Eröffnungsrede WEF 2017

Bern, 17.01.2017 - Bundespräsidentin Doris Leuthard, Davos, 17.01.2017

(Es gilt das gesprochene Wort) 

Lieber Herr Professor Schwab

sehr geehrter Herr Präsident

Exzellenzen

geschätzte Damen und Herren

Herr Präsident Xi Jinping, ich heisse Sie in der Schweiz und am diesjährigen Weltwirtschaftsforum von Davos herzlich willkommen.

Lieber Herr Professor Schwab, es ist für die Schweiz eine Ehre, Gastgeberin dieses Forums zu sein. Jedes Jahr bietet das WEF eine Bühne für weltbekannte Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, um Meinungen auszutauschen und – im Idealfall – gemeinsam zum Wohle der Welt beizutragen.

Das vergangene Jahr hat gezeigt: Die Welt ist einem fundamentalen Wandel unterworfen. Extremismus, Gewalt, Konflikte rücken näher an bisher sicher geglaubte Regionen. Die Europäische Union, ein lange Zeit stabiles Gefüge, hat zu kämpfen. In verschiedenen Regionen der Welt machen sich Nationalismus und Protektionismus breit. Das beobachte ich mit Sorge. Das stellt den Zusammenhalt in der Staatengemeinschaft auf den Prüfstand. Das erschwert die multilateralen Beziehungen, wirtschaftlich und politisch.

Jedes einzelne dieser Probleme ist schon nicht einfach zu lösen. Kollektiv betrachtet führen sie aber dazu, dass die Welt als zunehmend fragiles Gefüge wahrgenommen wird. Unsicherheit macht sich breit. Die Menschen suchen Halt in kleinräumigen Strukturen. Und: Die Zukunft bringt zusätzliche Herausforderungen:

  • Das ökonomische Umfeld verändert sich: Die Verkettung von Verschuldung, Tiefzinsniveau und einer Schwächung der Zentralbanken ist ein neues, explosives Phänomen. In vielen Ländern hat diese Kombination ein bedrohliches Ausmass angenommen. Dadurch wird es schwierig, dringend nötige Investitionen zu tätigen, Stabilität zu gewährleisten und die Basis für Wachstum und Wohlstand zu legen.
  • Die Ökologie erhält durch den Klimawandel mehr Gewicht: Das Pariser Abkommen ist in Kraft. Damit sind die Eckpfeiler für die vernünftige Energie-, Klima- und Umweltpolitik gesetzt. China ist «on track» und damit ein gutes Vorbild für andere Länder. Wie aber werden sich bei der Umsetzung einzelne Länder engagieren, allen voran die Vereinigten Staaten?
  • Bildungspolitik ist der Schlüssel zur Zukunft: Heute sind über 200 Millionen Menschen weltweit arbeitslos, davon sind mehr als 70 Millionen unter 25 Jahren. Das löst Hoffnungslosigkeit aus, Frustration. Damit die junge Generation Perspektiven entwickeln kann, müssen wir in die Aus- und Weiterbildung investieren.
  • Die Reichen werden reicher: Über 500 Millionen Menschen gelten als reich. In den Schwellenländern ist die Mittelklasse gewachsen. Aber am Südrand der Euro-Zone und in den USA findet eine Verarmung dieser Mittelklasse statt. Weltweit leben über 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als 1,25 Dollar am Tag. Wir müssen Strategien finden, damit der tiefe Graben zwischen Arm und Reich nicht weiter aufklafft und der soziale Frieden noch mehr strapaziert wird.  

All diese Probleme kennen wir. Gelöst haben wir sie nicht. Neu kommt hinzu, dass die Digitalisierung als vierte industrielle Revolution die Welt auf ein komplett neues Fundament stellen wird. Hier darf keine neue Kategorie von Gewinnern und Verlierern entstehen: eine Elite, die profitiert, und viele Benachteilige, die sich als Verlierer fühlen. Das bringt uns nicht vorwärts. Digitalisierung muss demokratisiert werden – so wie Wissen dank dem Buchdruck demokratisiert wurde.

In Zeiten solch fundamentalen Wandels ist Orientierung nötig. Wir brauchen Leuchttürme, die uns die Richtung weisen und Sicherheit und Stabilität geben. Anders ausgedrückt: Es braucht «responsive and responsible leadership».

  • Leadership mit der Fähigkeit, die richtigen Schlüsse zu ziehen und sinn- und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.
  • Leadership, um diese Entscheidungen glaubwürdig umzusetzen und die Bevölkerung einzubeziehen.
  • Leadership, um Kooperationen und Allianzen zu schmieden, konstruktiv und multinational zusammenzuarbeiten.

Dazu gehört auch die Einsicht, dass wir uns vom Gedanken «one fit for all» verabschieden müssen. Zwar leben wir alle auf demselben Planeten. Aber viele leben in ihren eigenen, oft gegensätzlichen Welten. Daher wird es nie für alle Probleme, alle Länder, für jeden Menschen eine einzige Lösung geben. Aber es gibt sie, die Lösungen. Auf nationaler Eben hat die Schweiz – in kleinem Rahmen und in einer langen Geschichte – Wege gefunden, wie mit verschiedenen Kulturen, Sprachen, Minderheiten friedvoll zusammengelebt werden kann. Auf internationaler Ebene hat der Prozess rund um das Pariser Klima-Abkommen gezeigt, dass es geht.

  • Ein globales Abkommen, dem sich 195 Staaten anschliessen.
  • Ein Abkommen, das dem sozio-ökonomischen Stand der einzelnen Länder Rechnung trägt und Freiraum für die passende Lösung lässt.
  • Ein Abkommen nach dem Motto «globale Verantwortung, nationale Umsetzung».

Die Welt von morgen lässt sich immer weniger in Industrie- und Entwicklungsländer unterscheiden; ebenso immer weniger in Eliten und Volk. Wir alle sind das Volk. Wir alle sind die Welt. Daher braucht es nicht nur «responsible leadership». Es braucht zudem noch vor allem auch «responsible cooperation».

Das Pariser Abkommen kann zum Vorbild werden.

Davos kann einen Beitrag leisten, eine neue Denkweise zu initiieren und mitzuprägen.


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