Vom Dampfwagen zum Greencar

Genf, 05.03.2009 - 

Rede von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz anlässlich der Eröffnung des 79. Internationalen Auto-Salon in Genf.

Mobilität ist ein menschliches Urbedürfnis. Die Automobilbranche verleiht diesem Wunsch Flügel  bzw. Reifen. Angetrieben durch ständige Erneuerungslust führte die Reise bereits vom Dampfwagen bis zum Greencar. Dank dieser Innovationskraft wird die Branche auch schwierige Wege meistern. Der Genfer Auto-Salon ist eine weltbedeutende Ausstellung und das Schaufenster dieser automobilistischen Innovation.

 

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter von eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Behörden
Sehr geehrte Damen und Herren

Bundesrat Jonas Furrer war 1848 der erste Schweizer Bundespräsident. Er war nie am Genfer Auto-Salon. Er wurde nämlich schon 1805, aufs Jahr genau 100 Jahre vor dem ersten Auto-Salon von 1905 geboren. Umso dankbarer profitiere ich - wie schon 78 Bundespräsidenten vor mir -- von der Gnade der Spätgeborenen. Es ist mir eine Freude und Ehre, diese grossartige Ausstellung zu eröffnen.

Ich bin sicher: Bundespräsident Furrer wäre für eine solche Messe gerne nach Genf gereist. Denn die Mobilität, die Freiheit der Bewegung, sowie die Freude an Formen und Farben sind menschliche Urbedürfnisse. Welcher Staatsmann möchte nicht dabei sein, wenn sein Land Gastgeber einer Ausstellung ist, an der die Experten und die Liebhaber dieser Freiheit den Aufbruch zu neuen Horizonten feiern?

Wäre Jonas Furrer 1848 im Winter nach Genf - sagen wir, zu einer Kutschenausstellung - eingeladen worden, wäre er wohl im Pferdegespann angereist. Die holprige Fahrt hätte anderthalb Tage gedauert und sie hätte ihn durch die CO2-Schwaden der frühen Industrialisierung und der rauchenden Kamine der malerischen Dörfer geführt. In der ungefederten und unbeheizten Karrosse wäre die Reise kein Fahrvergnügen gewesen.

Wie sich die Zeiten ändern! Heute, 161 Jahre später, führt die Reise durch einen blühenden Wirtschaftsraum, und es besteht die Qual der Wahl modernster Transportmittel. Dennoch fiel mir die Wahl heute leicht - aufs Auto. Dies nicht nur, weil mir als Finanzminister der Heli zu teuer ist, weil ich mein bundesrätliches GA bereits amortisiert habe und weil der Bund seit der Abschaffung der Kavallerie und des Trains auch keine Kutschenpferde mehr hält. Sondern weil die Autobranche - vertreten durch Sie alle - es versteht, durch ständige Innovation wahre Freude am Autofahren zu vermitteln. So war zum Beispiel meine anderthalbstündige Anfahrt zu Ihnen nach Genf ein reines Vergnügen. Dazu trug die Sanftheit weich gepolsterter Sitze ebenso das ihrige bei wie das beruhigende Brummen eines effizienten Motors. Ausserdem ist es entspannend, für einmal fein justierbare Sitzlehnen und Armpolster zu regulieren, statt turbulente Finanzmärkte.

Wie der Bundespräsident des Jahres 2170, also in weiteren 161 Jahren, von Bern nach Genf reist, das steht noch in den Sternen. Eines wissen wir aber bereits: Die Automobilindustrie wird inzwischen weiterhin im Zeichen der Innovation unterwegs sein. In der Automobilbranche verschmelzen zwei urmenschliche Bedürfnisse: Der Wunsch nach individueller Mobilität und das ständige Streben nach Verbesserung. Ihre noble Mission ist es somit, die Träume menschlicher Fortbewegung immer wieder neu zu beflügeln.

