Diesmal ganz Bio: SwissFEL macht Proteinstrukturen sichtbar

Villigen, 10.10.2018 - Für die Entwicklung neuer medizinischer Wirkstoffe ist die genaue Kenntnis biologischer Vorgänge im Körper Voraussetzung. Proteine spielen dabei eine entscheidende Rolle. Am Paul Scherrer Institut PSI hat jetzt der Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL sein starkes Licht erstmals auch auf Proteinkristalle gerichtet und damit deren Struktur sichtbar gemacht. Die besonderen Eigenschaften des Röntgenlasers ermöglichen völlig neuartige Experimente, bei denen man zusehen kann, wie sich Proteine bewegen und ihre Form verändern. Die neue Methode ist in der Schweiz nur am PSI möglich und wird künftig bei der Entdeckung neuer Medikamente helfen.

Weniger als zwei Jahre nach seiner Inbetriebnahme haben PSI-Forschende gemeinsam mit der Schweizer Firma leadXpro ihr erstes Experiment an biologischen Molekülen am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL erfolgreich beendet. Damit haben sie einen weiteren Meilenstein erreicht, bevor diese neue PSI-Grossforschungsanlage Anfang 2019 allen Nutzern aus Akademie und Industrie für Experimente zur Verfügung steht. Der SwissFEL ist eine von nur fünf Anlagen weltweit, in denen Forschende biologische Vorgänge in Proteinen oder Proteinkomplexen mit Hochenergie-Röntgenlasern untersuchen können.

Die extrem kurzen Röntgenlichtpulse des SwissFEL erlauben es uns künftig hier am PSI, nicht nur die Struktur von Molekülen, sondern auch ihre Bewegungen zu erfassen, freut sich der PSI-Physiker Karol Nass, der das Experiment leitete. Damit werden wir viele biologische Prozesse aus einer völlig anderen Perspektive betrachten und verstehen können.

Dies eröffnet insbesondere für die Pharmaforschung neue Möglichkeiten. Davon ist Michael Hennig, CEO der Biotech-Firma leadXpro, überzeugt. Die Firma hat ihren Sitz im Park innovaare am PSI und untersucht die Struktur bestimmter Proteine, die wichtige Funktionen in der Zellmembran übernehmen und sich daher als Ziel für Medikamente eignen. Deshalb hat er schon in diesem ersten biologischen Experiment am neuen SwissFEL ein Membranprotein unter die Lupe genommen, das bei Krebskrankheiten eine wichtige Rolle spielt.

Licht ins Unbekannte

Membranproteine sind an vielen biologischen Vorgängen im Körper beteiligt und damit der Schlüssel für neue Behandlungsmöglichkeiten; für ihre Erforschung wurden bereits mehrere Nobelpreise verliehen. Sie sind Eiweissmoleküle, die fest in der Zellmembran integriert und für die Kommunikation zwischen der Zelle und ihrer Umgebung verantwortlich sind. Wenn ein medizinischer Wirkstoff an ihnen andockt, ändern sie beispielsweise ihre Form und leiten dadurch ein Signal ins Innere der Zelle. Das beeinflusst den Zellstoffwechsel und andere Zellfunktionen. Bereits von den heutigen Medikamenten wirken viele über Membranproteine. Dennoch ist meistens nicht im Detail bekannt, welche Veränderungen die Wirkstoffe dort auslösen. Man weiss, welcher Wirkstoff bindet und welchen Effekt er verursacht, doch die Signale werden über Strukturveränderungen des Proteins übertragen. Welche das genau sind, können wir nur vermuten, sagt Hennig. Diese ultraschnelle Dynamik, mit der Medikamente an Membranproteine koppeln, und die damit verbundenen Mechanismen wollen wir mit dem SwissFEL besser verstehen. Mit diesem Wissen lassen sich neue und gezieltere Wirkstoffe gegen Krankheiten entwickeln und Nebenwirkungen verringern, so die Hoffnung des Forschers.

