Öko-Energie ohne Grenzen?

Dübendorf, St. Gallen und Thun, 11.05.2021 - Auch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft läuft nicht ohne Energie. Solaranlagen und Windfarmen, Gezeiten- und Erdwärmekraftwerke: Sie alle zweigen Energie aus Energieströmen ab, die zuvor seit Urzeiten unangetastet geblieben waren. Die Frage lautet daher: Welchen Anteil dieser Energieströme darf die Menschheit für ihre Zwecke nutzen, ohne dass das Energiesystem der Erde dabei Schaden nimmt? Empa-Forscher haben einen Ansatz entwickelt, um dies abschätzen zu können.

Die Erde hat ihre Belastungsgrenzen, das wird uns angesichts der Klimakrise, des zunehmenden Artensterbens und der Vermüllung der Ozeane (und sogar des Weltraums) als Konsequenz menschlicher Aktivität zunehmend bewusst. Als mögliche Antwort darauf propagieren Regierungen und Institutionen weltweit das Konzept der Kreislaufwirtschaft. So sollen durch Schliessen der Materialkreisläufe die mit der Rohstoffgewinnung einhergehenden Umweltauswirkungen vermieden und das Müllproblem gelöst werden. Im Hinblick auf eine nachhaltige Gesellschaft genügt dieser Ansatz für sich allein jedoch nicht, lässt er doch die Frage offen, wie viel und wie schnell Materialien im Kreis geführt werden und mit welcher Energie diese Kreisläufe betrieben werden. Denn in einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft müssen nicht nur die Materialflüsse, sondern auch sowohl die Energieströme innerhalb der Grenzen bleiben, die unser Heimatplanet uns setzt.

Energie für den «Betrieb» der Erde

Eine zentrale Frage lautet demzufolge: Steht global genügend erneuerbare Energie für die nachhaltige Gestaltung der Materialflüsse in unserer Gesellschaft zur Verfügung, ohne die planetaren Grenzen zu «sprengen»? Dieser Frage geht ein Empa-Team rund um Harald Desing aus der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» nach. Betrachten wir den Planet Erde als System, tauscht dieser mit seiner Umgebung lediglich Energie aus. Der weitaus grösste Teil der ins System eingebrachten Energie ist Sonnenstrahlung, ergänzt durch geringfügige Anteile an planetarer Bewegungsenergie und Erdwärme. Diese Energieströme wurden schon immer restlos von der Erde selbst genutzt. Ihre vielen Teilsysteme wie die Ozeane, die Atmosphäre und Wälder, aber auch reflektierende Eisflächen wurden damit gewissermassen «in Betrieb gehalten».

Die meisten dieser Teilsysteme wandeln die eintretende Energie in weitere erneuerbare Energieströme um, zum Beispiel Wind- und Wasserströmungen oder Biomasseproduktion. Dabei wird den eintretenden Energieströmen freie Energie, die sogenannte Exergie, entzogen. Unabhängig von der Nutzung, ob im natürlichen Erdsystem oder der von Menschen erschaffenen Technosphäre, wird die gesamte Energie letztlich wieder ins All abgestrahlt.

Auch Solarparks verändern das Klima

Wenn die Menschheit zunehmend Anteile der erneuerbaren Energieströme für ihre Aktivitäten abzweigt, reduzieren sich die dem Erdsystem zur Verfügung stehenden Anteile. Solche Störungen kann das Erdsystem bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Sind sie jedoch zu gross, steigt das Risiko, dass sogenannte «Kipppunkte» überschritten werden. Schnelle und irreversible Veränderungen im Erdsystem wären die Folge: etwa das Abschmelzen der Polkappen, welches wiederum den Klimawandel beschleunigt. Um diese Kipppunkte nicht zu überschreiten, darf die Grösse der genutzten Landfläche nicht über der planetaren Belastungsgrenze liegen. Es ist aber auch entscheidend, auf welche Weise die Fläche genutzt wird: Solaranlagen anstelle von Wäldern etwa stören die Biodiversität, die Verdunstung und damit den Wasserkreislauf, die Rückstrahlung von Wärme ins All und vieles mehr.

