Interessen-Verknüpfung statt Interessen-Konflikt

Bern, 22.09.2021 - Rede Bundesrätin Simonetta Sommaruga Konferenz CE2, Kreislaufwirtschaft, Bern, 22. September 2021

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Geschätzte Anwesende

Eine meiner ersten Reisen im UVEK führte mich nach Dänemark. Es war mir ein Anliegen, dort auch die Küstenstadt Kalundborg zu besuchen mit ihrer berühmten Kreislaufwirtschaft. Vom Dach des «Blocks 5» hatten wir einen Überblick über die ganze «Symbiose» - so nennt sich das Gebilde, das von der Gipsfabrik über die verschiedenen Pipelines reicht, die Rohstoffe transportieren und Häuser im Ort wärmen. Die «Symbiose» schliesst dann auch noch eine Fischfarm mit ein. Das ist eindrücklich, 1:1 zu sehen, wie Kreislaufwirtschaft funktioniert. 

Ich habe dort mit der Leiterin Lisbeth Randers und ihren Fachleuten gesprochen und eines hat sich mir besonders eingeprägt: Dass es zu Beginn in Kalundborg nur um eines ging: Ums Geld, respektive um die finanziellen Vorteile. Erst mit den Jahren haben die Unternehmer realisiert, dass Kreislaufwirtschaft auch ein Gewinn ist für die Umwelt und die Menschen. Heute sind die «Kalundborger» stolz auf ihre «Symbiose» - und präsentieren sie gerne den Gästen aus der ganzen Welt.

Kreislaufwirtschaft ist nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein ökonomisches Projekt, und da liegt mit der Kreislaufwirtschaft noch sehr viel drin. 

Und von diesem dänischen Küstenstädtchen können wir auch einiges lernen. Die Entstehungsgeschichte ist allerdings eher ungewöhnlich. Denn die Symbiose in Kalundborg hat sich - mehr oder weniger - einfach so ergeben, ohne Plan. 

Wenn wir bei uns die Kreislaufwirtschaft voranbringen wollen, müssen wir aber gezielt vorgehen, mit Plan, und den Kreislauf wenn immer möglich von Beginn weg mitdenken. 

Und da spielt die Politik eine wichtige Rolle: Wichtig sind aus meiner Sicht verlässliche und förderliche Rahmenbedingungen. Aktuell ist dazu vieles im Tun, Kreislaufwirtschaft ist kein politischer Ladenhüter mehr. 

Im Gegenteil: mein Departement sorgt dafür, dass die vielen verschiedenen politischen Vorstösse koordiniert werden, dass die politischen Projekte vorankommen und wir möglichst rasch klare Rahmenbedingungen schaffen können. Das Parlament ist intensiv an der Arbeit, ich kann dem nicht vorgreifen, aber ich kann Ihnen versichern: meine Fachleute in den Bundesämtern unterstützen, wo sie können. Mein Ziel ist es, Hürden abzubauen und die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Wir wollen es der Bevölkerung erleichtern, Materialien, Rohstoffe und Produkte möglichst lange zu nutzen.

Das wird von den Kundinnen und Kunden auch immer mehr erwartet. Gleichzeitig machen wir alle die Erfahrung, dass das Wissen und das effektive Konsum-Verhalten im Alltag gelegentlich - zwei Paar Schuhe sind! Ökologisch leben ist manchmal aufwändiger, und man muss Entscheidungen treffen. 

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Was mir, seit ich im UVEK bin, viel stärker auffällt als früher: Überall stehen Baumaschinen, Kräne hier, Bagger dort. Mit den entsprechenden Folgen: Es fallen immense Mengen Bauschutt an. Im Hoch- und Tiefbau sind in der Schweiz bereits rund 3,5 Milliarden Tonnen Baustoffe verbaut. Jährlich kommen rund 60 Millionen Tonnen neue hinzu. Wir wissen heute zwar sehr präzise, wie wir Gebäude isolieren müssen und wie wir sie erneuerbar heizen. Wie wir aber mit der Bausubstanz umgehen - den Fensterrahmen, den Holzböden und den Stahlträgern - das war bisher zu wenig Thema. 

