Langfristiges Planen in unsicheren Zeiten

Bern, 08.09.2020 - Referat von Bundesrat Guy Parmelin Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung anlässlich des Sessionsanlasses Verband Immobilien Schweiz

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrte Damen und Herren National- und Ständeräte,

Sehr geehrte Damen und Herren

Vielen Dank für Ihre Einladung zum heutigen Treffen. Eigentlich hätte es ja bereits am 17. März stattfinden sollen. Leider kam das Coronavirus dazwischen. Covid19 hat unsere Lebens- und Arbeitsgewohnheiten ziemlich verändert, um nicht zu sagen «auf den Kopf gestellt». Das gilt übrigens nicht nur für Sie, sondern auch für uns Mitglieder des Bundesrates.

Umso mehr freue ich mich daher, dass dieser Anlass nun endlich stattfinden kann. Ich sehe darin so etwas wie einen Beweis für eine gewisse Rückkehr zur Normalität.

Die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate haben uns gezeigt, dass wir nicht auf alles vorbereitet sein können. Es hat aber auch gezeigt, dass wir unsere Entscheide so treffen sollten, dass sie sich auch unter stark veränderten Rahmenbedingungen bewähren.

Das ist bei Ihnen ja ähnlich: Wenn Sie Investitionsentscheide treffen, tun Sie dies – so hoffe ich – mit einer langfristigen Perspektive. Wohnungen, Gebäude oder ganze Überbauungen müssen sich auch in einer veränderten Welt bewähren. Gleichzeitig erwarten Sie aber von der Politik stabile Rahmenbedingungen – und dies durchaus zu Recht. Hüst und hott ist in der Politik selten ein guter Ratgeber. In der Wohnungs- und Immobilienpolitik erst recht nicht.

Noch vor einem halben Jahr hätte ich an dieser Stelle über die Wohnungspolitik und die kurz zuvor abgelehnte Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» gesprochen. Dazu komme ich später.

Inzwischen beschäftigt uns ein anderes Thema – die Geschäftsmieten. Sie wurden im Parlament auch schon als Saga bezeichnet. Sie wissen es: Das Parlament stimmte im vergangenen Juni zwei gleichlautenden Motionen zu und beauftragte damit den Bundesrat, gesetzgeberisch tätig zu werden. Der Bundesrat kommt diesem Auftrag nach und wird den Entwurf für ein Covid-19-Geschäftsmietegesetz wahrscheinlich bald verabschieden.

Sie wissen auch, dass der Bundesrat ursprünglich einen anderen Weg als dieses Gesetz bevorzugt hatte – den Weg über einvernehmliche Vereinbarungen zwischen den Parteien. Manche Vermieter kamen ihren Geschäftsmietern durchaus entgegen. Auch Ihr Verband spielte dabei eine konstruktive Rolle, wofür ich Ihnen herzlich danke. Aber dem Parlament waren die gefundenen Einigungen zu wenig zahlreich. Ob diese Einschätzung zutrifft, wird das Monitoring zeigen, das der Bundesrat dazu in Auftrag gegeben hat.

Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz wird sich voraussichtlich eng am Wortlaut der beiden Motionen orientieren. Es wird dann am Parlament sein, über das Gesetz zu entscheiden. Es ist als dringliches Bundesgesetz konzipiert und könnte im besten Fall Ende Dezember 2020 in Kraft treten.

Unabhängig davon, wie das Parlament über diesen Gesetzesentwurf entscheidet, scheint mir Folgendes wichtig: Gerade in solchen Krisensituationen zeigt sich, dass ein Miet- oder Pachtverhältnis dann gut und dauerhaft funktioniert, wenn die Vertragsparteien einander vertrauen. Und sie sollten gewillt sein, Probleme gemeinsam zu lösen.

Aber gerade im Mietrecht erlebe ich seit Jahren eine Situation, die von Blockaden und Misstrauen geprägt ist. Wäre es deshalb nicht an der Zeit, hier über neue Ansätze nachzudenken? Einen Diskussionsprozess in Gang zu bringen?

Zusammen mit dem Bundesamt für Wohnungswesen sind wir daran, erste Überlegungen in diese Richtung anzustellen. Ich hoffe sehr, dass Sie uns in diesen Bestrebungen unterstützen, einen ausgewogenen Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterinteressen zu finden!

