Nur im Dialog meistern wir die Digitalisierung

Zürich, 14.09.2016 - Rede von Bundespräsident Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Gründungsfeier Digital Society Initiative (DSI) der UZH

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Rektor 
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin 
Sehr geehrte Vertreterinnen
aus Wissenschaft und Politik

Sehr geehrte Damen und Herren

Wenn Institutionen in Bern mit einem Anliegen anklopfen, dann ist das oft mit dem Wunsch nach Geld verbunden. Es freut mich, dass Sie mich persönlich eingeladen haben. Und ich bin wirklich hier.

In einigen Jahren steht an so einem Anlass nicht einmal mehr der echte Bundespräsident vor Ihnen, sondern sein 3D-Hologramm. Dann würde wenigstens die Polemik über die Reisekosten von Bundesräten wegfallen...

« Tempora mutantur, nos et mutamur in illis »

Das gilt natürlich auch für die Universität: Ich freue mich sehr, heute mit Ihnen die Gründung Ihrer Digital Society Initiative zu feiern. Ihr Projekt ist wichtig. Warum? Weil Sie zum Ziel haben, die zukünftigen Entwicklungen der Digitalisierung gemeinsam zu definieren.

Alle 7 Fakultäten der Universität Zürich sind involviert. Und genau das ist der Ansatz, wie wir der Digitalisierung begegnen sollten. Zusammen. Im Dialog. Und vorwärts gerichtet. WEF-Gründer Klaus Schwab zieht in seinem Anfang Jahr erschienen Buch „Die vierte industrielle Revolution“ denselben Schluss. Er schreibt:

„Wir stehen am Anfang einer Revolution, die unsere Art zu leben, zu arbeiten und miteinander zu interagieren, grundlegend verändern wird.“ Und resümiert, dass wir die Herausforderungen dieser Revolution nur effektiv angehen können… ich zitiere: „…wenn wir die kollektive Weisheit unserer Herzen, Seelen und unseres Verstandes mobilisieren.“

Tatsächlich wirft die Digitalisierung Fragen auf, die in alle Bereiche unseres Lebens hineingreifen. Welche Möglichkeiten, aber auch Risiken, ergeben sich daraus, dass Milliarden von Menschen mobile vernetzte Geräte mit sich herumtragen?

Vertrauen wir Forschungsergebnissen des Wissenschaftsroboters „Adam“ genau so, wie wir das bei Ergebnissen aus Ihrer Hand tun? Wer trägt die Verantwortung über selbstfahrende Autos? Und wie begegnen wir der Disruption von ganzen Wirtschaftszweigen?

Schon heute ist eine treibende Kraft der Health-Science-Branche ein Technologie-Konzern – Google.

Neue Firmen wie Uber und AirBnB bringen herkömmliche Taxiunternehmen und Ferienwohnungsanbieter in arge Bedrängnis. Führende Technologiekonzerne gehen mit  Szenarien um, dass sie innert 18 Monaten vielleicht nicht mehr existieren. Weil eine noch bessere Idee gefunden wurde.

Wir bewegen uns auf unbekanntem Terrain, das müssen wir uns eingestehen. Die meisten zukünftigen Entwicklungen können wir nur erahnen.

Es geht uns ein wenig wie Aristotoles. Wir wissen wenigstens, dass wir noch nichts oder nicht so viel wissen. Unbekanntes kann Angst machen. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Angst vor Cyberattacken im Netz. Angst sich und seine Daten völlig offen gelegt zu bekommen.

Wir müssen diese Ängste ernst nehmen. Und auch dafür Antworten finden. Und doch. Für mich als Liberaler ist klar: Wo die Entwicklung derart dynamisch ist, ist „Freiheit“ das wichtigste Prinzip, um die Digitalisierung mitzugestalten und damit als Chance zu nutzen. Angst, Regulierung, Verbote können keine Antwort auf eine Welt im Wandel sein. Das galt kaum je so sehr wie heute.

