Quaderni di Dodis - Switzerland and the construction of multilateralism (de)

Bern, 07.09.2023 - Closing words by Federal Councillor Ignazio Cassis, Head of the Federal Department of Foreign Affairs (FDFA) - check against delivery

Sehr geehrter Herr Direktor Sacha Zala
Sehr geehrte Frau Prof. em. Dr. Madeleine Herren-Oesch
Sehr geehrte Frau Dr. Kucera
Signor Ambasciatore Claudio Fischer
Sehr geehrter Herr Freléchoz
Sehr geehrter Herr Dr. Eichmann

Sehr geehrte Damen und Herren

Es ist mir eine grosse Freude, heute den dritten und zugleich abschliessenden Band der Reihe «Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus» in den Händen zu halten. In nur vier Jahren haben die Historikerinnen und Historiker von Dodis unter der Herausgeberschaft von Frau Prof. em. Dr. Madeleine Herren-Oesch, Herrn Prof. Dr. Sacha Zala, Herrn Dr. Marc Perrenoud und Frau Flurina Felix eine Herkulesarbeit zuerst konzipiert, dann erforscht und heute nun erfolgreich abgeschlossen.

Die Trilogie «Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus» wird mit dem nun erscheinenden dritten Band zur Geschichte des Internationalismus in der Schweiz zwischen 1863 und 1914 vervollständigt – herzlichen Glückwunsch!

Nun, es ist nie einfach, vor einer Schar gestandener Historikerinnen und Historiker eine Ansprache zur Geschichte zu halten – selbst wenn es nur eine kurze sein soll.

Schliesslich muss man in kaum einem anderen Kreis derart aufpassen, was man sagt; denn: Sie erinnern sich! Sie sind das Gedächtnis unserer Gesellschaft! Und in dieser Funktion haben Sie für den dritten Band wiederum ganze Arbeit geleistet.

Dieser Band macht – einmal mehr – Geschichte erleb- und begreifbar. Geschichte ist eine Wissenschaft unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven. Der Historiker und die Historikerin urteilen nicht, sie zeigen lediglich auf. Und so fordert uns dieser Band gleichzeitig auf und heraus. Nämlich: Er fordert uns auf, die editierten Quellen zu studieren und er fordert uns heraus, unsere Lehren daraus zu ziehen, denn: ich zitiere
«Was den Menschen auszeichnet, ist nicht, dass er Geschichte hat, sondern dass er etwas von seiner Geschichte begreift.»

Dieser Band führt uns von den embryonalen in die Teenager-Jahre des Bundesstaates.
In was für eine Zeit begeben wir uns da? Wer sich diese Frage stellt, dem empfehle ich unter anderem Dodis als Inspirationsquelle.
Als erstes gilt es zu erwähnen, dass in der untersuchten Zeit nur gerade drei Bundesräte nicht durch den Freisinn gestellt wurden. Nun, Sie werden mir beipflichten: Nicht alles was heute neu ist, ist auch zwingend besser

Da war beispielsweise Bundesrat Wilhelm Hertenstein aus dem Freisinn.
Er war gar so «frei-sinnig», dass er nach einem Spitzenresultat zur Wahl als Bundespräsident für das Jahr 1888 erklärte, dieses Amt weder antreten zu können noch zu wollen, sollte man ihm gleichzeitig das Politische Departement anvertrauen.
Einem weiteren, auf Dodis publizierten Dokument, entnehme ich, dass die Übernahme des damaligen Politischen Departements als «année de demi-repos» galt. Nun ja… Zeiten ändern sich bekanntlich.
Jedenfalls zeigen diese Episoden, dass im ersten halben Jahrhundert die Existenz des Bundesstaates dem Wesen nach fragil war und die Aufgabenlast fluid. Und dies trotz vermehrt auftretender internationaler Möglichkeiten und Verpflichtungen:

•    Innenpolitisch mag Internationalismus (noch?) nicht viel gegolten haben, aber aussenpolitisch befand sich die Schweiz in der Metamorphose vom Objekt zum Subjekt. Internationalismus wurde zur Realität.

•    In den entsprechenden Jahren wurden bspw. der Weltpostverein, das Zentralamt für den internationalen Eisenbahnverkehr und die Internationale Union der Telegraphenverwaltung gegründet und in Bern beherbergt. Sie hören es: Kein Name ohne den Zusatz «Welt» oder «international».
•    Im Übrigen ist auch der Umstand, dass im 19. Jahrhundert so viele Schweizerinnen und Schweizer nach Übersee auswanderten, wie niemals vorher und nachher, ein Beleg für zunehmenden Internationalismus.
•    Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand ein sich verdichtendes internationales Telegrafennetz und nach der Verabschiedung des Eisenbahngesetzes 1852 setzte auch hier ein wahrer Boom ein. Und damit in Zusammenhang steht gleich noch ein weiterer Punkt:
•    Die Schweiz hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch eine Zeitdifferenz: Zwischen Genf und dem Val Müstair betrug diese 18 Minuten. Nachdem diese zuerst auf Bern «eingemittet» wurde, kennt die Schweiz seit dem 01. Juni 1894 die MEZ.

