Pressekonferenz vom 13.1.1999 in Brig: Natürliche Rückkehr des Wolfes in die Schweiz

Bern, 13.01.1999 - 

Rede von Philippe Roch, Direktor Buwal

(es gilt das gesprochene Wort)

Die natürliche Rückkehr des Wolfes in die Schweiz ist eine gute Nachricht. Sie ist das Ergebnis einer erfolgreichen Politik auf dem Gebiet der Natur, des Waldes, der Wildtiere und der Jagd.

Ich will den Kanton Wallis nicht in einen Raubtierzoo verwandeln und das Buwal will die Schweiz nicht als Raubtierzoo renaturieren.

Aber wir wollen mit dem Wolf leben.

Dabei gibt es Probleme zu lösen. Staatsrat Fournier hat darauf hingewiesen. Ich freue mich über diesen gemeinsamen Auftritt. Wir setzen damit ein Zeichen; wir sind bereit, die Probleme gemeinsam zu lösen, auch wenn wir in einzelnen Punkten unterschiedliche Auffassungen haben.

Ich habe drei wichtige Punkte zu sagen:

  1. Prävention: Wir wollen dafür sorgen, dass der Wolf sowenig Schäden wie möglich anrichtet.
  2. Kompensation: Bund und Kanton werden die Besitzer für den Verlust der Schafe entschädigen.
  3. Abschuss: Wölfe, die zuviel Schaden anrichten, werden mit Genehmigung des Buwal durch den zuständigen Wildhüter abgeschossen.

Die Natur ist ein vernetztes System. Es braucht viele auf einander abgestimmte Massnahmen. Das BUWAL möchte den Wolf gemeinsam mit dem Kanton Wallis managen.

Ist der Wolf gefährlich für den Menschen?

Der Wolf hat einen gefährlichen Ruf als Menschenfresser aus Märchen und Mythen. In diesem Jahrhundert gibt es in Europa keinen eindeutig belegten Angriff eines Wolfes auf den Menschen. Der Wolf ist dem Menschen ähnlich. Er lebt im Familienverband und ist ein anpassunsgfähiger Opportunist. Vielleicht erscheint er uns deshalb so gefährlich. Ich lasse das offen.

Wie können wir die Schafe vor dem Wolf schützen?

1995 wanderte der Wolf im Val Ferret ein. In dieser Region haben wir mit den Wildhütern und den Behörden des Wallis erfolgreich zusammen gearbeitet. Ich möchte dem Kanton Wallis für diese grosse Unterstützung danken.

Das Buwal hat im Val Ferret einen Spezialisten beauftragt, Schutzmassnahmen zu entwickeln. Der Spezialist Jean-Marc Landry ist hier und kann nachher noch detailliert Auskunft geben.

Schutzhunde

Zum Schutz der Schafe muss vergessenes Wissen wieder hervorgeholt werden.
Die Schafhaltung in der Schweiz ist nicht mehr an die Anwesenheit von grossen Raubtieren gewöhnt. Mit dem Wolf ist auch das Know -how über Schutzmassnahmen ausgestorben.

In Frankreich haben Hirten das Konzept der Herdenschutzhunde entwickelt. Damit ist die Zahl der - übrigens nicht nur von Wölfen, sondern insbesondere von streunenden Hunden - getöteten Schafe zurückgegangen.

Ein junger Hund muss im Alter von wenigen Wochen bei den Schafen plaziert werden und ständig unter ihnen bleiben. Der Hund fühlt sich dann gewissermassen als Schaf unter Schafen.

Wenn der Wolf die Herde angreift, verteidigt er die Herde. Dieser Prozess braucht ein bis zwei Jahre. Schutzhunde werden in den gefährdeten Gebieten also mit Vorteil vor der Wiedereinwanderung des Wolfes trainiert.

Im Val Ferret haben wir Schutzhunde trainiert. Die Schutzhunde eignen sich für grössere Herden.

