Tag der Schweizer Nahrungs-mittelindustrie - fial

Bern, 10.09.2018 - Abschluss der Tagung Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich weiss: ich bin spät dran und sie habe schon viel diskutiert. Aber sie werden noch ein paar Minuten Geduld haben müssen, bevor sie zum wohlverdienten Apéro übergehen können.

Ich will Ihnen zum Abschluss Ihrer Tagung noch ein paar Gedanken zum Spannungsfeld Agrarpolitik – Aussenhandel mitgeben.

Ich sage es ganz klar: Sie vertreten einen bedeutenden Industriezweig. Der lebensmittelverarbeitende Sektor erwirtschaftet fast 40 Mia. CHF Umsatz. Das sind 12% des Umsatzes unserer ganzen Industrie. Ihr Tagungsthema überrascht eigentlich nicht.  Ihr Sektor ist ja bei jeder agrarpolitischen Massnahme immer sofort betroffen. Angefangen bei der Grenzschutzthematik.

Thema Grenzschutz

Die Schweiz verfolgt im Industriesektor eine liberale Aussenwirtschaftspolitik und erhebt kaum Zölle. Aber der Agrarsektor der sie direkt betrifft, weist einen deutlich höheren und komplex ausgestalteten Grenzschutz auf. Sein Ziel: die inländische landwirtschaftliche Produktion schützen. Wir sind uns bewusst: unsere heimmarktorientierte Lebensmittelindustrie profitiert auch davon. Sie wird teilweise durch eine Industrieschutzkomponente vor ausländischer Konkurrenz geschützt.

Das schwächt natürlich auch Wettbewerbsfähigkeit.  Man wird etwas träger. Das macht das erfolgreiche Bestehen auf Exportmärkten schwieriger und beschränkt das Wachstumspotenzial im Ausland. Und last but not least: die Konsumenten zahlen mehr.

Ich bin ganz persönlich überzeugt: der Abbau von Handelsbarrieren minimiert diese Risiken und eröffnet auch unserer Lebensmittelwirtschaft neue Märkte.

Zudem: Eine massvolle und schrittweise Öffnung des schweizerischen Lebensmittelmarkts wird auch Wohlfahrtsgewinne für die gesamte Volkswirtschaft zur Folge haben. Über die Herausforderungen für Sie bin ich mir natürlich bewusst. Bleiben Sie fit!

Gegenwärtig laufen Verhandlungen mit verschiedenen Handelspartnern. Ich sage es hier klar und sachlich, ohne jede Lust zur Polemik: Wir werden in Zukunft unsere offensiven Interessen in Freihandelsabkommen nicht mehr durchsetzen können, wenn wir im Gegenzug nicht bereit sind, auch auf die offensiven Interessen unserer Verhandlungspartner einzugehen. Und diese liegen nun mal im Agrarbereich.

Aber Freihandelsabkommen bedeuten nicht nur mehr Importdruck für unsere Land- und Ernährungswirtschaft. Sie eröffnen auch ihr neue Exportchancen für Nahrungsmittel wie Käse und qualitativ hochwertige Verarbeitungsprodukte – die Produkte Ihrer Industrie – mit hoher Wertschöpfung. Ausserdem ermöglichen Freihandelsabkommen die Einfuhr von günstigen Vorleistungen. In vielen der Länder mit denen wir im Gespräch sind, wächst gerade der Mittelstand rasant. Ich denke an Indonesien, ich denke an die Mercosur-Staaten. Dabei erhöht sich auch die Nachfrage nach Qualitätsprodukten stark.

Dabei können Verluste durch mehr Importe verhindert werden, wenn es der Landwirtschaft gelingt, ihre Wettbewerbskraft auf diesen Märkten zu verbessern. Mit der Weiterentwicklung der Agrarpolitik AP22+ sollen die Rahmenbedingungen dafür optimiert werde. Es geht aber nicht nur darum, dass wir neue Märkte erschliessen müssen, sondern auch darum, Diskriminierungen gegenüber unseren Hauptkonkurrenten – ich denke hier in erster Linie an die EU – zu vermeiden.

Im Gegensatz zu uns ist die EU nämlich in der Lage, Freihandelsabkommen mit Ländern abzuschliessen, welche Offensivinteressen im Agrarbereich haben. Über all diesen aussenhandelspolitischen Aktivitäten stehen politikübergreifenden Grundsätze, denen sich der Bundesrat auch in Zukunft verpflichtet sieht:

  1. Eine zurückhaltende und unternehmensfreundliche Regulierung,
  2. der Verzicht auf unnötige Markteingriffe sowie
  3. die administrative Vereinfachung und Entlastung aller

Weiterentwicklung Agrarpolitik

Meine Damen und Herren,

Wir wollen die Agrarpolitik weiterentwickeln. Unser Motto heisst dabei:  
«Mehr Verantwortung, Vertrauen, Vereinfachung»

Konkreter: die Agrarpolitik soll in den Bereichen Markt, Betrieb und Umwelt weiterentwickelt werden: (Dreieck AP22+)

  1. Im Bereich Betrieb sollen der unternehmerische Handlungsspielraum vergrössert, die agrarpolitischen Massnahmen vereinfacht und der administrative Aufwand reduziert werden. Dabei sollen Chancen genutzt werden, die sich durch die Digitalisierung eröffnen.
  2. Im Bereich Markt soll die Wertschöpfung durch Differenzierung dank Qualität erhöht werden. Dafür soll die landwirtschaftliche Stützung verstärkt auf Nachhaltigkeit orientiert werden. Die Streichung von Massnahmen, welche die Ausrichtung der Land- und Ernährungswirtschaft auf den Markt behindern, wird zur Diskussion gestellt.
  3. Im Bereich Umwelt und natürliche Ressourcen sollen die ökologischen Leistungen und die Nutzung neuer Technologien zur Verringerung der Umweltbelastung im Fokus stehen. Hierfür müssen wir den Ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) die Direktzahlungen anpassen.