Stroboskopblitze der Superlative

Um die Struktur komplexer Proteine sichtbar zu machen, nutzen Forschende bisher ein Verfahren, bei dem sie Proteine mithilfe einer Synchrotronlicht-Anlage anschauen – auch am PSI. Für diese Methode werden Proteine so vorbereitet, dass sie in kristalliner Form vorliegen, also in einer regelmässigen Gitterstruktur angeordnet sind. Wenn das Röntgenlicht eines Synchrotrons auf sie trifft, wird dieses Licht am Kristallgitter gestreut und von einem Detektor aufgefangen. Der Detektor liefert dann die Daten an einen Computer für ein dreidimensionales Bild der Proteinstruktur. Dieses Grundprinzip kommt auch am SwissFEL zur Anwendung. Verglichen mit dem Synchrotron schickt der SwissFEL jedoch Röntgenblitze mit milliardenfach höherer Intensität in sehr kurzen Abständen von bis zu hundert Blitzen pro Sekunde. Diese zerstören die Kristalle nach jedem Blitz. Deshalb müssen bis zu Hunderttausende Kristalle eines Proteins hintereinander in den Röntgenstrahl gebracht werden. Jeder Blitz, der auf einen Proteinkristall trifft, erzeugt noch rechtzeitig vor der Zerstörung ein Streubild am Detektor. Dieses wird von einer komplexen Software mit sehr leistungsfähigen Computern analysiert und dann zu einer Struktur berechnet. Da die Blitze unvorstellbar kurz sind, lassen sich auch sehr schnelle molekulare Bewegungen wie in Zeitlupe sichtbar machen.

Höchste Auflösung dank PSI-Detektor

Der Jungfrau-16M-Detektor am SwissFEL ist der weltweit neueste und grösste Detektor zur Untersuchung von Biomolekülen mittels Röntgenlaser. 16M steht für 16 Megapixel. Mehr als fünf Jahre lang haben Forschende am PSI den 16M-Detektor eigens für diese Anwendung entwickelt. Im Juni wurde er fertiggestellt. Dann dauerte es nur zwei Monate, bis er seine Leistungsfähigkeit erfolgreich beweisen konnte – bei diesem ersten Biomolekül-Experiment am SwissFEL. Dieser Detektor ist etwas Besonderes, sagt PSI-Physiker Nass. Er hat ein niedriges Rauschverhalten und einen sehr hohen Dynamikumfang, wodurch er eine viel grössere Bandbreite an Intensitäten aufzeichnen kann. Das ist wie bei einer Kamera, die auch sehr grosse Hell-Dunkel-Unterschiede verarbeiten kann. Wegen seiner extrem hohen Lichtintensität ist diese Eigenschaft für Messungen am SwissFEL besonders wichtig.

Neben dem hochempfindlichen Detektor schätzen Bioforschende am SwissFEL die Möglichkeit, sehr viel kleinere Kristalle zu analysieren als an einem Synchrotron. Auch aus wirtschaftlicher Perspektive ist dieser Aspekt interessant, findet Hennig, denn je nach Protein ist es extrem zeitaufwendig, ein Verfahren zu finden, das aus ihnen Kristalle wachsen lässt. Für manche Proteine kann man bisher nur kleine Kristalle herstellen. Diese können wir jetzt am SwissFEL untersuchen. Wir sparen damit enorm Zeit, die sonst für die Optimierung der Kristalle nötig wäre und bekommen so schneller die Ergebnisse.

Für leadXpro ist die Zusammenarbeit mit dem PSI inklusive Zugang zur Grossforschungsanlage SwissFEL eine Win-win-Situation, bei der sich die fachlichen Expertisen perfekt ergänzen. So hat bereits in diesem Pilotexperiment ein leadXpro-Forscher die Proteine kristallisiert und für die Analyse vorbereitet, um sie dann gemeinsam mit den Wissenschaftlern des PSI am SwissFEL zu untersuchen. Hennig dazu: Mit unseren Experimenten zeigen wir, dass am SwissFEL gleichzeitig exzellente Grundlagenforschung und angewandte biopharmazeutische Forschung möglich ist, die den Patienten zugutekommen wird. Dadurch sollen eines Tages Wirkstoffe entdeckt werden, die zu grossen Verbesserungen bei der Behandlung von Krankheiten führen – indem sie winzig kleine Bewegungen in den Proteinen beeinflussen.

Text: Sabine Goldhahn

 

Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 390 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.


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