Zu den Aufgaben des Staates gehört nicht nur, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Zu den Aufgaben gehört es auch, zukunftsfähige Alternativen zu fördern. Ein Beispiel hierzu: Das ETH-Spinoff Oxara. Es entwickelt moderne Lehmprodukte. Mit einem Bindemittel erhält Lehm mehr Festigkeit. Wir unterstützen dieses Projekt, denn es hat das Potenzial, Beton teilweise zu ersetzen. 

Es ist wichtig, Innovationen wie diese – oder auch die Idee der kompostierbaren Batterie der EMPA – zu unterstützen, damit sie sich am Markt etablieren können.

Mir ist ebenfalls wichtig, dass der Staat eine Vorbildrolle einnimmt. Die Standards des ASTRA im Bereich des Asphaltbetons schreiben eine Wiederverwertung von bis zu 80 Prozent Recyclingasphalt vor! Ich kann Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen, wo das zum Tragen kommt: In wenigen Tagen ist der Spatenstich für die zweite Röhre des Gotthardtunnels. Dort wird rund ein Viertel des Ausbruchmaterials - das sind 1,8 Millionen Tonnen Baumaterial - wiederverwendet. Das schont Ressourcen und spart Platz in Deponien. 

Bauen darf nicht mehr als abgeschlossener Prozess angesehen werden. Wir schauen darum an, wie die Kreislaufwirtschaft in unsere Planungen und in die der Kantone einfliessen kann – denn wir wissen, das kann die Abbau- und Deponieplanung massgeblich entlasten und verbessern. Kalundborg lässt grüssen: die ökonomischen und ökologischen Gewinne sind unübersehbar.

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Eine Herausforderung bleiben die Kunststoffe. Plastik ist ein nützliches Material in vielen Bereichen der Wirtschaft, aber wir wissen auch, wie schädlich Plastik für die Umwelt sein kann. 

Bis vor wenigen Jahren wurden in der Schweiz täglich tausende Plastiksäcke in den Läden kurz gebraucht und dann entsorgt. Seit die sogenannten «Chräschel-Säcke an der Kasse etwas kosten, ist der Verbrauch innerhalb kürzester Zeit um fast 90 Prozent gesunken. Ich habe selber die Erfahrung gemacht: wenn der Verkäufer an der Kasse fragt, «Möchten Sie einen Plastiksack für 10 Rappen?», dann ist es nicht das Geld, das mich zurückschrecken lässt, sondern vielmehr das Bewusstsein, dass ich ebenso gut darauf verzichten kann, weil ich in der mitgebrachten Tasche noch genügend Platz habe, oder weil ich mir angewöhnt habe, meine eigene Einkaufstausche mitzubringen. Spannend, mit welch kleinen Eingriffen Verhaltensänderungen möglich sind. Das sollten wir uns auch für andere Bereiche merken!

Eine andere, ebenfalls erfolgreiche Geschichte, ist das Sammeln von PET-Flaschen. Aus unseren alten PET-Flaschen machen wir seit den 1990ger Jahren neue PET-Flaschen für Getränke. Wenn dies nicht mehr möglich ist, entstehen daraus Zelte oder Regenjacken. So behalten wir Kunststoffe im Kreislauf. Mit einer Recyclingquote von über 80 Prozent haben wir die EU-Ziele bereits übertroffen. Die Einwegplastik-Richtlinie der EU schreibt vor, dass bis im Jahr 2025 77 Prozent der PET-Getränkeflaschen gesammelt werden müssen. 

Im Einklang mit den EU-Richtlinien sind wir auch beim oxo-abbaubaren Kunststoff. Wir wollen verhindern, dass dieser sich in der Schweiz verbreitet. Denn er beinhaltet Zusatzstoffe, die dazu führen, dass der Kunststoff durch Hitze oder UV-Licht zwar zerfällt, aber nicht voll abgebaut wird. Es bleibt Mikroplastik im Boden und im Wasser, was wir nicht wollen. Voraussichtlich ab Oktober 2022 wird darum bei uns ein Verbot von oxo-abbaubarem Plastik in Kraft treten. 

