirtschaft, sie werde gegenüber der EU diskriminiert.
  • Wenn die EU ihrerseits Vorschriften erlassen will, wendet ihre Wirtschaft ein, gegenüber den USA ins Hintertreffen zu geraten.
  • Die USA wiederum müssen gegen die Konkurrenz aus Asien oder Lateinamerika antreten.

Immer dasselbe: „Ich möchte ja gerne, aber der Konkurrent zwingt mich leider…“

Diese Ausredenkaskade ist verantwortungslos. Wir alle sind voneinander abhängig. Das stimmt. Aber wir können nicht nur, wie das Wasser, stets dem tiefsten gemeinsamen Niveau entgegenplätschern. Wir dürfen uns nicht einfach mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner begnügen. Wir müssen vielmehr die grösste gemeinsame Verantwortung suchen.

Aus dieser Differenz folgern wir: Es genügen nicht die gemeinsamen Ziele. Es braucht auch den gemeinsamen Weg dorthin.

(Zugegeben, das ist jetzt ein etwas verwegener Satz aus einem Land, das nicht Mitglied der EU ist…Aber es hat ja auch Schweizer, die mir zuhören.)

Eine weltweite CO2-Abgabe

Worin besteht diese gemeinsame Verantwortung?

Um die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft zu verwirklichen, braucht es ganz verschiedene Ansätze:

  • Zunächst muss der Energieverbrauch sichtbar werden. Nur wenn die Konsumenten sehen, wie viel Energie die Geräte, die Fahrzeuge, die Wohnungen und die Gebäude verbrauchen, können sie eine echte Wahl treffen.
  • Es braucht Standards für Niedrig-Energie- und Passiv-Häuser und Deklarationspflichten auf allen Produkten.
  • Sodann braucht es den politischen Willen, diese Vision nicht zur Utopie verflüchtigen zu lassen, sondern die dicken Bretter zu bohren, also
  • Umsetzungspläne,
  • Energiesparprogramme,
  • das Null-Energie-Haus,
  • Wärmepumpen, Biogas,
  • das 3-Liter Auto,
  • Hybrid-Fahrzeuge.

Die Wirtschaft ist absolut in der Lage, diese Vorgaben zu erreichen. Und ist sie nicht willig, braucht es Gesetze.

Dennoch genügt das alles noch nicht. Es geht ja leider erst dann, wenn Energiesparen rentiert, die Wirtschaft muss davon profitieren, sonst werden sich immer diejenigen durchsetzen, die am Energieverbrauch verdienen. Das CO2 hat zwar heute einen Preis. Aber er ist nicht hoch genug.

Es braucht einen neuen Impuls, damit wir unsere Ziele erreichen. Eine weltweite Abgabe auf CO2 wäre ein solcher Impuls. Sie würde die fossile Energie weltweit verteuern und damit einen Anreiz schaffen, überall Energie zu sparen. Und sie würde alle Wirtschaftsträger gleich belasten.

Es wird nicht einfach sein, eine weltweite CO2-Abgabe einzuführen. Ich habe das soeben in der Schweiz erlebt: wir haben Jahre gebraucht, um vom Ziel einer CO2-Abgabe zum konkreten Beschluss zu kommen und es ist erst eine Abgabe auf Brennstoffen, nicht auf Treibstoffen, die hauptsächlich CO2 ausstossen.

Es wird tausend mal tausend Einwände geben. Aber: Die Klimaerwärmung wird in den nächsten Jahrzehnten gewaltige Kosten verursachen. Wir könnten mit einer weltweiten CO2-Abgabe zwei Dinge bewirken: die Klimaerwärmung bremsen und die Kosten der Prävention gegen die Schäden tragen, die wir nicht mehr verhindern können.  Wir wissen, dass mit steigendem Meeresspiegel ganze Küstenstriche untergehen werden, die meisten davon im Süden, der bisher zum Klimawandel am wenigsten beigetragen hat.

Wir sind alle voneinander abhängig. Es reichen nicht gemeinsame Ziele, sei das nun die 2000-Watt-Gesellschaft oder die Ziele der EU und von Kyoto, wir müssen auch einen gemeinsamen Weg gehen und uns zwingen, alles Mögliche und alles Unmögliche, das wir noch gar nicht kennen, zu unternehmen.

Wir dürfen nicht lang fragen, ist das auch tatsächlich realistisch? Wenn wir sehen, dass ein Ziel erreicht werden muss, sagen wir uns: Wir werden dieses Ziel erreichen können, weil wir es erreichen müssen.

Gemeinsam können wir das  schaffen, nach dem Vorbild der EU.  50 Jahre nach den Römer Verträgen  hat sie Unmögliches möglich gemacht.

Jetzt geht es nicht um weniger. Jetzt geht es um den Globus.


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