Meine Damen und Herren
Unter anderem Winston Churchill wird das Bonmot zugeschrieben: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Und doch müssen wir – als Politik, als Gesellschaft, als Wissenschaft und Wirtschaft –schon heute die digitale Revolution verstehen lernen, daraus die richtigen Schlüsse ziehen und auch erste Weichen stellen:

  • Wohin steuern wir zukünftig unsere Investitionen im Bereich Bildung, Forschung und Innovation?
  • Wie nehmen wir die Bevölkerung mit auf die „digitale Reise“?
  • Wie verhindern wir eine grösser werdende Ungleichheit zwischen jenen, die gut ausgebildet sind und jenen, die nicht genug qualifiziert sind für die digitale Welt?

Das oberste Ziel ist: unseren über viele Generationen erarbeiteten Wohlstand immer neu zu erhalten. Dieses Ziel erreichen wir nur mit exzellent ausgebildeten Menschen, mit einer hervorragenden Wissenschaft und mit einer innovativen Wirtschaft. Hier kann Ihre Initiative einen wichtigen Beitrag leisten. Ich möchte den Ausführungen von Professor Bernstein nicht vorgreifen. Aber lassen Sie mich eines Ihrer Ziele herausgreifen: Reflect the future oft the (digital) society.

Unter anderem genau das erhoffe ich mir von der Wissenschaft. In der Politik sind wir darauf angewiesen, dass Sie in der Wissenschaft mit einem breiten Forschungsansatz die möglichen zukünftigen Entwicklungen antizipieren. Auch der Bundesrat hat die Zeichen der Zeit erkannt und im Frühling die Strategie „Digitale Schweiz“ verabschiedet. Sie ist eine erste Annäherung an die zukünftigen Leitlinien staatlichen Handelns. Sie stösst eine Debatte und einen Dialog an. Sie zeigt auf, wo und wie Behörden, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusammenarbeiten müssen.

Vier Kernziele strebt der Bundesrat mit seiner Strategie an:

  1. Innovation, Wachstum und Wohlstand in der digitalen Welt
  2. Chancengleichheit und Partizipation aller
  3. Transparenz und Sicherheit
  4. Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung

Meinem Departement kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Sind doch Wirtschaft, Bildung und Forschung zentrale Elemente, um diese Ziele zu erreichen. Von den Akademien, über die Hochschulen bis zur Berufsbildung sind Projekte im Gang oder geplant. Forschungsprogramme zu „Big Data“ oder personalisierter Medizin wurden in Angriff genommen. Und in dem vom Bund wesentlich mitkonzipierten Innovationspark Schweiz arbeiten hoffentlich bald Wissenschaft und Wirtschaft zusammen an Innovationen für die Zukunft. Gerade im Bereich „Industrie 4.0“.

Auch wir versuchen, wie Sie das mit Ihrer Initiative tun, mit den verschiedensten Akteuren und interdisziplinär uns den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen und gemeinsam die Chancen zu erkennen. Das ist nicht immer nur einfach. Gemeinsam im Dialog heisst nicht immer gleicher Meinung zu sein und in Minne voranzugehen. Das zeigt auch eine zwar nicht mehr ganz aktuelle, aber doch exemplarische Anekdote:

2013 war ich mit einer Wissenschaftsdelegation in Seoul. Bei einem Treffen mit der Führung von Samsung sass rechts neben mir Ralph Eichler, der damalige Präsident der ETH Zürich. Und zu meiner Linken sass EPFL-Präsident Patrick Aebischer.

Nach meiner Einführung gab ich dem Deutschschweizer das Wort. Unruhig rutschte der Romand auf seinem Platz hin und her. Und als danach der Lausanne-Vertreter sprach, räusperte sich ungeduldig der Zürcher…

Mir war das etwas peinlich. Aber zum Abschluss des Gesprächs sagte der Samsung-CEO: „Ich bin beeindruckt. So ein kleines Land. Aber so eine starke interne Konkurrenz – das macht Sie stark!“ Manchmal bedeutet gemeinsam eben auch: Sich aneinander reiben und um die richtige Lösung ringen.

