Den Menschenhandel gemeinsam mit anderen Staaten bekämpfen

Bern, 20.10.2016 - Grusswort von Bundesrätin Simonetta Sommaruga an der Interpol-Konferenz in Lugano. Es gilt das gesprochene Wort.

Geschätzte Interpol-Gemeinde
Sehr geehrter Herr Regierungsrat
Meine Damen und Herren

Es ist mir eine grosse Freude, heute bei Ihnen zu sein.

Eine Reise nach Lugano ist für mich immer auch eine Reise zurück in der Vergangenheit. Meine Familie stammt von hier, ich bin Bürgerin von Lugano, und ich verbinde mit dem Ort zahlreiche schöne Erinnerungen.

Bei der Anreise zu dieser Konferenz sind bei mir allerdings auch weniger erfreuliche Erinnerungen hochgekommen. Es sind Erinnerungen an eine Begegnung, die ich vor einigen Jahren mit einer damals jungen Frau hatte. Die Frau stammte aus Rumänien und war von einem Bekannten mit falschen Versprechen von zuhause fortgelockt worden. Über Umwege landete sie in der Schweiz, wo sie zur Prostitution gezwungen wurde. Sie hatte keine Papiere, und sie hatte niemanden, der ihr helfen konnte. Sie war deshalb ihren Peinigern vollständig ausgeliefert. Später konnte sie nach Rumänien zurückkehren. Doch ich fürchte, dass ihre Wunden nie geheilt sind.

Menschen wie sie gibt es zuhauf. Sie werden zur Arbeit gezwungen, ausgenutzt, herumgeschoben und wie Waren behandelt - ganz wie Leibeigene im Mittelalter. Dabei schreiben wir das Jahr 2016.

Fast eine Million Menschen sind allein in Europa Opfer von Menschenhandel. Diese Frauen und Männer werden täglich gedemütigt, sie werden sexuell ausgebeutet und als Arbeitskräfte ausgenützt.

Wir sehen diese Menschen kaum. Doch sie sind da.

Politische Initiativen

Ich finde diese Vorstellung nur schwer erträglich.

Ich habe deshalb verschiedene politische Initiativen ergriffen, um den Menschenhandel zu bekämpfen.

Die Schweiz hat 2012 einen ersten Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel verabschiedet. Wir haben die Prävention ausgebaut, die Strafverfolgung gestärkt, und den Opferschutz verbessert. Derzeit erarbeiten wir ein zweites Massnahmenpaket. Zudem hat die Schweiz die Europaratskonvention gegen Menschenhandel ratifiziert. All dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass wir diese Verbrechen nicht einfach hinnehmen dürfen.

Wie schwierig es ist, den Menschenhändlern das Handwerk zu legen, weiss allerdings niemand besser als Sie.

Wir haben es mit Opfern zu tun, die nicht von sich aus zur Polizei gehen. Sei es, weil sie sich vor der Rache ihrer Ausbeuter fürchten. Oder sei es, weil sie Angst haben, das Land verlassen zu müssen.

Um den Menschenhandel wirksam zu bekämpfen, braucht es deshalb nicht nur die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Es braucht eine Zusammenarbeit mit anderen Akteuren: mit den Migrationsbehörden, mit Nichtregierungsorganisationen, und mit Ärzten und Spitälern.

Vor allem braucht es aber eine internationale Zusammenarbeit.

Internationale Zusammenarbeit

Ich weiss, die politische Grosswetterlage geht heute in eine andere Richtung.

Statt internationaler Kooperation rufen viele Politiker nach nationalstaatlichen Lösungen. Viele meinen, jeder Staat könne die Probleme der Gegenwart am besten für sich allein angehen.

Ich bin überzeugt, dass all die Menschenhändler, Schlepperbanden und kriminellen Organisationen heimlich applaudieren, wenn sie solche Ideen hören. Für sie bedeutet weniger internationale Zusammenarbeit mehr Freiheit bei ihren kriminellen Aktivitäten. Ihnen ist es noch so recht, wenn jeder Staat alleine vor sich hin arbeitet. Denn Menschenhändler orientieren sich nicht an staatlichen Grenzen, sondern nur am Profit.

Doch wenn das Verbrechen international vorgeht, müssen dies auch die Ermittler tun können. Auch das weiss niemand besser als Sie. Deshalb ist es wichtig, dass Sie alle an dieser Interpolkonferenz zusammengekommen sind
Interpol verkörpert den Willen, über Landesgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.

Und Interpol demonstriert die Vorzüge internationaler Zusammenarbeit. Wenn sich die Opfer nicht von sich aus zu erkennen geben, braucht es andere Informationskanäle. Interpol ist ein solcher Kanal. Denn oft werden Opfer von Menschenhandel von ihren Familien als vermisst gemeldet. Via Interpol erhalten Behörden im Ausland Kenntnis von der Vermisstenmeldung und können eingreifen.

Wir haben erst kürzlich einen solchen Fall erlebt. Angehörige haben eine junge Frau aus Bulgarien vermisst. Die Angehörigen hatten Angst, dass die Frau in der Schweiz sexuell ausgebeutet werde. Dank Interpol haben wir die Frau hierzulande gefunden und befreit.

So funktioniert Zusammenarbeit ganz konkret.

Die drei Tage hier in Lugano bieten uns Gelegenheit, gemeinsame Strategien im Kampf gegen den Menschenhandel zu vertiefen. Nutzen wir die Gelegenheit. Nicht für uns. Sondern für die Opfer.

Wir sehen die Opfer zwar nicht. Doch die Frage, die sie uns stellen, steht unüberhörbar im Raum. Sie lautet: "Was tut Ihr für uns?"

Enttäuschen wir diese Menschen nicht.

Denn sie verdienen es, dass wir überzeugende Antworten finden.

Meine Damen und Herren

Es ist dem Bundesrat eine Ehre, dass diese wichtige Konferenz in der Schweiz stattfindet. Im Namen der Landesregierung überbringe ich Ihnen die besten Wünsche.

Abschliessen möchte ich mit einem Dank: Der Dank geht an den Kanton Tessin, der mitgeholfen hat, die Konferenz zu organisieren. Der Dank geht aber auch an Sie alle. Ihr Engagement gegen den Menschenhandel ist und bleibt bedeutend.

 


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