Vor dem Wasser sind wir alle gleich

Bern, 20.04.2009 - Rede von Bundesrat Moritz Leuenberger an der Eröffnung des 3. Yangtzeforums, Shanghai, 20. April 2009

Wie stolz sind wir in der Schweiz auf unsere Alpen. Einige Gipfel liegen auf über 4000 Metern und es ist ein Volksheld, wer sie alle bestiegen hat. Doch die höchsten Berge Chinas erreichen über 5000 Meter Höhe. Wir Schweizer fühlen uns hier ganz klein.

Wie gross finden wir in der Schweiz unseren grössten Fluss, den Rhein, der an seiner stärksten Stelle bis zu 5000 m3 Wasser pro Sekunde transportiert – der Yangtze transportiert bei Hochwasser bis zu 100'000 m3, also zwanzig Mal mehr. Da kommt uns unser Strom plötzlich wie ein kleines Bächlein vor.

Wie eindrücklich finden wir in der Schweiz die Leistung unserer Wasserkraftwerke - die Turbinen des Drei-Schluchten-Staudammes produzieren pro Jahr mehr als doppelt so viel Elektrizität wie alle Schweizer Wasserkraftwerke zusammen.

Vergleichen wir allein die Grössenverhältnisse, sind die Unterschiede zwischen unseren Ländern riesig und es grenzt an Vermessenheit, wenn ich mich als Schweizer bei Ihnen zu Problemen des Wassers äussere.

Doch ob gross, ob klein, das Wasser hat im Prinzip für alle Menschen seit Jahrtausenden dieselbe Bedeutung. Diese unterscheidet sich je nach Dimension quantitativ, doch für den einzelnen Menschen nicht qualitativ.

Wasser ist Leben und Tod

Das Wasser ist die Grundlage für unser Leben, für unseren Körper und unseren Geist. Wasser nährt sie beide:

Wasser löscht Durst und Hunger. Wasser beflügelt unsere Phantasie.

Es ranken sich überall auf der Welt zahlreiche Mythen und Legenden um das Wasser, ganz besonders um Flusslandschaften. Um den Yangtze genauso wie um den Rhein. Im Rhein tummelt sich, so eine Sage, eine wunderschöne Wassernixe, die mit ihren bezaubernden Gesängen sehnsüchtige Schiffsleute bezirzt, verwirrt und ins Verderben schickt.

Die Nixe hiess Lorelei und war gefürchtet. Als ich letzten Freitag in den hohen Schluchten des Yangtze einen Felsen sah, der den Formen einer Frau glich, erfuhr ich, dass er eine versteinerte gute Hexe ist, Shennù. Sie hat die Menschen vor Hochwasser geschützt. Das Hochwasser kam aus einem Loch im Himmel. Shennù hat das Loch mit Steinen gestopft. Die Steine hatten sieben Farben. Nach ihrer hilfsreiche Arbeit erstarrte Shennù zu einem Berg. Beide Nixen, Lorelei und Shennù symbolisieren  beides, das Leben und den Tod. Was für die Seeleute gilt, gilt für alle Menschen, in grossen und in kleinen Staaten: Sie wollen das Wasser nutzen und sie müssen sich vor seinen Gefahren schützen.

Wir nutzen Wasser, um (Bio-)Treibstoffe für Automobile herzustellen, wir nutzen es, um Fleisch zu produzieren. Die Fleischproduktion beansprucht acht- bis zehnmal mehr Wasser als die Produktion von Getreide. Der Fleischkonsum nimmt in der ganzen Welt exponentiell zu. Das führt zu Wassermangel und dieser führt zu Tod, Krieg und Migration.

Von Hochwasser, Überschwemmungen, Wasserverschmutzung, Klimaerwärmung sind alle Länder betroffen, ob klein oder gross:

  • Im Mündungsbereich des Yangtze dringt bei steigendem Meeresspiegel Salzwasser in das Flussdelta ein, was das Grundwasser bedroht und die Böden versalzt.
  • In der Schweiz bedrohen uns schmelzende Gletscher und Hochwasser;
  • andere Länder sind bedroht durch Wassermangel, durch Dürren und Trockenheit,
  • wieder andere von steigenden Meeresspiegeln, die Inseln überschwemmen und ihre Bewohner vertreiben.

Nationale Wasserpolitik

Seit jeher gestalteten die Menschen ihr Verhältnis zum Wasser. Jedes Land, ob klein oder gross, stösst bei seiner nationalen Wasserpolitik auf ähnliche Dilemmata.

Wir wollen das Wasser nutzen und gleichzeitig müssen wir uns vor ihm schützen. Das bringt uns in Zielkonflikte.

  • Einerseits bauen wir Staudämmen, um Felder zu bewässern und Strom zu erzeugen,
  • anderseits wollen wir unsere Landschaften, Kulturgüter und unseren Lebensraum erhalten.
  • Wir wollen auf Wasserkraft setzen, weil Wasser eine erneuerbare und daher klimafreundliche Energiequelle ist.
  • Aber wir benötigen auch genügend Restwasser für Fauna und Flora, für die Biodiversität.
  • Zum einen transportieren wir Container auf Flüssen und bauen dazu die Flüsse aus,
  • zum anderen wollen wir unsere lebenswichtigen Ökosysteme der Flusslandschaften erhalten.
  •  Wir wollen unsere Landwirtschaftsflächen erhalten und die Bewässerung sichern;
  • gleichzeitig wollen wir unsere Flussbette verbreitern, um uns vor Hochwasser zu schützen.