Damals hatten also Historiker aus dem Bündnerland gegenüber Bern fédérale noch einfaches Spiel – sie hatten schliesslich ca. 15 Minuten länger Zeit zu reagieren!

Parallelen zu heute

Internationale Organisationen, Verhandlungen und Konferenzen brachten Prestige und Einfluss. Und nun gab es verschiedene Möglichkeiten, daran teilzuhaben.

Der Band präsentiert Dokumente aus einer Zeit, als sich Europa weg von der Arkanpolitik der Pentarchie hin zu internationalen proaktiven Konferenzen auch unter Einbezug von Kleinstaaten bewegte. Vom «Spielball» zur mitspielenden Entität; oder: Multilateralismus «avant la lettre».

Unter anderem das frühe internationale Genf, unsere humanitäre Tradition, unsere Wirtschaft, sowie unsere Innovationskraft erlaubten und erlauben uns mitzureden und sind ebenso Teil des Wesens der Schweiz, wie unsere neutralitätsrechtlich begründete Vorsicht – damals wie heute! Bereits damals galt es nämlich auszutarieren zwischen Internationalismus und Eigenstaatlichkeit. Es lässt sich also kein lineares Bild der Schweizer Aussenpolitik für das ausgehende lange 19. Jahrhundert zeichnen. Die Frage nach dem «Warum? », lässt sich nun dank Ihrer Publikation beantworten.

Gerade auch aus diesem Grund ist die Arbeit, welche Dodis mit dieser Trilogie geleistet hat, enorm wichtig. Internationalismus, der Völkerbund sowie die UNO sind Marchsteine auf dem Zeitstrahl, der die Schweiz und ihre Geschichte heute ausmacht. Auch dieser Band soll uns und hoffentlich künftigen Generationen als Handhabe dienen, denn: Historische Distanz schafft weite Horizonte!

François Bergier war sich dessen bewusst, wenn er sagte, dass die Geschichte uns nicht die grossen Entscheidungen abnehmen könne, doch – dank ihrer Dauer – uns Orientierungspunkte liefern kann, an die sich die Menschen halten sollten.
Als solchen Orientierungspunkt interpretiere ich auch Ihr Werk – herzlichen Glückwunsch dazu!
Bevor wir den Band taufen, gibt es jedoch noch einen wichtigen Punkt auf der Tagesordnung.

Sehr geehrte Frau Professorin
Erlauben Sie mir noch einige persönliche Worte an Sie zu richten! Durch Ihre Forschung haben Sie enorm viel dazu beigetragen, dass wir Menschen – in Anlehnung an das eingangs erwähnte Zitat – nicht nur Geschichte haben, sondern diese auch begreifen.

Formen der Aussenpolitik, Internationalismus über unterschiedliche Kulturen hinweg, das Zusammenspiel von Wissenschaft und Wirtschaft, die daraus entstehenden Netzwerke und deren Einfluss auf Völkerverbindendes sind Themenschwerpunkte Ihrer Arbeit, in denen Sie zu einer festen Grösse geworden sind. Als Direktorin des Europainstituts in Basel waren Sie an einer weiteren zentralen Schnittstelle tätig. Das Institut untersucht die Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa im globalen Kontext. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass Ihnen nicht langweilig wurde mit dieser Thematik.

Sie werden das Bonmot kennen: Politiker/Innen sind an den nächsten Wahlen interessiert. Staatsfrauen und Staatsmänner im Gegensatz dazu an der nächsten Generation. In diesem Zusammenhang möchte ich eines speziell hervorheben: Ihr Interesse an der Zukunft der Geschichtswissenschaften. So sind Sie aktiv daran beteiligt, einer nächsten Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern das interdisziplinäre Arbeiten näher zu bringen und stellen so sicher, dass uns auch in Zukunft innovative und kluge Ideen und Lösungsansätze nicht ausgehen werden.

Mit Ihrer Emeritierung werden Sie jedoch keineswegs Ruhe einkehren lassen, davon bin ich überzeugt. Und so freue ich mich auf weitere Begegnungen und danke Ihnen herzlich für Ihr Engagement und Ihre Leistungen in der Schweizer Geschichtswissenschaft!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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