Geschlossene Jugendeinrichtungen: Gesetzlicher Handlungsbedarf festgestellt

Bern, 30.06.2016 - In ihrem heute veröffentlichten Bericht zieht die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter eine positive Bilanz aus der schweizweiten Überprüfung geschlossener Jugendeinrichtungen. Sie lobt im Besonderen den respektvollen Umgang mit den Jugendlichen, die vielerorts hervorragende Infrastruktur sowie das vielseitige Berufsbildungs- und Beschäftigungsangebot. Handlungsbedarf ortet die Kommission bei den lückenhaften gesetzlichen Vorgaben zum Vollzug von zivil- und jugendstrafrechtlichen Massnahmen, insbesondere in der Deutschschweiz. Die Kommission rügt auch die im Lichte der kinderrechtlichen Vorgaben übermässigen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der Aussenkontakte, vor allem bei der Untersuchungshaft. Kritisch äussert sich die Kommission weiter zur uneinheitlichen Regelung im Bereich der Anwendung von freiheitsbeschränkenden Massnahmen.

Die Kommission überprüfte in den Jahren 2014 und 2015 insgesamt neun geschlossene Jugendeinrichtungen, in denen zivil- und jugendstrafrechtliche Massnahmen vollzogen werden und richtete ein besonderes Augenmerk auf die grundrechtlichen Einschränkungen im Bereich der Bewegungsfreiheit und der Aussenkontakte. Sie bezeichnet diese Einschränkungen aus kinderrechtlicher Sicht zum Teil als unangemessen und rügt im Besonderen, den vereinzelt angetroffenen 20-stündigen Zelleneinschluss. In Anlehnung an internationale Vorgaben legt sie den Behörden zudem nahe, den Jugendlichen einen mindestens achtstündigen Aufenthalt ausserhalb der Zelle und zwei Stunden Bewegung an der frischen Luft zu gewähren. Als grundrechtlich stossend stuft sie zum einen die teils vollkommene Unterbindung der Telefonkontakte als auch die systematisch zur Anwendung kommende Trennscheibe bei Besuchen ein. Die Kommission formuliert in ihrem Bericht konkrete Mindestgrundsätze und empfiehlt den Behörden eine weniger schematische Vorgehensweise.

Hingegen lobt die Kommission den im Allgemeinen respektvollen Umgang mit den Jugendlichen sowie die besonders in den neu eröffneten Jugendstrafvollzugseinrichtungen der Kantone Zürich und Waadt als hervorragend eingestufte Infrastruktur. Auch das in den meisten Institutionen vielseitige Berufsbildungs- und Beschäftigungsangebot verdient Anerkennung.

Kritik übt die Kommission im Weiteren an der mangelnden Schriftlichkeit pädagogischer Sanktionierungen, in denen kein formelles Verfahren zum Zuge kommt und der Rechtsschutz folglich ausgehebelt wird. Die nur mit Betonblöcken als Schlaf- und Sitzgelegenheit versehenen Disziplinarzellen bezeichnet die Kommission aus kinderrechtlicher Sicht als unangemessen.

Besonders im Fokus standen die Überprüfung von Sicherheits- und Schutzmassnahmen sowie der Einsatz von Zwangsmitteln. Die Kommission äussert sich kritisch hinsichtlich der normativen Lücken in diesem Bereich und empfiehlt zum Zweck des Rechtsschutzes, schweizweit einheitliche Regelungen zu erlassen. Im Bereich der medizinischen Versorgung kommt die Kommission weiter zum Schluss, dass die Jugendlichen mit Blick auf die Suizidprävention beim Eintritt von einer medizinisch geschulten Fachperson untersucht werden sollten.

Die Kommission diskutierte ihre Erkenntnisse und Empfehlungen im Rahmen einer Rundtischdiskussion im März 2016 mit kantonalen Vertretern der überprüften Einrichtungen und unterbreitete ihren Schlussbericht den zuständigen Behörden zur Stellungnahme.

In ihrem zeitgleich veröffentlichten Tätigkeitsbericht 2015 präsentiert die Kommission einen Überblick über die im Berichtsjahr durchgeführten Aktivitäten. Insgesamt führte die Kommission neun Kontrollbesuche in Einrichtungen des Freiheitsentzugs in sieben verschiedenen Kantonen durch und unterbreitete den Kantonsbehörden acht Berichte zur Stellungnahme. Bei den überprüften Einrichtungen handelte es sich um drei Untersuchungsgefängnisse, eine Straf- und Massnahmevollzugsanstalt, drei von der Polizei geführte Einrichtungen und eine Einrichtung für den Vollzug von zivil- und jugendstrafrechtlichen Massnahmen. In den Kantonen Aargau, Freiburg, Wallis und Zürich überprüfte sie die Umsetzung ihrer Empfehlungen im Bereich der Hochsicherheit, der Untersuchungshaft und der ausländerrechtlichen Administrativhaft. Im Rahmen des ausländerrechtlichen Vollzugsmonitorings begleitete die NKVF im letzten Jahr 43 zwangsweise Rückführungen auf dem Luftweg der Vollzugsstufen 3 und 4 sowie 46 Zuführungen von Rückzuführenden an den Flughafen. In neun Fällen ersuchte sie die zuständigen Behörden zudem um eine schriftliche Stellungnahme.


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