Wir wollen das Wasser also für derart vielfältige und unterschiedliche Bedürfnisse nutzen, dass sich zwangsläufig Zielkonflikte ergeben. Wir können diese Konflikte nur lösen, wenn wir die unterschiedlichen Interessen in ein Gleichgewicht bringen.

Wie wichtig dieses Gleichgewicht ist, weiss jeder, der über Wasser fährt. In einem Boot müssen wir die Balance halten, sonst fallen wir ins Wasser. Um in die richtige Richtung zu steuern, schauen wir nicht verkrampft nach unten auf die Bootsspitze, die unmittelbar vor uns ist. Wir heben den Blick, schauen nach vorne und orientieren uns am Horizont. So öffnen wir unseren Geist, gewinnen einen langfristigen und nachhaltigen Überblick und können die Richtung unserer Reise bestimmen.

Im Wassermanagement stellen sich überall auf der ganzen Welt dieselben Zielkonflikte, wenn auch in völlig verschiedenen Dimensionen. Doch im Kern sind es dieselben Fragen, in kleinen wie in grossen Staaten. Deshalb können kleine und grosse Länder sehr gut zusammenarbeiten.

Die Zusammenarbeit zwischen China und der Schweiz

Die Schweiz und China tun dies bereits seit mehreren Jahren. Dabei profitieren wir beide von den Erfahrungen des anderen:

  • Die Schweiz profitiert von der Erfahrung Chinas bei der Bewältigung von Überschwemmungen und Erdrutschen in Gebirgsregionen. Darüber hinaus ermöglicht uns China, die Biodiversität dieser erstaunlichen Landschaft zu studieren.
  • Umgekehrt hat sich China von unseren Strategien im Umgang mit dem Wasser und von unserer Gesetzgebung inspirieren lassen, von unserer Philosophie der Nachhaltigkeit. Das freut und ehrt uns.
  • Chinesische Experten und Wissenschaftler reisen in die Schweiz, Schweizer Experten nach China.
  • Letztes Jahr besuchte der chinesische Wasserminister die Schweiz, dieses Jahr bin ich nach China gereist.

Dieser gegenseitige Austausch ist fruchtbar und stärkt unsere Freundschaft, die wir seit bald sechs Jahrzehnten pflegen (die Schweiz anerkannte 1950 als eines der ersten Länder die 1949 ausgerufene Volksrepublik China).

Wir wollen diesen Austausch mit dem Memorandum of Understanding, das wir im Rahmen meines Besuchs unterzeichnen, weiter vertiefen und institutionalisieren. Wir freuen uns über diese Kooperation.

Globale Wasserpolitik

Doch wir stehen mitten in einer weltweiten Wasserkrise. Die Plünderung unserer Ressourcen zerstört den Regenwald, der masslose Ausstoss von CO2 beschleunigt die Klimaerwärmung. Die Flüsse sind Teil des Ökosystems Wasser, das vier Fünfteln dieser Erde bedeckt. Wenn der Meeresspiegel um Meter steigt, der Permafrost schmilzt und die Wasserschlösser der Welt sich leeren, dringt Salzwasser in den Yangtse und die Schifffahrt auf dem Rhein wird wegen Hochwasser erschwert.

Aber weltweit sind die Folgen noch weit schlimmer:

Wassermangel führt zu Armut, zu Krieg und zu Migration. Deswegen hat die Völkergemeinschaft die globale Klimapolitik und die Milleniumgoals zuoberst auf ihre Traktandenliste geschrieben.

Sie hat dabei Erfolge auszuweisen:

Sie hat das bei einem der gefährlichsten Gifte getan, welches die Gewässer, die Fische und damit die Menschen gefährdet, beim Quecksilber. In Nairobi ist vor zwei Monaten der Durchbruch für ein weltweites Verbot von Quecksilber gelungen. Das zeigt: Die Weltengemeinschaft ist fähig sich zu finden.

Das muss auch für ein Post-Kyoto-Abkommen im Dezember dieses Jahres in Kopenhagen möglich sein.

Dazu gehören verbindliche Absenkungsziele des CO2-Ausstosses. Alle Staaten müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, kleine Staaten genauso wie grosse, auch wenn sich die Massnahmen grosser Länder viel stärker auswirken. Es spielt keine Rolle, wo auf dieser Welt CO2 ausgestossen wird. Nimmt der CO2-Ausstoss zu, erwärmt sich das Klima auf dem ganzen Planeten. Deshalb müssen die CO2-Emissionen global reduziert werden.

Die weltweiten Bemühungen gegen den Klimawandel können nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn grosse Staaten wie die USA, Indien, Brasilien und China einem Post-Kyoto-Abkommen zum Durchbruch verhelfen. Die ganze Welt hofft, dass sich auch China an der Klimakonferenz in Kopenhagen verpflichten wird, einen Beitrag zur Reduktion des Ausstosses an Treibhausgasen zu leisten.

Es gilt: Jeder gräbt, wo er steht. Jedes Land gestaltet seine Wasserpolitik und es ist dabei glücklich über die Hilfe und Inspiration seiner Freunde. Aber es gilt auch: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Auf unserer Erde sind wir alle von allen abhängig. Wir können erst glücklich sein, wenn alle Menschen glücklich sein können. Zerstören wir die Umwelt, werden wir alle untergehen. Deshalb sind wir alle für alle verantwortlich. Wenn wir gemeinsam handeln – wie China und die Schweiz – können wir die Welt nachhaltig gestalten.


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