Weniger einfach zu schützen sind Schafe, die in kleinen Gruppen von 10 bis 20 Tieren leben. Spezielle Schafrassen wie die Schwarznasen steigen bis in grosse Höhen hinauf und werden nur selten von ihren Hirten oder Eigentümern besucht. Hier suchen wir noch eine Lösung. In Spanien haben sich Esel zum Schutz kleiner Trupps bewährt. Sie warnen die Hirten. Wir prüfen diese Möglichkeit.

Im Winter genügen einfache Massahmen: Die Schafe werden nachts in Ställe eingeschlossen oder durch elektrische Zäune gesichert.

Wann intervenieren wir mit Abschüssen?

Der Wolf ist ein geschütztes Raubtier. Aber dieser Status gibt ihm keine Lizenz, Schafe zu töten. Wenn er zuviel Schaden anrichtet, wird er abgeschossen. Geschossen wird auf den Wolf nicht von irgend jemandem, sondern vom Wildhüter mit Bewilligung des Buwal.

Der Abschuss ist nicht die erste Massnahme. Es ist eine Notmassnahme. Wir wollen den Wolf führen und erziehen. Wir wollen ihn dort abschiessen, wo er nicht hingehen darf, auf den Schafweiden. Sonst gibt es kein verbotenes Territorium für den Wolf.

Wann werden wir eingreifen? Das Monitoring und die Schäden werden uns die Entscheidungsgrundlagen liefern. Im Val Ferret wurde eine Abschussbewilligung erteilt, nachdem er 50 Schafe gerissen hatte.

Wer bezahlt für die toten Schafe?

Auf Grund der gesetzlichen Bestimmung bezahlen Bund und Kantone je die Hälfte der Schäden, welche geschützte Raubtiere verursachen.

Weil es sich um eine ausserordentliche Situation handelt, ist das Buwal bereit, dem Kanton auch einen Anteil an die Kosten des Aufwandes für das Monitoring zu bezahlen.

Wo wird der Wolf einwandern?

Die Fachleute rechnen damit, dass der Wolf auch noch andere Regionen der Schweiz zurückerobern wird.

  1. Bereits aufgetaucht ist der Wolf im Val Ferret im District d’Entremont. Wir erwarten, dass er aus Savoyen auch in die Region von Martigny und Monthey kommt.
  2. Aus Italien ist er über das Val d’Ossola ins Simplongebiet eingewandert. Er pendelt über den Simplon hin und her.
  3. Wir erwarten, dass der Wolf über dasVal D’Ossola früher oder später auch ins Centovalli und ins Valle di Maggia im Tessin einwandert. Wir bereiten uns darauf vor.

Insgesamt rechnen wir - für alle drei Gebiete zusammen - mit einem Aufwand von einer halben Million Franken für das Management und das Monitoring des Wolfes und für die Vorbereitung von Schutzmassnahmen.

Wolf-Philosophie

Erlauben Sie mir zum Schluss eine philosophische Bemerkung. Der Wolf zwingt uns, darüber nachzudenken, wie wir die Natur sehen. Wir akzeptieren nur eine zivilisierte, gezähmte Natur. Wir sind hell entsetzt, wenn der Wolf ein anderes Tier tötet, oder wenn um ein näher liegendes Beispiel zu nehmen, die Katze als kleines Haus-Raubtier einen Vogel tötet. Es gehört aber zur Natur, dass Raubtiere andere Tiere fressen. Wir vergessen das manchmal in den Städten. Der Gedanke stammt nicht von mir, sondern von Charles Ferdinand Ramuz.

Und ich füge hinzu - vergessen wir nicht den grössten Schaffleischesser - den Menschen.

Doch zurück zum Management des Wolfes. Wir setzen folgende Ziele. Wir geben dem geschützten Raubtier den nötigen Lebensraum und wir managen den Wolf so, dass sich der Schaden an Nutztieren in Grenzen hält.

Der Wolf wird in die Schweiz einwandern. Wir müssen mit dem Wolf leben. Alle Beteiligten müssen dafür gemeinsame Lösungen suchen und finden.


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