"Wenn wir Frontex ablehnen, hat das Folgen"

Berne, 02.03.2022 - Conférence de presse sur la votation du 15 mai 2022; Conseillère fédérale Karin Keller-Sutter - la parole prononcée fait foi

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Meine Damen und Herren,

die Schweiz ist jetzt seit über 13 Jahren Teil von Schengen und Dublin. Wir sind voll eingebunden, unsere Sicherheits- und Asylbehörden arbeiten eng mit den europäischen Staaten zusammen. Auf Seiten des EFD ist das BAZG, früher die EZV, stark dabei. Und auf der anderen Seite sind es das SEM und auch fedpol. Frontex ist ein tragendes Element dieses Schengen-Systems. Wenn die Schweiz das herausbrechen würde, kann das ganze System zusammenfallen. Warum ist das so? Die Stimmbevölkerung hat das Schengen-Abkommen 2005 angenommen. Damit hat sich die Schweiz verpflichtet, alle Änderungen des Schengen-Rechts umzusetzen - die zwingenden Änderungen - und das betrifft auch diese Frontex-Verordnung. Dabei sind wir selbstverständlich frei. Wir können Ja oder Nein sagen. Wenn wir Frontex jedoch ablehnen, hat das Folgen. Diese Folgen sind vertraglich klar geregelt - diesem Vertrag hat das Schweizer Volk 2005 zugestimmt.

Was passiert, wenn die Schweiz die neue Frontex-Verordnung nicht übernimmt? Der Beendigungs-Mechanismus ist im Schengen-Assoziierungsabkommen genau beschrieben. Für diejenigen unter Ihnen, die das nachschauen möchten: Artikel 7, Absatz 4, das ist in der Zwischenzeit bekannt. Es wäre so: Wenn Frontex abgelehnt würde, müsste der Bundesrat der EU zunächst mitteilen, dass die Schweiz die Verordnung nicht übernimmt. Es ist nicht einfach eine Verzögerung. Es gab immer wieder mal Verzögerungen bei der Übernahme von Schengen-Entwicklungen. Wenn das Volk Nein sagt, dann sagt es Nein zur Übernahme dieser Verordnung. Der Bundesrat müsste der EU unverzüglich mitteilen, dass die Schweiz die Verordnung nicht übernimmt. In dem Fall kann die Schengen-Zusammenarbeit nur fortgesetzt werden, wenn das die EU-Kommission, alle Mitgliedstaaten und die Schweiz innerhalb von 90 Tagen beschliessen - und zwar einstimmig. Wenn keine Einigung zu Stande kommt, tritt das Abkommen weitere drei Monate später ausser Kraft, und zwar automatisch. Eine Kündigung ist nicht nötig. Mit der Beendigung der Schengen-Zusammenarbeit endet auch die Dublin-Assoziierung, denn die beiden Abkommen sind rechtlich miteinander verknüpft. Wir dürfen uns hier also keine Illusionen machen: Mit einem Nein zu Frontex ist die Assoziierung der Schweiz an Schengen und Dublin akut gefährdet.

Was wären die Folgen davon? Fangen wir bei Frontex an: Die Aufgabe von Frontex ist der Schutz der Schengen-Aussengrenze. Wir haben 2015 erlebt, was eine ungenügend geschützte Aussengrenze auslöst. Damals haben sich hunderttausende Menschen auf den Weg Richtung Europa gemacht. Unter ihnen waren nicht nur Flüchtlinge, unter ihnen waren auch radikale Islamisten, die später in die Anschläge von Paris und Brüssel verwickelt waren. Ein guter Schutz der Aussengrenze bedeutet also ganz direkt: Mehr Sicherheit in der Schweiz und für die Schweiz. Wir müssen wissen, wer den Schengen-Raum betritt.

Die Referendums-Führerinnen und -Führer sagen immer, Europa sei eine Festung. Ich bin der Meinung: Europa ist keine Festung. Gerade die aktuellen Entwicklungen zeigen das. Europa ist in Notsituationen aufnahmebereit. Ich war am Sonntag in Brüssel. Alle Mitgliedstaaten, die assoziierten Staaten haben sich dazu verpflichtet und dazu bekannt, Kriegsflüchtlinge unbürokratisch aufzunehmen. Gleichzeitig bleibt der Schutz der Aussengrenzen wichtig. Das war auch ein zentrales Thema letzten Sonntag. Denn weder Schlepper noch Kriminelle dürfen von der aktuellen Situation profitieren.