Doch der Pfad der Innovation ist keine mehrspurige Autobahn, sondern bisweilen ein steiniger Weg voller unerwarteter Windungen und steiler Anhöhen. Die weltweite Autoindustrie durchfährt derzeit ein ganz schwieriges Wegstück. Sie optimiert zwar Fahrkomfort, Eleganz und Sicherheit. Vor allem aber forscht sie nach haushälterischeren Antriebstechniken und nachhaltigeren Treibstoffen, um Ansprüchen der Ökonomie und der Ökologie gleichermassen zu genügen.

Doch über der Industrie entlädt sich nun die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise wie ein eisiger Wintersturm. Dieser weltweite Blizzard lässt internationale Kreditströme gefrieren, kühlt die Kauflust der Konsumenten und fügt auch der Automobilbranche rund um den Globus empfindliche Kälteschäden zu.

In der Schweiz ist die Lage glücklicherweise etwas weniger frostig. Dies gilt namentlich für den Autoimport. Dieser ist 2008 im Gegensatz zum schrumpfenden europäischen Umfeld immerhin um 1.4% gewachsen - notabene ohne staatliche Absatzförderung. Auch die Prognosen für das laufende Jahr sind im internationalen Vergleich nicht alarmierend. Etwas anders sieht es in der Autoproduktion aus: Zwar stellt die Schweiz kaum mehr eigene Fahrzeuge her. Doch erwirtschaften über 300 Schweizer Firmen gesamthaft 16 Milliarden Franken Umsatz als Zulieferer ausländischer Autohersteller. Sie sind damit von deren Einbrüchen ebenfalls betroffen.

Die schwierige Fahrt der Autoindustrie in eine ungewisse Zukunft lässt vielerseits den Ruf nach dem Staat erschallen. Er soll auf dieser Winterreise als Reparaturwerkstätte dienen und die Autobranche in dieser frostigen Zeit wintertauglicher machen. In der Schweiz wird es dazu nicht kommen. Aber wir - der Staat und die Automobilbranche - wollen Freunde bleiben. Werfen wir einen Blick auf unsere fruchtbare Beziehung:

