Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung – 3. Dezember 2015

Bern, 03.12.2015 - Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Es gilt das gesprochene Wort.

Wer arbeitet, bekommt am Ende des Monats einen Lohn. Arbeiten bedeutet aber mehr. Arbeiten heisst: Ich bin Teil eines Teams, habe Arbeitskolleginnen und -kollegen, kann mich mit einem Unternehmen und dessen Werten identifizieren. Eine Stelle bietet Aussicht auf Selbstständigkeit und Integration. Für viele Menschen mit einer Behinderung ist es jedoch ein unerreichbares Ziel, angestellt zu werden oder zu bleiben - ein Wunsch, dessen Erfüllung mit jeder erfolglosen Bewerbung und bitteren Erfahrung weiter in die Ferne rückt.

So erging es der blinden Übersetzerin mit einem Diplom der Universität Genf, die nach mehreren unbezahlten Praktika - in denen ihr immer ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde - über 200 Bewerbungen einreichen musste, bis sie endlich angestellt wurde. Oder dem erfahrenen und von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschätzten Schreiner, dem während einer Depression gekündigt wurde und der trotz Genesung und hervorragender Qualifikationen bisher keine Stelle mehr fand.

Die Schweiz hat im Jahr 2014 das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Damit anerkennt sie das Recht auf Arbeit, namentlich "das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird".

Unkenntnis und Furcht versperren diesen Menschen jedoch den Weg: Die Arbeitgeber befürchten, sie müssten allzu einschränkende Anpassungen vornehmen oder mit einer begrenzten Produktivität umgehen. Die Angestellten befürchten, sie würden überlastet oder wüssten nicht, wie sie die behinderten Mitarbeitenden aufnehmen oder sich ihnen gegenüber verhalten sollen. Diese Fragen sind berechtigt. Darauf gibt es, offen gesagt, nur eine Antwort: Es braucht die unermüdliche Sensibilisierungs- und Informationsarbeit der Behindertenorganisationen.

Die Anzahl der behinderten Personen in der Schweiz wird auf 1,2 Millionen geschätzt - alles andere als eine kleine Minderheit, wie manche denken! Es wäre vor allem falsch, auf die Kompetenzen und die Erfahrung so vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verzichten, die oft besonders motiviert und bestens ausgebildet sind.

Die ganze Gesellschaft und insbesondere die Arbeitswelt - selbstverständlich die Arbeitgeber, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - müssen sich öffnen und die behinderten Menschen unter einem neuen Blickwinkel betrachten: jenem ihrer beruflichen und menschlichen Kompetenzen. Natürlich stossen Menschen mit einer Behinderung manchmal an ihre Grenzen. So wie wir alle, nicht?

An diesem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung lade ich Sie alle ein: Machen Sie sich Gedanken über Ihr Arbeitsumfeld und über den Platz, den die Betroffenen darin haben. Fragen Sie sich kritisch: Was kann ich persönlich tun für mehr Chancengleichheit? Was kann ich tun, damit Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich in die Arbeitswelt einbezogen werden?


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