Ansprache von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann anlässlich des Neujahrsempfangs für das diplomatische Corps

Bern, 13.01.2016 - Ansprache von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung anlässlich des Neujahrsempfangs für das diplomatische Corps Bern, Bundeshaus

Herr Nuntius
Herr Bundesrat
Frau Nationalratspräsidentin
Herr Ständeratspräsident
Exzellenzen

Meine Damen und Herren

Erlauben Sie mir, Ihnen zu Beginn die Ratspräsidenten vorzustellen, die uns heute Gastrecht im Parlament gewähren.

Frau Nationalratspräsidentin Christa Markwalder

Herr Ständeratspräsident Raphaël Comte

Frau Nationalratspräsidentin, Herr Ständeratspräsident: Für die Zurverfügungstellung des Parlamentsgebäudes zum Anlass des heutigen Empfangs danke ich Ihnen.

Exzellenzen,

Mein Dank gilt auch Ihnen, Monsieur le Nonce et Doyen du Corps Diplomatique, für Ihre Glückwünsche und Ihren Appell für Frieden und Gerechtigkeit.

Meine Damen und Herren,

Das vergangene Jahr war ein bewegtes, das viele Menschen verunsichert hat, das Sorge bereitet.

Krisen, Konflikte und Terror sind uns gegenwärtig. Ein Terrorismus, der mehr denn je nicht Ausdruck eines „Kampfs der Kulturen" ist, sondern Ausdruck eines „Kampfs gegen die Kulturen". Und noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute.

Sorgen bereitet auch die wirtschaftliche Entwicklung vieler Volkswirtschaften. Unsere eigene Situation ist zwar weiterhin im Vergleich sehr gut. Und die Schuldenkrise in Teilen Europas hat sich mittlerweile etwas beruhigt. Aber gelöst sind die Schwierigkeiten noch nicht, was die anhaltend schwache europäische Währung belegt. Das blieb für unser Land nicht ohne Folgen: Der starke Franken hat zahlreiche Unternehmen erschüttert. Arbeitsplätze sind bereits weggefallen oder nun gefährdet.

Wie Sie vielleicht wissen, kann - ja muss - jeder Bundespräsident sein Jahr unter ein Motto stellen. Meines lautet ganz schlicht: "Working together for jobs and the country". Als ehemaliger Industrieller und heutiger Wirtschaftsminister engagiere ich mich seit Jahrzehnten dafür, dass möglichst Jede und Jeder einen Job hat. Und damit materielle und soziale Sicherheit. Kurz: eine Perspektive. Das bleibt auch als Bundespräsident mein höchstes Ziel.

Ganz entscheidend zur Erreichung dieser Ambition ist die Lösung der schwierigen Fragen, welche zur Beziehung der Schweiz und der EU derzeitig offen sind. Um auch hier mein Motto zu bemühen: diese Fragen wollen wir gemeinsam klären.

Meine Damen und Herren: Konflikte, Flüchtlings-Dramen, Terror und wirtschaftliche Turbulenzen: Die Welt ist in Aufruhr. Und gleichzeitig gilt etwas pauschal gesagt: Der Schweiz geht es gut: Die Schweizerinnen und Schweizer leben in Freiheit. Wir haben ein hohes Wohlstands-Niveau. Die Arbeitslosigkeit ist tief. Unser Bildungssystem ist hervorragend. Die Sicherheit ist gross, auch wenn die Gefahr von Anschlägen auch in unserem Land nicht unterschätzt werden darf.

Schweizerinnen und Schweizer sorgen sich um ihre Freiheit, um den Wohlstand und die Sicherheit. Die Sorgen sind echt, sie sind berechtig, sie sind ernst zu nehmen. Wir müssen Lösungen finden, damit Sorgen nicht in Angst umschlagen. Denn Angst ist Nährboden des Misstrauens. Angst schürt Konflikte, beflügelt Populismus. Angst lähmt, oder sie schlägt uns in die Flucht. Sie ist Gift für die Bewältigung der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind.

Stattdessen brauchen wir Mut: Mut, um die Herausforderungen gemeinsam anzupacken, auch wenn dies angesichts der Komplexität der Herausforderungen anspruchsvoll ist. Als Angehörige einer Nation, die auf einem gemeinsamen Willen fusst, wissen wir Schweizerinnen und Schweizer um die Bedeutung,  mutig „über den eigenen Schatten" zu springen, um einen Kompromiss zu finden. Das gelingt nur, wenn man dem Gegenüber mit Respekt und Offenheit begegnet, Offenheit bedingt Selbstvertrauen. Vertrauen in unsere Stärken, um unsere Zukunft erfolgreich gestalten zu können. Und Vertrauen in den Beitrag, den wir zur Bewältigung von Krisen und zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der Welt leisten können.