  • Erstens ist Ihre Branche eine ausgezeichnete Steuerzahlerin. Ich spreche generell lieber vor Steuerzahlern als vor Subventionsempfängern. Sie bezahlen nicht nur Gewinn- und Mehrwertsteuer sowie die Automobilsteuer. Sondern Sie versorgen mit Ihren Fahrzeugen die Automobilisten, die ihrerseits Milliarden an Mineralölsteuer samt Zuschlag und Mehrwertsteuer sowie Nationalstrassenabgaben leisten. All diese Steuertöpfe sind übrigens regelmässig im Visier von allerlei fiskalischen Wegelagerern. Ich setze mich hingegen dafür ein, dass unser Steuersystem windschnittig ist. So will ich mit dem Einheitssatz die Mehrwertsteuer auf Autos und Treibstoff von heute 7.6% auf 6.1% senken. Das bedeutet für Ihre Branche eine jährliche Entlastung von 400 Millionen Franken.
  • Als Gegenleistung für all diese Einnahmen erbringt der Bund zweitens unter anderem jährlich fast 4 Milliarden Frankien Infrastrukturleistungen für den Strassenverkehr. Davon ist die Hälfte für die Nationalstrassen bestimmt. Darüber hinaus liegen allerdings Ausbauwünsche für fast 40 Milliarden Franken auf dem Tisch. Würden all diese Wünsche auf einmal umgesetzt und wie heute auf den Treibstoffpreis überwälzt, würde die Preissteigerung jeden Erdölschock in den Schatten stellen. Nicht einmal eine Banknotenpresse unter dem Bundesplatz könnte dies verhindern.
    Wir müssen also Mass halten und Prioritäten setzen. Immerhin hat der Bundesrat im Januar die Beseitigung von Engpässen auf den Nationalstrassen in das Konjunkturprogramm aufgenommen. Wenn alles nach Plan läuft, wird Härkingen bald wieder als ein schmuckes Gewerbe- und Industriedorf gelten und nicht mehr als wirtschaftsschädigendes Stausymbol. Aus dem Qualensee ist ja auch wieder der Walensee geworden!
  • Drittens ist der Bund selber leidenschaftlicher Autokäufer. Allein mein Departement verfügt über rund 750 Autos. Ich spreche also nicht nur als Bundespräsident zu Ihnen, sondern auch als Kunde, also als König.
  • Viertens erlässt der Bund mannigfaltige Normen für Automobile, denken Sie nur an all die Abgas-, Feinstaub-, Lärm oder Sicherheitsvorschriften. Die Offroader haben es diesbezüglich sogar zu einer eigenen Volksinitiative gebracht.
  • Fünftens will der Bund der Schweizer Automobilbranche einen attraktiven Standort für Innovation und damit für wirtschaftlichen Erfolg und ökologischen Fortschritt bieten. Ein Beispiel aus meinem Departement ist die steuerliche Begünstigung von Biotreibstoffen, die am 1. Juli 2008 in Kraft trat. Gerade Bioethanol weist verschiedene Vorzüge auf. Da es aus erneuerbaren Rohstoffen stammt, ist es quasi CO2-neutral. Es kann damit einen Beitrag zur Minderung der Klimaerwärmung leisten. Andererseits hat das Bioethanol das Potenzial als Ersatzenergiequelle und senkt nachweislich den Treibstoffverbrauch. Dennoch finden über die Zulassung von Biotreibstoffen international heftige Debatten statt. Hier nimmt das Schweizer Regelwerk eine Vorbildrolle ein. Es fördert nämlich nur sozial und ökologisch nachhaltig produziertes Bioethanol.
  • Soll nun - als sechster Punkt - der Bund auch die Rolle als konjunkturelle Experimentierwerkstätte übernehmen? Automobilistische Notkredite, Verschrottungsprämien und Steuersenkungen sind international ja an der Tagesordnung. Doch müssen wir kühlen Kopf bewahren. Leider sind zum einen die konjunkturpolitischen Vorteile solcher Tuning-Massnahmen oftmals begrenzter, als wir uns dies wünschen. Zum andern müssen wir stets die mit ihnen verbundene handels-, struktur- und finanzpolitische Schleudergefahr im Auge behalten.

Vor allem aber bin ich überzeugt: Ihre Branche verfügt selber über die Ausrüstung für schwierige Verhältnisse. Sie haben nämlich die Kraft zur Innovation im Motor und unser aller Wunsch nach Mobilität im Tank. Seit jeher treibt dieser Wunsch nach Bewegung, zusammen mit der Freude an Eleganz, Komfort, aber auch sauberer Umwelt, kreative Geister an. Was vor 6'000 Jahren mit der Erfindung des Rades begann, wurde später zu Bundespräsident Furrers Pferdekutsche und parallel dazu sogar selbstbewegend - „auto-mobil". Die Evolution dieses Automobils war wiederum rasant, vom Dampfwagen über den alten R4, mit dem ich als Student durch den Eisernern Vorhang fuhr, bis hin zu den Greencars an diesem Salon. Und wenn nun auf der Strasse in die automobilistische Zukunft mancherorts auch Schnee und Eis liegt, dann weiss ich, dass Sie das nur noch mehr anspornt, die Schneeketten der Kreativität anzulegen und den innovativen Allradantrieb einzuschalten. Es gibt niemanden, der mit so viel Erfolg das Rad immer wieder neu erfindet.

Der Genfer Auto-Salon ist ein weltbedeutendes Schaufenster dieser Innovation. Auch fördert er den Fortschritt selber aktiv, ich denke an den Pavillon Vert oder das International Advanced Mobility Forum. Ich wünsche dem Auto-Salon und seinen Teilnehmern viel Erfolg. Und seinen zahlreichen Besucherinnen und Besuchern wünsche ich, was Bundespräsident Furrer 1848 noch nicht vergönnt war: Unvergessliche Momente des automobilistischen Entdeckens, Staunens, Träumens und Geniessens.



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Eidgenössisches Finanzdepartement
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