Wir sind dabei, die Vernehmlassungsunterlage für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik nach 2022 zu finalisieren.

Effort im Export

Aber zurück zu Ihnen:
Momentan geht es ja der ganzen Industrie gut. Die Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bundes erwartet eine Fortsetzung der schwungvollen Konjunkturerholung. Sie prognostiziert für 2018 ein kräftiges BIP-Wachstum von 2,4 Prozent. Die lebhafte Auslandkonjunktur stützt den Aussenhandel, und das günstige Investitionsumfeld stimuliert die Inlandnachfrage.

Trotzdem können wir nicht stillstehen. Die Wertschöpfung und der Absatz inländischer Rohstoffe soll wenn immer möglich erhalten bleiben. Ich bin mir bewusst: Inländische Rohstoffe sind aber meist deutlich teurer als im Ausland. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, braucht Ihre Industrie Zugang zu Rohstoffen zu wettbewerbsfähigen Preisen.

Die auf Anfang 2019 anstehende Aufhebung der Ausfuhrbeiträge (Teil des berühmten «Schoggigesetzes») stellt dabei die ganze Branche vor zusätzliche Herausforderungen. Es ist uns aber gelungen, gemeinsam mit den betroffenen landwirtschaftlichen Produzenten und mit der Industrie ein Paket von Begleitmassnahmen zu schnüren. Damit sollen die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze im Inland so gut es geht gesichert werden.

Es liegt nun in der Hand der Branchen, diese Chance zu nutzen. Neben dem Export liegt auch grosses wirtschaftliches Potenzial im Bedürfnis der Konsumentinnen und Konsumenten nach nachhaltig hergestellten Produkten. Das kann aber nur genutzt werden, wenn die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten ernst genommen werden und die Nachhaltigkeit im Handel auch wirklich nachgewiesen wird.

Dabei ist die Transparenz von der Produktion der Rohstoffe bis zum Endprodukt absolut zentral. Nur so kann man Glaubwürdigkeit stiften. Ebenso wichtig ist objektive Information.  Kaufentscheide dürfen nicht durch falsche Nachhaltigkeitsinterpretationen beeinflusst werden. Innovative Technologien wie Blockchain bieten dabei neue Möglichkeiten zum Monitoring von nachhaltigkeitsrelevanten Informationen.

Solche Technologien dürften in Zukunft die Transparenz im Lebensmittelsektor stark vereinfachen. Mit der Agrarpolitik 22+ sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese besser genutzt werden können.

Landwirtschaftsinitiativen

Meine Damen und Herren,

In zwei Wochen wird das Schweizer Stimmvolk über zwei Initiativen befinden. Ein grosser Teil der mit den Volksbegehren verfolgten Anliegen in Bezug auf die Inlandproduktion ist bereits erfüllt. Die entsprechende Gesetzgebung existiert bereits oder am Entstehen.

Auf den Punkt gebracht: Die meisten Anliegen der Initiativen brauchen keine zusätzlichen Verfassungsgrundlagen. Die Forderung der Fair-Food Initiative, wonach auch eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich Schweizer Anforderungen genügen muss ist aber gefährlich.

Dazu bräuchte es neue, aufwendige und kostenintensive Kontrollsysteme. Dies hätte Auswirkungen auf die ohnehin schon hohen Preise im Inland, aber auch bei den Importen. Insofern ist das Begehren auch vor dem Hintergrund der Hochpreisinsel Schweiz problematisch.

Auch die von der Bauerngewerkschaft Uniterre eingereichte Initiative Ernährungssouveränität enthält einerseits Forderungen,
die mit der heutigen Agrarpolitik bereits berücksichtigt werden.

Zum Beispiel die Förderung einer bäuerlichen, vielfältigen und nachhaltigen Landwirtschaft, den Schutz des Kulturlandes oder das Verbot von Exportsubventionen ab 2019. Andererseits werden Forderungen gestellt, die eindeutig im Widerspruch zur heutigen Land- und Ernährungswirtschaft und zur Agrarpolitik des Bundes stehen. Man will uns zurück in die Vergangenheit schicken. So wird beispielsweise verlangt, den Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft durch staatliche Massnahmen zu erhöhen.

Importe von Nahrungsmitteln, die nicht dem Schweizer Nachhaltigkeitsstandard entsprechen, sollen mit zusätzlichen Zöllen belegt oder ganz verboten werden können, auch wenn dadurch internationales Handelsrecht verletzt wird. Ehrlich gesagt: Das kann doch nicht unser Ernst sein!

Für den Bundesrat – und auch für das Parlament - ist klar: Die beiden Initiativen sind abzulehnen.

Meine Damen und Herren

Sie als Hersteller von Schweizer Nahrungsmitteln sind vielfältig gefordert. Das gesamte wirtschaftliche Umfeld stellt hohe Anforderungen. Die Ansprüche der Konsumentinnen und Konsumenten sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Dem Importdruck standzuhalten ist eine Herkulesaufgabe und der Erhalt des Exports tagtäglich eine Herausforderung. Die Politik kann in dieser Situation mit guten Rahmenbedingungen zu ihrem Erfolg beitragen. 

Zum Wohl Ihrer Unternehmen und zum Erhalt der Arbeitsplätze in Ihrem Sektor. Für Ihren täglichen Einsatz für unser Land, für unsere Bürger und Bürgerinnen und für eine erfolgsorientierte und zukunftsträchtige Landwirtschaft bedanke ich im Namen des Bunderates ganz herzlich.


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