Chambre de commerce Zurich (de)

Zurich, 27.06.2023 - Allocution du Conseiller fédéral Ignazio Cassis, chef du Département fédéral des affaires étrangères (DFAE) lors de la 150e assemblée générale - Seul le texte prononcé fait foi

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Karin Lenzlinger
Sehr geehrte Frau Direktorin, Regine Sauter
Sehr geehrte Nationalrätinnen und Nationalräte, Ständerätinnen und Ständeräte
Regierungsrätinnen und Regierungsräte
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste

Ihre Präsidentin hat bereits auf die wunderbaren Jubiläen hingewiesen, die in der Schweiz und in Zürich gefeiert werden können: Als Bundesrat denke ich natürlich ganz besonders an 175 Jahre moderne Schweiz, die am kommenden Wochenende in Bern mit der «offenen Bundesmeile» gefeiert werden und die auch hier im Landesmuseum mit einer Sonderausstellung thematisiert werden. Beides kann ich Ihnen nur wärmstens empfehlen.

Wenn Sie bei Google Maps die «Bundesmeile» nicht finden sollten, wundern Sie sich nicht:
Es ist die «BundesGASSE» vor den Parlaments- und Verwaltungsgebäuden. Sie finden bei Google dann auch die Beschreibung «Alter Platz mit Wasserspiel für Kinder», das wäre dann der Bundesplatz...

Sagt das nicht schon so viel Fantastisches über unser Staatsverständnis aus?
Im letzten Jahr durfte ich als Bundespräsident auch den 150. Geburtstag der Zürich Versicherungen feiern. Und die «Zürich» ist eines der vielen Zürcher Unternehmen, die nicht nur Stadt und Kanton Zürich, sondern die ganze Schweiz geprägt haben. Als Tessiner erlaube ich mir, ein weiteres Unternehmen hervorzuheben: Orell Füssli.
Die reformierte Gründerfamilie Orelli flüchtete 1555 aus dem katholischen Locarno in die reformierte Zwinglistadt Zürich. Dieser Kulturkampf gipfelte im Sonderbundskrieg von 1847, in dem die katholischen und reformierten Kantone um die Macht in der Schweiz kämpften.
Sein Verlauf und sein Ende führten zur Gründung der modernen Schweiz: Der Kreis schliesst sich.

Meine Damen und Herren, es ist mir eine grosse Ehre, heute hier mit Ihnen die 150. Generalversammlung der Handelskammer vieler dieser prägenden Unternehmen feiern zu dürfen!

Jubiläen sind eine gute Gelegenheit, zurückzublicken. Nicht um der Vergangenheit willen, sondern um der Zukunft willen. Aus der Vergangenheit wollen wir für die Zukunft lernen.

Ihr Jubiläumsmotto «Für jetzt und die nächste Generation» möchte einen Blick auf unser Leben in 25 Jahren wagen. Gehen wir zuerst aber 25 Jahre zurück, dann befinden wir uns in der Mitte der 90er Jahre und damit

- vor dem Siegeszug des Internets in der breiten Öffentlichkeit
- vor dem Einzug der künstlichen Intelligenz in unseren Alltag
- vor der Kommunikation per Handy oder gar Smartphone
und ebenso
- nach dem «Ende der Geschichte».

Zumindest wenn man dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama und seiner Publikation «The End Of History And The Last Man» Glauben schenken will. Er postulierte damals den Sieg der freien Marktwirtschaft und der liberalen Demokratien und markierte das Ende des Kampfes zwischen Autokratie und Demokratie. Der Westen hatte gewonnen.

Die Generation, die damals geboren wurde, startet jetzt ihre berufliche Laufbahn. Sie stehen am Anfang eines hoffentlich langen Lebens und beginnen, ihre Träume zu verwirklichen. Steigender Wohlstand ist selbstverständlich - der Kalte Krieg, der Kampf der Systeme, Nine-Eleven sind nur noch Anekdoten aus dem Geschichtsunterricht. Sie haben keine Erinnerung an schwierige Zeiten, und unsere Generation hat es versäumt, ihnen davon zu erzählen - warum sollten wir auch? Die Geschichte war schließlich beendet.
Heute wissen wir: Das war nur ein Traum!

Die Realität hat uns eingeholt und wir müssen feststellen, dass das Ende der Geschichte nur der Anfang einer neuen ist. Der Krieg in der Ukraine hat uns allen vor Augen geführt, dass wir in einer Zeitenwende leben. Doch was bedeutet diese Zeitenwende konkret? Wie wird sie das Leben der heute 25-Jährigen beeinflussen? Was können wir tun, damit sie ihre Träume trotzdem verwirklichen können? Für eine umfassende Analyse fehlt uns heute leider die Zeit, deshalb beschränke ich mich auf drei Trends, die mir wichtig erscheinen.

Erstens: «Die Demokratie steht unter Druck», zweitens: «Die Polarisierung nimmt zu» und drittens: «Der technologische Fortschritt schreitet rasant voran».

Meine Damen und Herren, um die Demokratie war es schon einmal besser bestellt. Autokratisches Denken ist heute wieder "in" und breitet sich aus, wie der britische Journalist Gideon Rachman in seinem viel beachteten Buch "The Age of The Strongman" darlegt.