Diese Schritte sind wichtig, sie genügen aber nicht, denn Plastik ist ein globales Problem, also müssen wir für die Lösung auch global denken.

Bis vor wenigen Monaten durften im Rahmen der sogenannten «Basel-Konvention» Kunststoffabfälle, die ohne gefährliche Stoffen auskamen, bewilligungsfrei aus der Schweiz zur Verwertung exportiert werden. Seit diesem Jahr ist dieser Export kontrollpflichtig. Doch das ist unzureichend.

Wir arbeiten auf internationaler Ebene deshalb sehr gezielt und engagiert auf eine Plastikkonvention hin. Wie wichtig griffige Massnahmen sind, habe ich bei meinem Besuch in Westafrika diesen Sommer gesehen: Wenn ein Land kein gut funktionierendes Abfallmanagement hat, wenn Abfälle nicht eingesammelt, getrennt, nicht wiederverwertetet oder sauber entsorgt werden, dann landen Abfälle wie Plastik unweigerlich in der Umwelt. Ich habe eine der grössten Abfallhalden Westafrikas in Accra gesehen und mit Kindern gesprochen, die in der Nähe dieser Müllhalde aufgewachsen sind: diese Bilder vergessen Sie nie mehr!

Deshalb engagiere ich mich für internationale Regeln, die bei den vielschichtigen Ursachen anpacken – der Produktion, Verwendung, der Vermeidung und der Entsorgung von Plastik – und eben auch dem Export dieser Produkte. 

Geschätzte Damen und Herren

Die Kreislaufwirtschaft hat enormes Potenzial. Wir können damit wir die natürlichen Ressourcen schonen. Wir können damit neue Einkommensmöglichkeiten erschliessen. Und neue Arbeitsmärkte. 

Belege dafür gibt es viele. Die Firma Designwerk beispielsweise, die unter Ihren Finalisten für den Green Business Award figuriert. Ich habe sie im Februar in Winterthur besucht und erfahren, wie sie vom Design ihrer klimafreundlichen Fahrzeuge über die Effizienz der Reifen bis hin zur Möglichkeit, die gebrauchten Elektrobatterien als Speicher einzusetzen, alles durchdenken. Aber nicht nur das: Das Unternehmen hat auch Arbeitsplätze geschaffen. Das war jetzt aber nicht die Laudatio für den Award. Der wird ja erst nachher vergeben und es entzieht sich meiner Kenntnis, wer ihn bekommt – aber gespannt bin ich natürlich schon!

Es gibt nämlich auch weitere tolle Unternehmen unter den Finalisten. Und sie alle zeigen uns: Mit der Kreislaufwirtschaft gewinnt man ökologisch, ökonomisch und sozial.

Gut zu wissen, dass wir auch in der Schweiz immer mehr «Kalundborgs» haben. Unternehmen, die auf Kreislaufwirtschaft setzen, die statt von Interessenkonflikten von Interessenverknüpfungen sprechen. «Shaping the future …» – so beginnt der Titel Ihrer heutigen Konferenz. Das entscheidende Wort steht am Schluss. Es heisst «…. together». Das ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz. 

Das tönt wie das Schlusswort – aber etwas habe ich noch.

Hier in der Arena sitzen Unternehmerinnen und Unternehmer, die etwas tun für die Kreislaufwirtschaft. Und damit tun sie auch etwas zur Erreichung des Klimaziels. Klimaschutz machen wir ja nicht nur mit dem CO2-Gesetz. Auch die Kreislaufwirtschaft bringt uns beim Klimaschutz vorwärts. Dafür möchte ich Ihnen danken: Wir brauchen alle Kräfte, die mitmachen – Sie leisten einen wichtigen Beitrag. Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Engagement!


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