Humanitäre Aufnahme von Personen aus Afghanistan in der Schweiz

Bern, 18.08.2021 - Medienkonferenz zur Lage in Afghanistan; Bundesrätin Karin Keller-Sutter - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Der Bundesrat blickt mit Sorge nach Afghanistan. Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Wochen dramatisch verändert und verschlechtert. Die Taliban haben am Wochenende weitgehend die Kontrolle über das Land übernommen, die aktuelle Situation ist mitunter chaotisch. Vor diesem Hintergrund haben wir rasch reagiert und geprüft, inwieweit wir Personen, die sich in Afghanistan in einer kritischen Situation befinden, im Rahmen einer humanitären Aktion in der Schweiz aufnehmen können.

Aufgrund ihrer Tätigkeit für die Schweiz sind die lokalen Angestellten des DEZA-Kooperationsbüros in Kabul möglicherweise einer Bedrohung ausgesetzt. Diese Mitarbeitenden könnten durch die Taliban als «westliche Kollaborateure» betrachtet werden und sind deshalb akut an Leib und Leben gefährdet. Ich habe die Medienkonferenz der Taliban gestern mit Interesse verfolgt.

Der Schweiz kommt als Arbeitgeberin eine Fürsorgepflicht zu. Deshalb habe ich am vergangenen Freitag entschieden, die Aufnahme dieser rund 40 Personen und ihren engsten Familienangehörigen (Ehegatten und Kinder unter 18 Jahre) zu genehmigen. Insgesamt geht es um rund 230 Personen.

Ces Afghans qui travaillaient pour la Suisse et leurs familles seront transportés en Suisse dès que possible. Ils sont accueillis dans le cadre du contingent de réinstallation décidé par le Conseil fédéral en 2019. Ce contingent prévoit l'accueil d'un maximum de 800 personnes cette année.

Ich habe Verständnis dafür, dass angesichts der Lage in Afghanistan nun zunehmend auch in der Schweiz Forderungen laut werden, grössere Gruppen von Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Dies ist zur Zeit aber nicht möglich.

Einerseits sind die verschiedenen UNO-Organisationen daran, die unklare Informationslage zu erörtern, namentlich, ob und wie viele Menschen längerfristig Schutz brauchen und ob sie überhaupt umgesiedelt werden müssen.

Andererseits wäre eine solche Aktion auch gar nicht möglich, so instabil ist momentan die Lage in Afghanistan. Wir müssen also die weitere Entwicklung der allgemeinen Lage abwarten. Es ist auch jederzeit sicherzustellen, dass eine Einreise kontrolliert und mit den nötigen Überprüfungen erfolgen kann, etwa zur Frage, ob die Personen eine Gefahr für die Sicherheit unseres Landes darstellen.
Wir sind aber im ständigen Kontakt mit dem UNHCR, das die Umsiedlung besonders gefährdeter und schutzbedürftiger Flüchtlinge in sichere Drittstaaten weltweit organisiert und koordiniert. Für eine Aufnahme ins Resettlement-Programm müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein:

Das UNHCR muss die Flüchtlingseigenschaft und eine erhöhte Schutzbedürftigkeit anerkennen. Zweitens unterzieht das UNHCR alle potentiellen Resettlement-Flüchtlinge einer eingehenden Sicherheitsüberprüfung.

Für eine mögliche Aufnahme von Resettlement-Flüchtlingen in der Schweiz müssten noch zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein: Die Bereitschaft sich in der Schweiz zu integrieren und eine Sicherheitsprüfung durch den Nachrichtendienst des Bundes vor der Einreise.

Doch noch einmal: die Frage der Aufnahme von Resettlement-Flüchtlingen aus Afghanistan in der Schweiz stellt sich momentan nicht. Die Lage ist derzeit zu instabil. Das UNHCR hat die Bedürfnisse noch nicht erheben können. Man muss abwarten.

Nous sommes aussi en contact avec nos partenaires européens. Juste après cette conférence de presse, je participerai par vidéo-conférence à une séance extraordinaire des ministres de l'intérieur des pays Schengen. Cette séance a été convoquée pour parler de la situation préoccupante à la frontière entre la Biélorussie d'une part et la Lituanie, la Lettonie et la Pologne d'autre part. Mais il y sera certainement aussi question de Afghanistan. Der Aussenbeauftragte der Europäischen Union wird eine Einschätzung abgeben.

Ein Punkt ist mir wichtig: Weiterhin möglich ist selbstverständlich ein Gesuch um ein humanitäres Visum, wie es die Verordnung über die Einreise und die Visumserteilung vorsieht. Die Kriterien für die Ausstellung eines humanitären Visums sind klar:

Erstens muss eine unmittelbarere, konkrete und ernsthafte Gefährdung nachgewiesen werden.

Zweitens muss das Gesuch persönlich bei einer schweizerischen Auslandvertretung eingereicht werden. Die Schweiz verfügt über keine Vertretung in Afghanistan. Es ist daher davon auszugehen, dass die schweizerischen Auslandvertretungen in Iran, Pakistan, Tadschikistan oder Usbekistan in den kommenden Wochen mit Gesuchen rechnen müssen.

Zudem müssen Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller gemäss ständiger Praxis einen engen und aktuellen Bezug zur Schweiz haben.

Meine Damen und Herren,

Die politische Entwicklung in Afghanistan könnte zu grösseren Fluchtbewegungen aus dem Land führen. Davon betroffen wären wohl in erster Linie die Nachbarstaaten Pakistan und Iran. Die grosse Mehrheit der Geflohenen dürfte vorläufig dort bleiben. Daher müssen wir zunächst schauen, wie wir diese Staaten oder auch das UNHCR bei der Unterbringung und Versorgung dieser Flüchtlinge vor Ort am besten unterstützen können. Grössere Migrationsbewegungen in Richtung Europa sind deshalb nicht sofort zu erwarten. Die Weiterwanderung von Afghanistan nach Europa dauert oft Monate. Wenn es in letzter Zeit mehr Asylgesuche von afghanischen Staatsangehörigen gab, waren das Personen, die sich schon länger in Griechenland oder auf dem Balkan aufgehalten haben und im Zuge der Lockerungen der Pandemiemassnahmen nun in der Schweiz angekommen sind.

Priorität hat heute die bereits beschlossene Evakuierung der unmittelbar gefährdeten lokalen Angestellten der Schweiz und die Hilfe vor Ort. Wir werden die Entwicklungen in Afghanistan und in den angrenzenden Staaten aber natürlich weiterhin eng verfolgen.

Meine Damen und Herren ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 


Adresse für Rückfragen

Kommunikationsdienst EJPD, T +41 58 462 18 18


Herausgeber

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
http://www.ejpd.admin.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-90790.html