Die gleichen Obergrenzen wie für die solare Nutzung gelten auch für die Ernte der sogenannten chemischen Energie – also für die Land- und Forstwirtschaft, die Nahrungs- und Futtermittel, Heizmaterial, Treibstoffe sowie Baumaterialien produziert. Die Erzeugung technischer Energie steht auf vielen Flächen in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung.

Elektrische Energie als «Universalwährung»

Um die verschiedenen Potenziale an erneuerbarer Energie vergleichen bzw. summieren zu können, haben sie die Empa-Forscher in elektrische Energieäquivalente umgerechnet. Dazu werden in den Berechnungen die Wirkungsgrade heute verfügbarer Kraftwerkstechnik verwendet. Es macht einen Unterschied, ob Elektrizität aus Solarenergie, aus Holz oder aus Wasserkraft erzeugt wird. Diese Umwandlungsverluste schmälern die mögliche Ernte einiger Potenziale nochmals erheblich.

Das Ergebnis der Studie überrascht: 99.96% der aus dem All auf die Erde eintreffende Energie werden für den Antrieb des Erdsystems und der Nahrungsmittelproduktion benötigt, daher können bloss 0.04% technisch genutzt werden. Dennoch liegt dieses Potenzial immer noch etwa um das zehnfache über dem heutigen globalen Energiebedarf.

Das Ergebnis aus der Betrachtung der Umwandlungsverluste ist wenig überraschend: Wir sollten die verfügbare Energie bevorzugt mittels Solarzellen ernten und nutzen. Denn fast alle erneuerbaren Energieressourcen – auch Wind- und Wasserkraft und die Biomasseproduktion – werden letztlich von der Sonne angetrieben. Eine direkte Nutzung der Sonnenenergie bedeutet weniger Umwandlungsschritte und dadurch weniger Verluste.

Photovoltaik auf alle versiegelten Flächen

Ein Grossteil der Sonnenenergie liesse sich auf einem kleinen Teil der Wüstenflächen der Erde ernten, was jedoch technisch und logistisch aufwändig ist. Das Forschungsteam der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» betrachtet daher auf Wüstenflächen geerntete Sonnenergie als eine globale Energiereserve für den Fall, dass alle anderen Erntemöglichkeiten ausgeschöpft sind.

Als Konsequenz daraus sollten wir weltweit damit beginnen, alle bereits versiegelten Oberflächen, z.B. Gebäudedächer und Fassaden, aber auch Strassen, Schienenwege und Parkplätze zu nutzen. Diese Fläche würde ausreichen, um eine globale 2000-Watt-Gesellschaft zu versorgen.

Wüstenregionen als Reserve

Möchte man jedoch den weltweiten Energiebedarf auf das Niveau des heutigen Schweizer Pro-Kopf-Bedarfs anheben, so müssten auch Wüstenflächen mitgenutzt werden. Alle weiteren Energiepotentiale (z.B. aus Wind oder Biomasse) sind um Grössenordnungen kleiner als die direkte Nutzung der Sonnenenergie – und sie sind zum Teil bereits übernutzt. Trotzdem können sie lokal eine bedeutende Rolle spielen, insbesondere auch, weil sie den Bedarf an Speicherkapazitäten verringern können – eine Problematik, die in dieser Studie nicht mitberücksichtigt worden ist.

Also einfach massenweise Solaranlagen bauen, und das Energieproblem ist gelöst? Ganz so einfach ist das natürlich nicht. In ihrer Studie hat das Empa-Team nur den ersten Schritt betrachtet – die Berechnung des verfügbaren Energiepotentials. Die tatsächliche verfügbare Menge an Energie wird kleiner sein: Limitierende Faktoren sind etwa die Verfügbarkeit von Rohstoffen, aber auch Finanzkapital und Arbeitskraft, Umweltauswirkungen bei der Rohstoffgewinnung oder Produktion, Betrieb und Entsorgung der Anlagen sowie der Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur für die Energieverteilung, und -Speicherung.

Aktuell geht das Forschungsteam der Frage nach, wie ein solcher Weg von der fossilen hin zur solaren Gesellschaft aussehen könnte. Denn das solare Energiesystem muss nicht nur gross genug sein, um den globalen Bedarf decken zu können, sondern auch rasch genug das fossile System ersetzen können, um die Klimakatastrophe noch rechtzeitig abzuwenden.


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