 Wir tun schon einiges. Aber es muss noch mehr werden. Unsere international anerkannten Instrumente in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation sollten in Zukunft noch stärker für die Thematik der Digitalisierung genutzt werden. Und auch neue Instrumente müssen geprüft werden. Diskutiert wird zurzeit zum Beispiel ein privat finanzierter Fonds, der wertschöpfungsintensive Arbeitsplätze fördern soll und jungen Firmen hilft, in den Markt zu finden und am Markt zu bestehen.

Die Idee: Pensionskassen und weitere private und institutionelle Investoren stellen Kapital zur Verfügung. Und zwar nicht am Start, sondern  dann, wenn junge Firmen Kapital für den Auf- und Ausbau des Vertriebs sowie für die Weiterentwicklung ihrer Produkte- und Dienstleistungen benötigen. Hier hat die Schweiz noch Potenzial.

Mit dem zur Verfügung gestellten Wagniskapital könnten aus der Spitzenforschung von Universitäten und Hochschulen vermehrt Unternehmen entstehen, die einerseits wertschöpfungsintensive Arbeitsplätze anbieten und andererseits am Markt mit neuen innovativen wertschöpfungsintensiven Produkten bestehen. Somit übernähme ein solcher Fonds eine bedeutende volkswirtschaftliche Funktion.

Warum erzähle ich Ihnen das? Ganz einfach. Sie stehen am Anfang dieser Kette. Es gibt keine Startups ohne die Exzellenz der Wissenschaft. Hier bei Ihnen werden Zukunftsszenarien erarbeitet und ein erstes Mal fühlbar und greifbar gemacht. Und von hier sollen diese hinausgetragen werden und in Wirtschaft und Gesellschaft Realität werden, zum Wohle aller.

Wenn wir es zusammen auch in der Digitalisierung schaffen von der Forschung über die Bildung zur Wirtschaft international an der Spitze zu sein, dann können wir mit Zuversicht nach vorne blicken. Und darum noch einmal: Ihre Initiative ist ein wichtiger Beitrag. Gerade weil sie den Dialog zwischen allen Ihren sieben Fakultäten sucht. Alle sind von den Entwicklungen der Digitalisierung betroffen. In ihrem Konzept fällt auf, dass sogar die Theologie, beteiligt ist. Man denkt beim Stichwort Digitalisierung nicht unbedingt als erstes daran. Aber tatsächlich stellen sich auch da Fragen. Braucht es in der digitalen Welt die Kirche als Ort noch? Was sagen Theologen, wenn in Zukunft Mensch und Maschine zunehmend verschmelzen?

Ja, vielleicht braucht ausgerechnet die Digitalisierung wieder den „Universalgelehrten“. Denn eine Welt im tiefgreifenden Wandel ist erst recht auf Orientierungspunkte angewiesen. Die Universität als Hort des Wissens, des Lehrens, des Erforschens und Erfindens, muss auch in der Digitalisierung ein Fixstern bleiben. Deshalb habe ich auch Wünsche an Sie.

Forschen Sie. Aber bilden Sie weiterhin vor allem auch aus. Nur mit den besten Fachkräften meistern wir die Herausforderungen der Zukunft. Es freut mich sehr, dass sie anstreben die Lehre um eine Befähigung in für die digitale Revolution relevanten Bereichen zu ergänzen. Forschen Sie. Und finden Sie Antworten auf offene Fragen. Wir Politiker sind darauf angewiesen, denn der Staat schafft optimale Rahmenbedingungen auch aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Und schliesslich: Liefern Sie Ideen für die Wirtschaft. Nur so entsteht Innovation. Und nur mit Innovation können wir weiterhin eine Gesellschaft sein, die in Wohlstand leben kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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