Das politische Paradies existiert nicht

Berne, 11.08.2023 - Discours, 11 août 2023: Lucerne Festival; Conseillère fédérale Elisabeth Baume-Schneider - la parole prononcée fait foi

Sehr geehrte Damen und Herren

Mit grossem Vergnügen bin ich heute erneut Gast im KKL. Das von Jean Nouvel entworfenen Meisterwerk der Gegenwartsarchitektur ist aus Luzern nicht mehr wegzudenken. Ebenso wenig wie das Lucerne Festival. Es ist mir eine Ehre und eine Freude, an der offiziellen Eröffnung des Festivals teilzunehmen. Vielen Dank für die Einladung!

Mit seiner Ausstrahlung, seiner Kühnheit und seiner Kreativität bereichert das Lucerne Festival die in- und ausländische Kulturszene. Im Namen des Bundesrates möchte ich Ihnen, liebe Organisatorinnen und Organisatoren, liebe Musikerinnen und Musiker, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebes Publikum, meinen grössten Dank aussprechen.

Die heutige Strahlkraft des Festivals hat auch mit der Gründung des Lucerne Festival Orchestra vor 20 Jahren zu tun. Wir verdanken es Claudio Abbado und Michael Haefliger, dass sich jedes Jahr gestandene und aufstrebende Musik-Talente am Vierwaldstädtersee versammeln.

Diese Musikerinnen und Musiker kommen nicht als Berufsleute nach Luzern. Sie kommen nicht hierher, um ihren Dienst zu leisten. Sie kommen als Freunde, um zusammen Musik zu machen. Ihre Verbundenheit und ihre Leidenschaft für die Musik schwingt in jedem Takt mit und formt dieses einzigartige Ensemble: Eben ein "Orchester der Freunde". Für uns Zuhörerinnen und Zuhörer sind das wahrhaft paradiesische Zustände.

Und genau darum geht es am diesjährigen Festival: das Paradies. Gemäss der Definition im Programm ist das Paradies ein "geschützter, befriedeter Raum, wo niemand sich sorgen muss und Glückseligkeit herrscht".

Was die Politik betrifft, so gebe ich gerne zu, dass paradiesische Momente selten und kostbar sind. Ich gebe auch zu, dass das politische Vokabular, gerade in einem Wahljahr, nicht ausschliesslich von Frieden und Zurückhaltung geprägt ist.

Wenn wir von Wahlkampf, Kampagnen, Siegen und Niederlagen sprechen, tönt es ein wenig anders. Musik bringt man eher mit Vergnügen in Verbindung als Gesetzesentwürfe.

Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es Parallelen gibt zwischen Orchestermusik und politischem Engagement. Beide Berufungen erfordern Leidenschaft und Ausdauer. Beide erfordern die Fähigkeit, zuzuhören und sich abzustimmen. Nur so entsteht eine harmonische Melodie oder eben ein stimmiger Gesetzesentwurf. Beides verursacht auch tief emotionale Momente. Und zugleich den Wunsch und die Verantwortung, den Erwartungen des Publikums gerecht zu werden.

Über diese Kraft des Gemeinsamen hat die Schweizer Literaturpreis-Gewinnerin Dorothee Elmiger folgendes gesagt:

- Ich zitiere -

"Meine Fragen sind: Wer ist noch da, wo sind sie, und mit wem kann ich mich verbünden? Die Herstellung solcher Beziehungen ermöglicht erst ein politisches Handeln."

- Zitatende -

Das Vergnügen an der Politik besteht auch darin, zu diskutieren, zu überzeugen und - mit Blick auf die Vielfalt unserer Gesellschaft - Kompromisse einzugehen. An der Politik hängen unsere Institutionen und auch unsere Hoffnungen.

Anlässlich des hundert-fünfundsiebzig‑jährigen (175) Bestehens unserer Bundesverfassung stelle ich mit Freude fest, dass wir über eine starke und lebendige Demokratie verfügen.

Nur wenige werden bestreiten, dass das Paradies nach wie vor schwer zu erreichen ist. Doch gemäss dem jährlich ermittelten Glücksindex rangiert unser Land dieses Jahr immerhin auf Platz 8 der Länder mit der glücklichsten Bevölkerung.

Dieser Index eines UNO-Netzwerks beruht auf verschiedenen Faktoren wie der Selbstwahrnehmung der Einwohner, dem Bruttoinlandprodukt und der Lebenserwartung in guter Gesundheit. Darüber hinaus werden auch Kriterien wie Solidarität, Freiheit und Korruption bewertet.

Auch wenn wir nicht von einem reinen wissenschaftlichen Indiz sprechen, ist unser Platz doch auch kein reiner Zufall und ein Zeichen für die Stärke unserer Demokratie.

Dieser achte Platz darf uns aber nicht die wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen vergessen lassen, vor denen unser Land steht. Er erinnert uns auch an unsere eigene Verantwortung, unseren Beitrag zu leisten - selbst wenn wir wissen, dass das Paradies, eine Utopie bleibt, jedenfalls hier auf Erden. Und er verlangt nach Anerkennung für all jene, die unser Land mitgestalten und sich für seinen Zusammenhalt einsetzen.

Meine Damen und Herren,

heute Abend haben wir das Privileg, eine Symphonie von Gustav Mahler zu hören. Für diesen Komponisten definierte sich das Glück nicht über ein bestimmtes Land. Für ihn fand sich das Paradies in seiner reinsten Form in der Liebe.

Diese Sichtweise ist wenig überraschend, wenn man sich mit dem Leben von Gustav Mahler auseinandersetzt. Er war mit antisemitischem Hass und Ablehnung konfrontiert. Seine Musik wurde im Dritten Reich sogar verboten.

Folgendes Zitat aus dem Tagebuch seiner Frau wird ihm zugeschrieben:

"Ich bin dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt."

Diese Aussage stimmt nachdenklich. Denn Inklusion ist kein Selbstläufer! Wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir Diskriminierung und Ablehnung als Ausdruck anderer Zeiten und Sitten abtun.

Musik ist eine universelle Sprache der Emotionen. Sie erinnert uns immer wieder daran, wie genussvoll und gleichzeitig zerbrechlich Harmonie sein kann.

Wir haben heute das Privileg, einen wunderbaren Abend der Musik und Begegnung zu erleben, ganz im Geiste des Lucerne Festivals.

Ich freue mich darauf und wünsche Ihnen nun ein wundervolles Konzert.


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