Als Liberaler gilt für mich der Grundsatz: Freiheit bedingt Verantwortung. Deshalb ist es keine Gefälligkeit, einen Beitrag zu leisten. Es ist unsere Verpflichtung.

Meine Damen und Herren,
Das Verhältnis der Schweiz zu Europa wird auch in diesem Jahr ein Schwerpunkt unserer Aussenpolitik sein. Die Europäische Union ist eine erstrangige Partnerin für unser Land - und umgekehrt. Auch die EU profitiert vom grossen Handelsvolumen, das täglich dem Wert einer Milliarde Franken - und einem Handelsbilanzüberschuss auf europäischer Seite von einigen Dutzenden Milliarden - entspricht.

Die kulturelle, historische, gesellschaftliche Vernetzung ist äusserst eng, insbesondere mit unseren Nachbarstaaten. Für den Wirtschaftsstandort Schweiz sind die Beziehungen zur EU und ihren Mitgliedstaaten zentral. Die Sicherung des Bilateralen Weges ist und bleibt für den Wohlstand in der Schweiz von entscheidender Bedeutung.

Am 9. Februar 2014 entschied sich eine Mehrheit der Stimmberechtigten und der Kantone mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative für ein neues Zuwanderungssystem. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU gestalten sich seither schwieriger. Es wird nicht einfach sein, eine Lösung zu finden.

Der Bundesrat hat Ende des letzten Jahres Vorschläge präsentiert, wie der Verfassungsauftrag umgesetzt werden kann. Mittels einer Schutzklausel soll die Zuwanderung von Personen, die unter das Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union fallen, gesteuert und begrenzt werden. Dafür strebt der Bundesrat eine einvernehmliche Lösung mit der EU an. Parallel zu den laufenden Gesprächen mit der EU, die wir mit Nachdruck weiterführen, wird aber auch die Option für eine einseitige Schutzklausel erarbeitet, um uns dem vom Volk erteilten Verfassungsauftrag zu erfüllen.

Der Bundesrat will den bilateralen Weg sichern und weiter entwickeln. Diesen Freitag treffe ich in Brüssel erstmals in meiner neuen Funktion mit dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, zusammen. Ich freue mich auf das Wiedersehen und eine konstruktive Zusammenarbeit zum Wohl beider Seiten.

Meine Damen und Herren,
Wirtschaftliche und politische Offenheit gegenüber der Welt, verbunden mit einem tief verankerten Willen zum Erhalt unserer Souveränität, ist seit jeher unsere selbstbewusste und erfolgreiche Devise.

Diese Offenheit ist nichts anderes als die Antwort eines Staates, der seinen Wohlstand nicht auf Rohstoffvorkommen aufbauen kann, sondern vor allem über den internationalen Warenaustausch. Dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit weniger auf Skaleneffekten, sondern auf Qualität basiert.


Nur als führender Standort kann ein nicht gerade kostengünstiges Land wie die Schweiz Vollbeschäftigung und damit Perspektiven und soziale Sicherheit für alle bieten.

Dass dabei der Bildung, Forschung und Innovation eine besondere Rolle zukommt, ist selbstredend. Die Schweiz hat hier enorm viel zu bieten. Als Bundespräsident messe ich daher dem Freihandel, aber auch der internationalen Bildungs- und Forschungszusammenarbeit grosse Bedeutung zu.

Der Austausch von Waren, von Dienstleistungen, von Fertigkeiten und von Ideen, fördert den Wettbewerb und die Innovation - weltweit. Beides sind Erfolgsfaktoren des Schweizer Modells. Aber ebenso sind sie Pfeiler einer tragfähigen Weltwirtschaftspolitik.

Diese Offenheit zu bewahren, ist die Aufgabe aller Staaten. Sie wissen, dass die Welthandelsorganisation WTO in ihren diesbezüglichen Bemühungen keine einfache Aufgabe hat. Nicht Hemmnisse und Hürden dürfen unsere Wegleiter sein: Ich lade Sie ein, die Offenheit der Märkte weiterhin zu fördern. Sie haben in den vergangenen Jahren enormen Fortschritt gebracht und bieten auch Zukünftig grosse Chancen zu Prosperität und Entwicklung.

Damit Wettbewerb und Innovation für das Individuum und für die Gesellschaft fruchtbar werden, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu gehören auch die richtigen Regelwerke. Bauen wir diejenigen Regeln ab, die unnötig und hemmend sind. Und greifen wir als Staaten dort gezielt ein, wo es sinnvoll ist. Es braucht möglichst effiziente, geschickte und unbürokratische Regelwerke, auf nationaler und internationaler Ebene.