Frontex hilft uns aber auch, die Sekundärmigration in Richtung Schweiz frühzeitig zu erkennen - überhaupt die Sekundärmigrationsströme innerhalb des Schengen-Raumes. Und Frontex unterstützt die Schengen-Staaten, wenn sie ausweisepflichtige Personen zurückführen müssen. Auch die Schweiz nimmt an Sammelflügen von Frontex teil, wenn wir Personen in ihre Heimat zurückführen müssen. Sodann leistet Frontex auch eine Unterstützung bei der Ausstellung von Reisepapieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn die Schweiz die Frontex-Verordnung nicht übernimmt, verabschiedet sie sich aus dem System zum gemeinsamen Schutz der Aussengrenze. Aber das ist nicht alles: Die Schweiz verlässt die gesamte Sicherheits-Architektur des Schengen-Raums - die Schweizer Grenzen würden zur Schengen-Aussengrenze. Das hätte weitreichende Folgen für die Sicherheit. Als Schengen-Staat hat die Schweiz Zugriff auf das Schengener-Informationssystem SIS. Für Schweizer Behörden ist das ein unverzichtbares Instrument. Schweizer Behörden machen täglich über 300`000 Anfragen auf dem SIS. Jedes Jahr gibt es etwa 20`000 sogenannte HITS, also Fahndungstreffer. Ohne SIS wäre die Schweiz bei der Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität, von Terrorismus und illegaler Migration heute undenkbar. Alle diese Phänomene machen nicht an der Grenze Halt. Das SIS ist mittlerweile zum Rückgrat der Schweizer Polizei geworden.

Schengen, pour la population, c'est la liberté de circuler à l'intérieur de cet espace. La protection de la frontière extérieure et aussi la liberté de voyager, de mouvement vont de pair. Il n'y a plus de contrôles systématiques des personnes aux frontières intérieures de l'espace Schengen. Si la Suisse devient une frontière extérieure, il y aura de nouveau des files d'attente aux points de passage routiers et dans les aéroports. Les jeunes de moins de 30 ans ne peuvent plus s'imaginer ce que c'est qu'une frontière avec un régime de contrôles systématiques. Les gens qui habitent près d'une frontière ne peuvent pas souhaiter le retour des contrôles, je le sais d'expérience, en tant que Saint-galloise.

Für die Bevölkerung bedeutet Schengen Bewegungsfreiheit im Inneren. Der Schutz der Aussengrenze und die Reisefreiheit: das gehört zusammen. Es gibt im Schengen-Raum keine systematischen Kontrollen mehr auf der Grenze, die Kontrollen finden im Hinterland statt. Wenn die Schweiz zur Aussengrenze wird, gibt es wieder lange Wartezeiten an den Strassenübergängen und an den Flughäfen.

Neue Hürden gibt es auch für Touristen, die von ausserhalb Europas in die Schweiz reisen, sollte die Frontex-Verordnung abgelehnt werden. Sie wissen, heute gibt es einfach ein Schengen-Visum. Ich kann mich gut erinnern: Damals bei der Abstimmung über Schengen war das für den Tourismus ein zentrales Argument. Es gibt ja diese Gruppenreisen: Deutschland, Frankreich, Italien... Wenn Sie in solchen Gruppen für die Schweiz ein separates Visum beantragen müssen, kann das eine Hürde sein.

Der dritte Pfeiler dieser sicherheitspolitischen Zusammenarbeit im Schengen-Bereich ist das Asylwesen. Er wäre ebenfalls direkt betroffen. Denn wie gesagt fällt mit der Beendigung der Schengen-Zusammenarbeit auch Dublin automatisch weg - die beiden Abkommen sind rechtlich miteinander verknüpft. Heute werden Asylgesuche in der Schweiz grundsätzlich nicht inhaltlich geprüft, wenn schon in einem anderen Dublin-Staat ein Gesuch gestellt wurde. Ohne Dublin würde die Schweiz zum Erstasylland. Das heisst: Jede Person, die in einem Dublin-Staat abgelehnt wurde, kann bei uns ein Asylgesuch stellen. Ohne Dublin hätten wir keinen Zugriff mehr auf die Eurodac-Datenbank.

Für Bundesrat und Parlament ist aus all diesen Gründen klar: Wir wollen die enge Zusammenarbeit mit Europa im Bereich der Sicherheit und des Asylwesens nicht aufs Spiel setzen. Gerade jetzt nicht. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit und die Solidarität im Schengen-Raum sind. Der Nutzen von Frontex und damit verbunden von Schengen-Dublin ist für die Schweiz ist gross. Eine Beendigung der Zusammenarbeit würde die Sicherheit in der Schweiz massiv schwächen, das Asylsystem unter Druck setzen und die Wirtschaft belasten. Bundesrat und Parlament empfehlen deshalb ein Ja zur neuen Frontex-Verordnung.


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