«Digitalisierung mobilisiert alle, ob Gesellschaft, Wirtschaft oder Politik»

Zürich, Hallenstadion, 28.11.2019 - Ansprache von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF, Anlässlich der «Digital Economy Awards»

Es gilt das gesprochene Wort

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Liebe Shaperinnen und Shaper,
Liebe Digitalisierungsfreundinnen und -freunde,

Chers amis,

Ich freue mich sehr, mit Ihnen an der heutigen Preisverleihung teilnehmen zu dürfen.

Ich freue mich, das wir heute zusammen die Digitalisierung vorantreiben können.

Ich freue mich auch, heute hier mitten im Zürcher Hallenstadion zu sein.

Obwohl ich mich frage, ob Sie mich hier nicht im wahrsten Sinne des Wortes aufs Glatteis führen wollen.

Denn was kann ein Waadtländer Politiker und ehemaliger Winzer schon zum Thema Digitalisierung sagen?

Besonders hier in Zürich, der Heimat der ETH Zürich und der IBM-, Google- und Oracle-Forschungszentren?

Meine Antwort ist klar: Als Bundesrat sehr viel. Seit ich in die Regierung eingetreten bin, gibt es fast kein Thema, mit dem ich mich mehr auseinandersetzen musste als mit der Digitalisierung.

Als Verteidigungsminister ging es in erster Linie um Sicherheit, um Cybersecurity und Cyberdefence. Der Cyberangriff auf die Ruag hat mir die Cyber-Gefahr real vor Augen geführt. Ich konnte diesen Fall aufarbeiten und die richtigen Schlüsse ziehen. Erfolgreich konnte ich die Cyber-Rekrutenschule ins Leben rufen. Der CyberMaster an der ETH und der EPFL sind ein weiterer Beweis, dass ich in diesem Bereich vorwärts machen will.

Wir sind nun gut aufgestellt: Dank ihrem Milizsystem kann die Schweizer Armee schnell auf ausgewiesene Spezialisten aus der Wirtschaft zurückgreifen. Die ersten Cyber-Rekruten wurden letzten September wieder ins Zivilleben entlassen. Das sind junge Spezialistinnen und Spezialisten, die der Wirtschaft in Zukunft ausserordentlich viel bringen können.

Auch im Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, das ich seit einem Jahr führe, ist die Digitalisierung das Schlüsselthema schlechthin. Es gibt kaum noch eine Sitzung, bei der das Wort Digitalisierung nicht zumindest fällt oder oft auch ausführlich besprochen wird.

Meine Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat sind täglich mit Fragen der Digitalisierung konfrontiert. Bundespräsident Ueli Maurer arbeitet an den Rahmenbedingungen der zukünftigen Blockchain-Finanzwelt. Er will, dass die Schweiz dort an vorderster Front mitarbeitet. Aussenminister Ignazio Cassis hat Anfang Jahr die Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» ins Leben gerufen. Auch auf internationaler Ebene müssen Themen diskutiert werden, die viele Fragen aufwerfen. Dazu gehören zum Beispiel die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz oder humanitäre Fragen beim Einsatz von autonomen Kampfrobotern.

Gesundheitsminister Alain Berset sucht digitale Lösungen, um die Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen. Infrastrukturministerin Simonetta Sommaruga muss sicherstellen, dass die Schweiz in der Kommunikationsinfrastruktur an der Spitze bleibt. Die Digitalisierung ist ganz klar ein Querschnittthema, das jeder Zentralisierung trotzt. Wir arbeiten also alle daran.

Wo wir noch einen Zacken zulegen können, ist ganz sicher in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Auch heute glaubt man noch zu oft, man hätte einen wichtigen Schritt getan, wenn man ein Papierformular mit einem PDF ersetzt hat. Den üblichen Papierfluss einfach mit bits und bytes zu ersetzen, ist eigentlich nicht der Sinn der Sache. Die Digitalisierung muss uns helfen, unsere ganze Arbeitsweise grundsätzlich neu zu gestalten.

Zugegeben, es ist nicht einfach. Wichtige Eckwerte unserer Demokratie und unseres Staatsverständnisses fussen auf Grundlagen, die im XIX. Jahrhundert entwickelt wurden. Es bleibt schwierig sich vorzustellen, was eine liberale Demokratie im digitalen Zeitalter sein soll oder sein kann. Und die Angst davor, die Kontrolle an Maschinen und Algorithmen zu verlieren, wird in der Bevölkerung zudem eher grösser als kleiner. Die Rückschläge mit E-Voting lassen grüssen. Das ist auch verständlich. Wir wollen ja nicht vor einer künstlichen Intelligenz oder einem Roboter Rechenschaft ablegen, sondern vor Wählern, Bürgern, Menschen.