Damit sichern wir einen Rahmen, welcher es Menschen ebenso wie Unternehmen erlaubt, sich zu entfalten. Und die dort Schutz bieten, wo es ihn braucht. Rechtstaatlichkeit, Rechtssicherheit und Menschenrechte sind ebenso wie individuelle Verantwortung Grundlagen einer erfolgreichen und freiheitlichen Ordnung. Und Garant für funktionierende internationale Beziehungen.

Diesbezüglich konnten wir im vergangenen Jahr einiges erreichen: Im vergangenen Dezember haben 195 Länder an der Klimakonferenz in Paris nach jahrelangen, schwierigen Verhandlungen ein für alle Staaten rechtlich bindendes Abkommen verabschiedet. Im Herbst hat sich die Staatengemeinschaft mit der Agenda 2030 auf universell gültige Ziele hin zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung geeinigt. Beides sind Meilensteine, für die sich die Schweiz stark engagiert hat - und nun in der Umsetzungsphase weiter einsetzen wird.

Ich nenne ein weiteres Beispiel, das die Bedeutung internationaler Regelwerke demonstriert: Die Flüchtlingsbewegung aus kriegsversehrten Ländern ist auch Ausdruck davon, dass das humanitäre Völkerrecht in Konflikten nicht eingehalten wird. Das Leid der Zivilgesellschaft ist enorm. Die Schweiz setzt sich für eine bessere Respektierung des humanitären Völkerrechts ein.

Und wir nehmen unsere humanitäre Pflicht war, Menschen beizustehen, die an Leib und Leben bedroht ihre Heimat verlassen mussten.

Es ist klar: Als kleines Land haben wir begrenzte Möglichkeiten. Die Krise kann nur in Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern angegangen werden. Auch in diesem Zusammenhang ist die Einhaltung von gemeinsam vereinbarten Regeln zentral. Und von den Menschen, die in der Schweiz Schutz finden, erwarten wir, dass sie sich an unsere Regeln halten.


Meine Damen und Herren

Die Schweiz beteiligt sich in vielfältiger Weise am Bau einer nachhaltigen Welt. Sie engagiert sich für Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Dank unserer eigenen politischen Tradition des Ausgleichs ist die Schweiz eine glaubwürdige Vermittlerin und Brückenbauerin in Krisen und Konflikten­:

  • So bleibt unser Land auch nach Beendigung der Mitgliedschaft in der OSZE-Troika in der Ukraine engagiert, sowohl im multilateralen Rahmen als auch mit dem bilateralen Programm. Die Sicherheit in Europa bleibt ein Schwerpunkt.
  • Die Schweiz bietet auch in Zukunft ihre „Guten Dienste" an und baut ihre Kapazitäten für Vermittlung weiter aus. Zudem wollen wir das internationale Genf weiter stärken. Denn Genf leistet mit den Kompetenzen, die dort angesiedelt sind, und dem Geist, der dort herrscht, einen Beitrag zu einer Welt, die sich zahlreichen Herausforderungen stellt. Der Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen, mit dem kurz vor Weihnachten die Renovation des Völkerbundpalastes gutgeheissen wurde, ist ein starkes und ermutigendes Zeichen in diese Richtung. Die Schweiz wird dafür ein bedeutendes Darlehen sprechen, falls das Parlament
    diesem zustimmt.
  • Schliesslich ist für die Schweiz die Terrorismusbekämpfung zur Wahrung der Sicherheit aller Gesellschaften nicht nur eine innenpolitische, sondern auch eine aussenpolitische Priorität. Wir legen dabei den Akzent auf die Prävention von Radikalisierung und gewaltsamem Extremismus („Preventing Violent Extremism"). Es gilt, die Perspektiven gerade der jungen Menschen zu stärken - durch wirtschaftliche Entwicklung und damit eine höhere Beschäftigung in erster Linie. Oder auch durch die Zusammenarbeit bei der Berufsbildung, ein wesentlicher Erfolgsfaktor unseres Bildungssystems und mittlerweile fast ein Schweizer „Exportschlager".


Exzellenzen

Die Welt - und auch die Schweiz - sind mit zahlreichen Krisen und komplexen Herausforderungen konfrontiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur gemeinsame Lösungen zielführend sind. Es ist für uns auch im neu begonnenen Jahr eine Verpflichtung und Ehre zugleich, unseren Beitrag an die Bewältigung dieser Herausforderungen zu leisten.

Ihnen und den Staaten, die Sie vertreten, darf ich die besten Wünsche des Bundesrates und der Schweizer Bevölkerung, wie auch meine persönlichen Wünsche für Frieden, Sicherheit und Wohlergehen überbringen.


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Es gilt das gesprochene Wort!


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