Was Migration mit den Gemütern anstellt

Bern, 19.05.2015 - Die Nummer 26 der EKM-Zeitschrift «terra cognita» ist eine spezielle Ausgabe. Im Mittelpunkt steht für einmal nicht ein Migrationsthema. Im Fokus stehen Emotionen und Sensibilitäten. Es geht um Ängste, um Wut und Ärger, um Verunsicherungen und diffuses Unbehagen bei lange Ansässigen, um Verletzungen und schmerzhafte Diskriminierungserfahrungen bei Zugewanderten, aber auch um Glücksgefühle, um befreiendes Lachen oder um Vorurteile. Ein grosser Teil der Beiträge stammt von Kulturschaffenden. Sie haben auf berührende und einfühlsame, auf lustvolle, augenzwinkernde oder satirische Art und Weise die gesamte Palette von «Migrationsgefühlen» bearbeitet.

Ein paar Zitate aus «terra cognita» 26

Nenad Stojanović beschreibt in 10 Lektionen Gefühle und Erkenntnisse zu «Wir und die anderen»

Leçon n° 6. Il est erroné de penser qu' « être » étranger est simplement un concept légal. Souvent, c'est un état d'esprit, un sentiment. Parfois, ce sont les autres qui te font sentir « étranger ». Mais quelquefois c'est toi-même qui te sens étranger, même si les gens qui t'entourent pensent que tu es quelqu'un comme eux.

Laura de Weck lässt Remo und Abdulai über Identität und Ausländer reden

Abdulei: Das Volk entscheidet über das richtige Recht?
Remo: Aber nicht über die Gerechtigkeit.
Abdulei: Das ist ja total ungerecht.
Remo: Aber rechtsgültig.
Abdulei: Und das Volk findet es nicht rechtens, dass ich hier bleibe?
Remo: Naja ...
Abdulei: Die mögen mich nicht.
Remo: Doch.
Abdulei: Nein, tun sie nicht.
Remo: Ich bin mir sicher, Abdulei, wenn das ganze Schweizer Volk dich kennen würde und wenn das ganze Schweizer Volk deine Geschichte kennen würde und sie dann über dich entscheiden müssten, dann würden sie anders entscheiden als ihr eigener Rechtsstaat, und deshalb ist es ja doch rechtens, dass du hier bleibst.

Thomas Kunz im Interview zur Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen:

Um auf die Ängste zu sprechen zu kommen: Wie lassen sich diese erklären?

Menschen haben oft Mühe mit Veränderung, was auch in diesem Zusammenhang zum Tragen kommt. In Zeiten der Globalisierung und der Unübersichtlichkeit klammert man sich gerne an das, was man hat. Als ich jung war, hat man sich auf die Zukunft gefreut, es war Aufbruchstimmung. Heute wollen die Menschen das Schöne aus der Vergangenheit in die Zukunft retten. Und dann ist es auch Skepsis und Angst vor dem Unbekannten.

Simone Prodolliet über Ohnmachtsgefühle in der Bevölkerung

Auch Hans-Ulrich Schär, Gemeindeammann von Aarburg, äusserte sich einige Monate, nachdem er in die Schlagzeilen geraten war, dahingehend, dass er nicht bereue, auf die Barrikaden gestiegen zu sein. Sein Einsatz habe sich gelohnt. Er freue sich darüber, dass nun auch syrische Familien mit Kindern, «die dem schweizerischen Kulturkreis näher» lägen, in seiner Stadt Aufnahme gefunden hätten.

Raoul Lembwadio im Interview über das Leben als Schwarzer in der Schweiz

Ce que je n'aime pas, c'est les personnes qui sont politiquement correctes, mais chez lesquelles on s'aperçoit très vite qu'elles sont hypocrites. Mieux vaut poser des questions ouvertes et sincères. Et ce qui me blesse souvent, c'est des personnes que je ne connais pas qui viennent vers moi, me tapent sur l'épaule et me disent : «Salut, mon frère !» Ce n'est pas normal, quoi ! Je ne suis pas le frère de tout le monde. En fait, c'est simple : il faudrait toujours se demander comment on aimerait être traité soi-même. Je suis un homme avec une histoire, avec une biographie et on peut me poser des questions sur mon vécu. C'est vrai, j'appartiens aussi à un groupe, mais cela n'est pas l'essentiel.

Inés Mateos über den Comedian Charles Nguela

Er beschreibt sich selber als optimalpigmentiert, erzählt todernst davon, dass er bei Nachtübungen im Militär keine Schuhwichse ins Gesicht zu streichen brauche oder gibt zum Besten, wie er vom Lehrer vielsagend gemustert wird bei der Frage an die Klasse, wer denn schon mal Rassismus erlebt habe. Die Anekdote aus der Schulzeit bringt er dann mit einer unerwarteten Pointe zu Ende: Auf die Rückfrage der Klasse, was denn Rassismus sei, antwortet der wohlmeinende Lehrer: «Wenn ihr wegen eurer Hautfarbe irgendwie beleidigt werdet.» Da springt die halbe Klasse auf: «Wir haben Rassismus schon erlebt: Der Charlie sagt, im Winter sehen wir aus wie Galakäse auf Weissbrot.»

Constantin Seibt denkt als Eingebürgerter über sein Erbe nach

Und ich glaube, es ist das, was mich zu einem Secondo macht: Man lebt ein vernünftiges, unspektakuläres Leben, und von Zeit zu Zeit kämpft man mit ein paar Gespenstern. Es sind die Gespenster aus der europäischen Geschichte, interpretiert von jemandem, der nicht dabei war. Man kennt nur ihr Echo.

Abends, wenn meine Tochter in der Wiege träumt, frage ich mich manchmal, ob sie etwas davon erbt. Allein mit ihr, spreche ich wieder die Sprache meiner Kindheit, Hochdeutsch.

Wird sie etwas erben? Ich glaube nicht. Die Zeiten haben sich geändert - und jeder ist Kind seiner Zeit. Und Kinder erben, was sie wollen.


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