Eine samtene Integration

Bern, 18.12.2018 - Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga anlässlich der Einweihung der Gedenktafel für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Es gilt das gesprochene Wort.

Diesen Sommer habe ich einen schönen, vor allem einen starken Moment erlebt.

Ich war zusammen mit vielen Menschen der tschechischen und slowakischen Diaspora an einem Konzert im Schloss von Murten.

Die Janacek Philharmonie spielte « Mein Vaterland » von Bedrich Smetana. Nicht nur die Kulisse war zauberhaft. Auch die Musik hat uns tief berührt, die Erinnerungen an das, was damals, vor 50 Jahren - in eben diesem Vaterland geschehen war.

Auch heute erinnern wir uns an die Freiheit, welche die Tschechoslowakei damals gespürt hatte, und die aufs brutalste niedergeschlagen wurde.

Schweizer und Schweizerinnen waren zutiefst schockiert. Sie gingen auf die Strasse und zeigten ihre Solidarität. Auch der Bundesrat zeigte sich solidarisch. Er entschied, Tausende von tschechoslowakischen Flüchtlingen aufzunehmen.

Empfang und Integration

« Wir bewundern Euren Mut und Eure Tapferkeit! », hörte man in den Strassen. Der Empfang der Flüchtlinge war enthusiastisch und die rasche Integration verlief beispielhaft.

Klar, es war eine andere Zeit. Der Kommunismus war das Feindbild und die zusätzlichen Arbeitskräfte, die oft sehr gut ausgebildet waren, kamen in der Hochkonjunktur genau richtig.

Ihre humanitäre Seite zeigte die Schweiz nicht zum ersten Mal. Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn und die Boat People: auch sie waren Teil der schweizerischen humanitären Tradition.

Es ist gut, wenn wir uns heute, in einer Zeit, da das Thema Migration ganz Europa hypnotisiert - und destabilisiert - an unsere humanitäre Tradition erinnern.

Der Bundesrat hat in den letzten fünf Jahren rund 3500 Flüchtlinge vorwiegend aus dem Syrienkonflikt aufgenommen. Es sind besonders verletzliche Flüchtlinge, Frauen, Kinder, Familien, Kranke und ältere Menschen.
Die Kantone haben uns dabei stets unterstützt, und sie wollen es auch weiterhin tun.

Vorletzte Woche hat der Bundesrat deshalb entschieden, dass im nächsten Jahr erneut 800 Flüchtlinge im Rahmen von Resettlement in der Schweiz aufgenommen werden.
Es ist eine kleine Zahl, angesichts der grossen Bedürfnisse, aber es ist ein wichtiges Zeichen, dass unser Land sich seiner humanitären Tradition auch weiterhin verpflichtet fühlt.

Der Bundesrat will sich - zusammen mit den Kantonen - auch vermehrt um die Integration der Flüchtlinge bemühen.
Er wird seinen finanziellen Beitrag an die Kantone nächstes Jahr verdreifachen und damit beitragen, dass Flüchtlinge sich in unserem Land rasch zurechtfinden und sich in der Gesellschaft und im Arbeitsleben integrieren können.

Doch Integration lässt sich nicht verordnen. Was letztlich zählt, ist auch die Bereitschaft der Flüchtlinge selber, sich auf eine neue Kultur, auf die Menschen und ihre Gewohnheiten einzulassen.
Das haben die Tschechen und Slowaken erkannt. Sie haben sich von Anfang an um die Integration bemüht.

Bez Vás by naše země nebyla tím, čím je!

Bez Vás by naša krajina nebola tým čím je.

Ohne Sie wäre unser Land nicht, was es heute ist.

Auch kulturell hatten die tschechoslowakischen Flüchtlinge unserem Land viel zu bieten. Musik, Literatur, Film und Theater - sie gaben den Menschen in der Tschechoslowakei während Jahrzehnten den Zusammenhalt, den sie während ihrer bewegten Geschichte immer wieder brauchten.

Diese Kultur brachten die Flüchtlinge mit in die Schweiz. Und sie stiessen auf offene Ohren.

Kultur verbindet Menschen miteinander. Genau deswegen hat uns Smetanas „Vaterland" diesen Sommer wohl so verzaubert. Da war eine Sehnsucht drin, eine Sehnsucht nach Heimat, aber vielleicht auch eine Sehnsucht nach Zusammenhalt. Dieser Zusammenhalt ist wichtig, wichtig für uns alle, ob hier geboren oder hierher geflohen.

Ich danke Ihnen für alles, sehr geehrte Damen und Herren, und für diese Gedenktafel, die Sie hier, beim Staatssekretariat für Migration anbringen.

Sie erinnert uns an die Werte, für welche die Schweiz steht - vor 50 Jahren genauso wie heute.
Heute werden nur zu oft Grenzen geschlossen und Mauern gebaut, wenn es um Flüchtlinge geht. Um Flüchtlinge, wie jene aus der Tschechoslowakei, die vor 50 Jahren zu uns gekommen sind auf der Suche nach Freiheit und nach Sicherheit.


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