Nichts ist menschlicher als die Musik

Gstaad, 02.09.2016 - Rede von Herrn Bundespräsident Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Jubiläumstag: 60 Jahre Gstaad Menuhin Festival – 100. Geburtstag von Yehudi Menuhin

Es gilt das gesprochene Wort! 

Meine sehr geehrten Damen und Herren
Liebe Saanerinnen und Saaner,
Liebe Gäste
Mesdames et Messieurs,
Ladies and Gentlemen,

Was ist menschlicher als Musik? Diese Frage stelle ich mir oft, wenn ich nach einem anstrengenden Tag in ein Sofa versinke, um mir einige Momente klassische Musik zu gönnen. Dann kommt die Frage, ob es wirklich stimmt, dass das Denken das entscheidende Merkmal des menschlichen Seins ist. So wie es Descartes 1637 noch etwas philosophischer proklamierte: „Cogito ergo sum“, – ich denke also bin ich.

Damit verurteilte er den modernen Menschen – Sie und mich – dazu, unser Leben als intellektuelles „perpetuum mobile“ zu führen. Jeden Tag neu.

Das ist zwar eine wunderbare Herausforderung! Und trotzdem: Ist es nicht viel eher unsere Fähigkeit, das Denken für eine gewisse Zeit auszuschalten und reinen Emotionen zu folgen, die uns wieder wirklich menschlich werden lassen? Und was weckt die Emotionen besser als Kunst und insbesondere die Musik?

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Wenn ich durch meinen Arbeitstag gehe, Gespräche führe, Akten studiere, Entscheidungen treffe und versuche, andere für eine Überzeugung zu gewinnen, dann stelle ich mich ganz in den Dienst des Logos. Dann heisst es für mich „cogito ergo Bundesrat!“

Mein Bundesdienst ist herausfordernd, spannend, horizonterweiternd und berührend – aber manchmal auch ernüchternd. Gegen letzteres kenne ich drei Mittel: Ich wandere, ich spiele mit meinen Grosskindern oder ich höre Musik. Daraus schöpfe ich Kraft, um mich am nächsten Tag wieder an vorderster Front zu engagieren und meinen bescheidenen Beitrag für eine sehr wohl lebenswerte Zukunft unseres Landes zu leisten.

Zum Wandern: Ich brauche in dieser fantastischen Region dazu nicht viel beifügen. Es ist ganz einfach: Ich liebe die Wanderungen in unserem Saanenland. Ich genieße jeweils den jungen Tag wandernd, um dann rechtzeitig zum Frühstück zu kommen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wen treffe ich zu Normal- und / oder zu Unzeiten? Ja, sie raten richtig, Leonz Blunschi frönt dem gleichen Hobby. Ich habe gehört, dass er künftig noch mehr Zeit zum Wandern haben wird!

Die Enkel betreffend und den ehrenhaften und magischen Titel „Großvater“ tragen zu können, bin ich meiner Familie äußerst dankbar. Und dann die Musik: Ich bedanke mich bei Ihnen, den Musikern, auch den Organisatoren unseres wunderschönen Festivals und natürlich bei der Familie Menuhin für die hochgeschätzten Momente der musikalischen Erfüllung.

Dabei denke ich auch an Yehudi Menuhin, den Gründer dieses Festivals. Er hätte dieses Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiern können. Ich erinnere mich an seine letzten Auftritte, hier auf dieser Bühne, als wäre es gestern gewesen. Sein Wille, seine Ambition, sein gnadenloser Perfektionismus waren im ganzen Raum spürbar.

Unser Land kann glücklich sein, dass dieser Ausnahmekünstler das Saanenland auserwählt hat, um hier Kraft zu schöpfen. Yehudi Menuhin hat aber auch die Region reich beschenkt. Er gründete das Festival. Er rief die Academy ins Leben. Er förderte die von ihm entdeckten Talente. Einige sind dem Menuhin-Festival treu geblieben. Und dieses Festival wird inzwischen 60. Ganz nach dem Motto: je älter, je würdiger – und Freundschaft stiftend.

Mesdames et Messieurs,

La musique et l’art ne permettent pas seulement à l’être humain de se retrouver lui-même. Ils fortifient aussi l’âme contre la barbarie. Yehudi Menuhin l’avait bien compris lorsqu’il a dit :"The violin, through the serene clarity of its song, helps to keep our bearings in the storm, as a light in the night, a compass in the tempest, it shows us a way to a haven of sincerity and respect." La barbarie ne s’est malheureusement que trop souvent manifestée au cours des semaines et mois écoulés.

Je pense à Nice. Je pense à Munich, mais aussi à Salez et à Würzburg. Et la Syrie, le Yemen et le Pakistan ne doivent pas être oubliés. J’en suis conscient - et je pense que Yehudi Menuhin l’était aussi : la musique n’aide guère les victimes de ces actes cruels. Seule notre protection et notre assistance comptent, même si la prévention de ce genre d’attentats sanglants est un défi infiniment difficile à relever pour une société libérale et ouverte comme la nôtre.

Mit „menuhinscher“ Musik im Gepäck stellen wir uns, meine sehr verehrten Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Herausforderungen. Kunst und Musik geben uns die Kraft, uns über die Wut und die Machtlosigkeit zu setzen, die wir angesichts der sinnlosen Gewaltausbrüche empfinden mögen. Damit finden wir Stärke und wiedersetzen uns der Angst, die sich in unseren Alltag einschleicht. Beethovens 9 Symphonie „An die Freude“, mit Schillers Appell an unsere Brüderlichkeit kommt da gerade richtig. Ich gestehe: Schillers Verse kommen heute für mich etwas überschwänglich daher.

Aber der Geist der Freiheit, der Freude, der Aufklärung, die Beschwörung der Gemeinsamkeit und der Menschlichkeit kommen dank der Musik von Beethoven vollständig zur Geltung. Mehr als die Worte tragen die Noten die Botschaft von Schiller in unsere Gegenwart. Und der Optimismus dieses Werkes spricht uns an. Es ist höchste Zeit, dass wir die Künstler und Beethoven zum Zuge kommen lassen – im Gedenken an unseren Saanenländer-Freund Yehudi Menuhin. Hören wir also konzentriert zu, um Morgen wieder mit unserer ganzen Kraft dazu beizutragen, dass unsere Ziele und Wünsche Realität werden. Und damit unser „cogito“ auch mit „sentio“ erfüllt wird.

Viel Vergnügen, einen wunderschönen Abend und vielen Dank für die Aufmerksamkeit, die Sie dem Altmeister Yehudi Menuhin widmen.


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