Ich komme – wie angekündigt – zur Wohnungspolitik: Die mit 57,1 Prozent doch recht deutliche Ablehnung der Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» war eine Bestätigung der bisherigen Wohnungspolitik des Bundes.

Das Abstimmungsresultat war regional aber sehr unterschiedlich: Während die Vorlage in manchen Regionen haushoch verworfen wurde, stimmten vor allem städtische Gebiete zu. Zum Teil sehr deutlich. Auch in der französischsprachigen Schweiz erhielt die Initiative eine Mehrheit.

Das bestätigt, was ich während der Abstimmungskampagne häufig gesagt hatte: Die Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt sind regional unterschiedlich und müssen auch regional gelöst werden – von den betroffenen Kantonen und Städten. Das muss allerdings nicht heissen, dass sich der Bund zurückzieht und gar keine Rolle dabei spielt. Aber die Rolle des Bundes sehe ich eher subsidiär und unterstützend.

Klar ist nun aber auch: Der Fonds de Roulement zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus wird aufgestockt. Wie vom Parlament beschlossen, steht für die nächsten zehn Jahre ein neuer Rahmenkredit über 250 Millionen Franken zur Verfügung.

Sozusagen der Zwillingsbruder zum Fonds de Roulement sind die Eventualverpflichtungen für die Bürgschaften in der Wohnraumförderung. Der Bundesrat hat vor wenigen Tagen die Botschaft für einen neuen Rahmenkredit verabschiedet. Indem der Bund die Anleihen der Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger verbürgt, kann diese den Wohnbaugenossenschaften finanzielle Mittel zu vorteilhaften Bedingungen zur Verfügung stellen.

Mir ist klar, Bürgschaften und insbesondere Solidarbürgschaften sind ein heikles Thema – Stichwort Hochseeschifffahrt! Der Bundesrat hat die verschiedenen Arten von Bürgschaften genau analysiert und kam zum Schluss, dass einige Solidarbürgschaften nach wie vor sinnvoll sind. Eine davon ist jene in der Wohnraumförderung. Zugleich kann ich Ihnen versichern, dass wir die Risiken genauestens überprüft haben. Wir werden dies auch künftig in regelmässigen Abständen wieder tun. Ich hoffe, dass wir bei der Behandlung dieses Rahmenkredits ebenfalls auf Ihre Unterstützung zählen dürfen.

Meine Damen und Herren

Unabhängig von den konkreten politischen Geschäften steht Ihre Branche – so mein Eindruck – vor einigen grossen Herausforderungen. Lassen Sie mich die Themen kurz ansprechen:

  • Wir wollen und können nicht immer mehr Kulturland verbauen – deshalb müssen wir die Siedlungsentwicklung nach innen vorantreiben.
  • Unsere Gesellschaft wird immer älter – deshalb braucht es vermehrt Wohnraum, der sich flexibel an neue Anforderungen anpassen lässt.
  • Unsere Welt wird immer vernetzter und digitaler – deshalb sollten wir die Chancen der Digitalisierung auch im Wohnungswesen nutzen.
  • Der Gebäudesektor verursacht immer noch rund 26 Prozent der CO2-Emissionen in der Schweiz – deshalb gilt es, den Weg hin zu einer erneuerbaren und klimaverträglichen Wärmeversorgung und Bauweise fortzusetzen.
  • Nicht alle Bevölkerungsschichten finden eine für sie angemessene und bezahlbare Wohnung – deshalb bleibt auch das Thema der preisgünstigen Wohnungen wichtig.

Bei all diesen Themen brauchen wir die Zusammenarbeit mit Ihnen, mit der Immobilienwirtschaft. Sie investieren und geben damit vor, wie und was gebaut wird. Und ich erwarte von Ihnen – und bin überzeugt, dass Sie das bereits tun –, dass Sie diese Themen in Ihrer Tätigkeit berücksichtigen. Wichtig scheint mir dabei, dass wir uns immer wieder darüber austauschen, wie wir mit den genannten Herausforderungen für das Wohnen und die Immobilienwirtschaft umgehen wollen.