Trotzdem müssen wir vorwärtsmachen. Beim Bundesrat ist der Wille jedenfalls vorhanden. Letzte Woche hat er die E-Government-Strategie 2020-2023 verabschiedet. Dabei haben wir uns zum Ziel gesetzt, die administrativen Hindernisse zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden digital zu überwinden und die Voraussetzung zur besseren Zusammenarbeit zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass der Bund noch viel aus den Erfahrungen der Privatwirtschaft lernen kann, wenn es darum geht, neue kooperative, auf digitale Plattformen abgestützte Arbeitsmethoden einzuführen

Wir setzen natürlich grosse Hoffnung auf die Digital Natives. Aber sind digitale Nomaden und Staatsdienst eigentlich vereinbar? Ist ein Staatsangestellter Digital-Native nicht schon fast ein Widerspruch? Ist die Bundesverwaltung für die neue Generation nicht der Inbegriff des langweiligen, grauen und hierarchischen Arbeitgebers, bei dem es gilt, den grösstmöglichen Bogen zu schlagen? Nach dem Motto: Google ist cool, Bund ist uncool? Wir dürfen beim Bund sicher noch an unserem Coolness-Faktor arbeiten. Aber ich versichere Ihnen: Auch Bundesräte können ab und zu cool sein.

Besonders cool ist es, an Ihrer heutigen Preisverleihung teilzunehmen. Ich bin sehr neugierig, was im vergangenen Jahr im Bereich der Digitalisierung gelaufen ist, was Sie selber für ehrungswürdig halten. Nicht alles ist für den Bund brauchbar. Aber es wird uns sicher stimulieren.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen für Ihr Engagement an der vordersten Front von Digitalisierung, Innovation und Wirtschaft sehr herzlich danken. Es ist sehr angenehm, Schweizer Wirtschafts-, Forschungs- und Bildungsminister zu sein. Besonders, wenn meine Ministerkolleginnen und Kollegen aus dem Ausland mich fragen: Wie macht ihr das nur?

Aber wir dürfen nicht selbstgefällig werden. Ihre Preisverleihung soll und muss inspirieren, aufwecken, anstacheln, anspornen. Das ist ganz besonders wichtig, wenn wir sehen, in welche Richtung sich die Weltwirtschaft entwickelt. Handelskonflikte sind immer weniger die Ausnahme, sondern werden zur Konstante. Die Folgen des Brexit werden sicher Europa, aber auch die Schweiz beschäftigen, auch wenn wir uns teilweise absichern konnten. Im Rahmen unserer «Mind the gap-Strategie» haben wir zu Beginn des Jahres mit einem Abkommen unsere Post-Brexit-Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich auf eine sichere Basis stellen können.

Auch die Schweiz befindet sich, wie heute hier ganz bildlich zu sehen ist, auf selbst gemachtem Glatteis. In ihrer Länderanalyse hat die OECD Anfang November ganz besonders auf die Alterung unserer Gesellschaft und auf die damit zusammenhängenden Probleme unserer Altersvorsorge hingewiesen. Bei der Problemlösung der Altersvorsorge überlasse ich den Lead gerne meinem Kollegen Alain Berset. Aber die Konsequenzen für unsere Wirtschaft darf ich nicht übersehen.

Geburtenarme Jahrgänge bedeuten nicht nur weniger qualifizierte Arbeitskräfte, sondern auch weniger Konsum, ergo weniger Wachstum. Deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass wir unsere Produktivität steigern. Dabei kommt der Digitalisierung eine wichtige Rolle zu. Das empfiehlt uns übrigens auch die OECD: Das technologische Potential unseres Landes soll besser genutzt werden.

Was mir heute als Innovationsminister ziemlich Bauchschmerzen bereitet, ist der Wiederstand gegen den Ausbau des 5G-Netzes in unserem Land. Wir sind ein freies Land und jedes Thema darf diskutiert werden. Aber als Wirtschaftsminister möchte ich trotzdem in aller Klarheit darauf hinweisen, dass wir viel riskieren, wenn wir unser Telefonnetzwerk nicht schnellstens auf den neusten Stand bringen. Hier geht es nicht darum, Katzenbilder noch schneller versenden zu können. Es geht hier um das Internet of Things, es geht um Innovation, es geht ganz einfach um den Industrie- und Forschungsstandort Schweiz. Ohne 5G gibt es keine selbstfahrenden Autos, keine autonome Mobilität. Deshalb wünsche ich mir ein wenig mehr Besonnenheit in dieser Debatte! 

Ganz besonders weil die Schweiz ja sonst bestens aufgestellt ist, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Ich lüfte hier ein kleines Geheimnis: Noch dieses Jahr wird der Bundesrat einen Bericht zum Stand der künstlichen Intelligenz verabschieden. Die Ausgangslage ist sehr gut.

Trotzdem werde ich vorschlagen, dass unsere überdepartementale Arbeitsgruppe strategische Leitlinien zu diesem Thema erarbeitet. Diese sollen mit der Gesamtstrategie Digitalisierung des Bundes abgestimmt werden und diese somit stärken. Klar ist: wir wollen keine Vorschriften machen. Aber wir wollen sicher unsere Zukunftsvision in diesem für die Schweiz lebenswichtigen Thema schärfen und alle Akteure mobilisieren.

Sie sehen, unser Land ist bereit, die digitale Revolution aktiv zu meistern. Ich kenne kein anderes Land, in dem dieses Thema so breit diskutiert und vorangetrieben wird. Die schweizerische Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind sich bewusst, dass es hier um unsere Zukunft geht. Ich bin auch sehr froh, dass wir heute einen Einblick in diese Zukunft bekommen und uns inspirieren lassen können, um sie dann gemeinsam weiter zu gestalten. Für, mit und dank allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. Denn nur so macht Fortschritt wirklich Sinn.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Belle soirée!


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