Laut der Menschenrechtsorganisation Freedom House blicken wir heute auf eine 17-jährige Periode zurück, in der es mehr Staaten mit Rückschritten bei den politischen Freiheiten gab als solche mit Fortschritten. Im Jahr 2022 standen 60 Staaten mit Rückschritten nur 25 Staaten mit Fortschritten gegenüber. Das sind beunruhigende Zeichen! Aber es gibt auch eine andere Seite, denn «Freedom House» lehrt uns auch, dass sich die Demokratie über einen längeren Zeithorizont durchsetzt: In der ersten Ausgabe des globalen Berichts von 1973 wurden 44 von 148 Staaten als «frei» eingestuft, also rund 30 Prozent, heute sind es 84 von 195, also rund 43 Prozent. Ich bin davon überzeugt, dass wir diesen Trend fortsetzen müssen. Eine demokratischere Welt als unser Vermächtnis an die nächste Generation ist vor allem auch eine friedlichere und freiere Welt. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Der zweite Trend ist die zunehmende Polarisierung. Ich zitiere aus der Festrede von Bundesrat Ernst Brugger zu Ihrem 100:

«Aber eine Selbstbeschränkung – besser gesagt – eine Entwicklung in Selbstbeschränkung scheint mir ein dringliches Gebot der Stunde zu sein, wenn wir nicht in gesellschaftspolitische Entwicklungen hineingeraten wollen, die wir nicht mehr zu meistern vermögen. Wenn wir uns diese Überlegungen nicht zu eigen machen […], müssen wir uns nicht wundern, wenn die nächste Generation extremen Ideologien anheimfällt,
von denen sie sich eine Lösung ihrer Probleme auch auf Kosten individueller Rechte und ihrer persönlichen Freiheit verspricht.»

Leider, meine Damen und Herren, können wir genau das derzeit beobachten. Extreme Ideologien breiten sich aus. Statt pragmatisch, wird zunehmend moralisch argumentiert. Wir schaffen mehr Regulierungen, diese führen zu Marktversagen, was wiederum mit neuen Schulden kompensiert werden soll.

Kommt hinzu, dass wir heute immer weniger bereit sind, pragmatische Lösungen zu unterstützen, um Wohlstand, Freiheit und Sicherheit zu erhalten. Erfolgreiche Politiker müssen «Ecken und Kanten» zeigen: Kompromisse gelten als «faul», Konkordanz als Zeichen der Schwäche.
Unsere Generation ist verpflichtet, die Probleme, die wir verursacht haben, selbst zu lösen. Wir dürfen sie nicht unseren Kindern hinterlassen. Gerade bei Themen wie Altersvorsorge, Staatsfinanzen, Klimawandel oder unserem Verhältnis zu Europa plädiere ich für mehr Pragmatismus und Realitätssinn statt Blockade und Ideologie. Und ich kann Ihnen versichern, wenn Sie sich hier im Herbst an Ihre Direktorin halten, dann liegen Sie ganz richtig.

Drittens und letztens möchte ich die Aufmerksamkeit auf den technologischen Fortschritt und seine Folgen lenken. Neu ist nicht die Veränderung, sondern die Menge und die Geschwindigkeit. Was gestern noch Science Fiction war, ist heute schon Realität. Wir müssen als Gesellschaft ein Gespür dafür entwickeln, was auf uns zukommt.
Nur so werden wir als Nationen und Gesellschaften die Kraft haben, sie sinnvoll aufzufangen und handlungsfähig zu bleiben.

Dies ist der Auftrag des Geneva Science and Diplomacy Anticipator, kurz GESDA. Diese Stiftung wurde 2019 vom Bundesrat und dem Kanton Genf gegründet. Mit dem von GESDA entwickelten «Science Breakthrough Radar» sollen die technologischen Möglichkeiten der nächsten 5, 10 und 25 (!) Jahre identifiziert werden. Globale Herausforderungen erfordern Koordination, multilaterale Ansätze und Interdisziplinarität. Im Institut sind daher Vertreterinnen und Vertreter aus Diplomatie, Wissenschaft, Finanz- und Realwirtschaft und anderen Bereichen vertreten. Sie bewerten die Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf Mensch, Gesellschaft und Planet und entwickeln Lösungsansätze, die dann in multilateralen Gremien wie der UNO diskutiert werden. Das ist wichtig, denn wir hinterlassen der nächsten Generation nicht nur neue Technologien, sondern auch deren Folgen.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Vision der GESDA lautet «Use the future to build the present». Ihr Jubiläumsjahr steht unter dem Motto «Für jetzt und die nächste Generation». Zukunft und Gegenwart sind heute offensichtlich nicht mehr so klar voneinander zu trennen. Was wir heute tun, hat ebenso Auswirkungen auf die nächste Generation wie das, wozu wir heute nicht den Mut haben. Es ist unsere Verantwortung gegenüber unseren Kindern und Enkeln, Antworten auf die großen Trends unserer Zeit zu formulieren.

Der deutsche Schriftsteller Hans Kasper sagte dazu: «Wer die Zukunft nur mit Furcht erwartet, impft sie mit Schrecken.»  Es ist für uns alle besser, wenn wir sie stattdessen mit Optimismus impfen, unsere Chancen ins Zentrum stellen und den Mut zu haben, die Zukunft zu gestalten. Ich danke der Zürcher Handelskammer, dass sie das in den letzten 150 Jahren immer gemacht hat.

Ich wünsche Ihnen weitere 150 Jahre und gratuliere vom ganzen Herzen zum Jubiläum!


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Auteur

Département fédéral des affaires étrangères
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