Erst vor einigen Monaten habe ich das Forschungsprogramm 2020 bis 2023 des BWO unterzeichnet. Ich bin überzeugt, dass die Themen, die wir darin definiert haben, auch für Sie interessant sind. Von besonderem Interesse für Sie scheinen mir zwei Themen zu sein. Ersteres steht unter dem Titel «Anpassung des Gebäude- und Wohnungsbestandes an veränderte Bedürfnisse» und das andere lautet «Attraktive Gebiete dank ausgewogenen Wohnungsmärkten». Das Forschungsprogramm wurde Ende März publiziert und ich kann Sie nur einladen, sich mit Eingaben daran zu beteiligen oder in anderer Form den fachlichen Austausch mit dem BWO zu suchen.

Das BWO steht seit Mitte März unter einer neuen Leitung und ich freue mich, dass der neue Direktor Martin Tschirren heute ebenfalls anwesend ist. Er übernahm das BWO in einer Transformationsphase. Wegen des stetigen Rückgangs alter Fördergeschäfte aus dem alten Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz – kurz: WEG – stellte sich seit einigen Jahren die Frage nach der längerfristigen Zukunft des BWO. Anfang Juni 2018 entschied der Bundesrat, das BWO als Bundesamt weiterzuführen. Querschnittsfunktionen wie Logistik, Informatik und Personaldienste waren mit anderen Bundesstellen zusammenzulegen. Da dies einfacher ist, wenn man geografisch am selben Ort ist, beschloss der Bundesrat zudem, das BWO bis spätestens Ende 2021 von Grenchen nach Bern zurückzuverlegen.

Dieser Prozess hat nun begonnen. Die Vorbereitungsarbeiten für den Umzug sind angelaufen – die Strukturreform ist auf Kurs.

Was bedeutet dies für das BWO? Die Aufgaben und Aktivitäten bleiben grundsätzlich unverändert. Die gesetzlichen Grundlagen und Aufgaben ändern ja nicht! Aber natürlich: Im Zusammenhang mit der nun bevorstehenden Transformation werde ich mit dem neuen Direktor auch die Organisationsstruktur und die Strategie des Bundesamtes anschauen. Dabei scheint mir ein Punkt klar: Wir brauchen das BWO als Kompetenzzentrum des Bundes für das Wohnen.

Abgesehen von den gesetzlichen Aufträgen, die es weiterhin zu erfüllen gilt, sollen hier die Fäden aller Themen zusammenlaufen, die für das Wohnen relevant sind. Und ich erachte es als wichtig, dass Sie sowie alle anderen Akteure im Bereich des Wohnens und der Immobilienwirtschaft im BWO einen kompetenten Ansprechpartner haben.

Kurz, das BWO soll mehr sein als ein Amt, das die bestehenden Förderinstrumente bewirtschaftet. Ich will ein BWO, das vorausdenkt und neue Themen aufgreift, das mit den Akteuren im Bereich des Wohnens und der Immobilienbranche in engem Austausch steht und natürlich auch die Kantone, Städte und Gemeinden in ihren wohnpolitischen Aktivitäten berät und unterstützt.

Meine Damen und Herren

Ich komme zum Schluss und möchte Ihnen danken. Danken dafür, dass Sie und Ihre Unternehmen in Immobilien in der Schweiz investieren und damit wesentlich dazu beitragen, dass das Wohnungsangebot in unserem Land insgesamt gut ist. Insbesondere institutionelle Investoren spielen für das Angebot von Mietwohnungen eine wichtige Rolle. Und Sie kommen auch oft zum Zug, wenn es bei grösseren Überbauungen einen finanzkräftigen Investor braucht. Ihr Anteil am Gesamtwohnungsmarkt ist seit 2000 denn auch gestiegen. Bestimmt hat dies unter anderem damit zu tun, dass wegen den tiefen Zinsen Investitionen in Immobilien derzeit sehr attraktiv sind. Dies selbst an Orten, wo die Nachfrage nach Wohnungen nicht oder sehr bescheiden ist.

Ich kann Ihnen nicht verhehlen, dass ich da manchmal Bedenken habe. Ich vertraue auf Sie, dass Sie Ihre Investitionsentscheide mit einer langfristigen Perspektive fällen – selbst wenn wir nicht wissen, wie die Welt in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren aussehen wird. Das Jahr 2020 hat uns ja deutlich gezeigt, wie schwierig es beispielsweise in einer Gesundheitskrise ist, zu sagen, was in zwei Wochen oder in einem Monat sein wird. Somit sind wir wohl alle etwas bescheidener geworden, wenn es darum geht, Prognosen für die Zukunft zu machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und bleiben Sie gesund.


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