Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

Bern, 26.01.2024 - Botschaft der Bundespräsidentin zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, Samstag, 27. Januar 2024.

Heute, am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, gedenken wir der sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die während des Zweiten Weltkrieges ermordet worden sind, sowie der Sinti, der Roma und aller weiteren Opfer des Nationalsozialismus und seiner systematischen und umfassenden Vernichtungspolitik. Sich an den Holocaust zu erinnern und der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, ist sowohl nützlich wie auch notwendig. Es ist eine historische Verantwortung, die Erinnerung an dieses Verbrechen enormen Ausmasses aufrechtzuerhalten. Zudem sind wir in der Pflicht, uns verstärkt um Prävention, Information und Bildung zu bemühen, damit sich solche Tragödien nie wieder ereignen.

Die gegenwärtige internationale Lage gemahnt zur Vorsicht. Der Antisemitismus führt erwiesenermassen zu schlimmsten Gräueltaten, indem er mit Vorurteilen Feindseligkeiten schürt. Seine Zunahme im Lichte der terroristischen Angriffe der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung vom 7. Oktober 2023 muss deshalb entschlossen und mit aller Kraft bekämpft werden. Unabhängig davon, was man vom israelisch-palästinensischen Konflikt oder den Militäroperationen in Gaza und anderen besetzten Gebieten hält, es ist inakzeptabel, dass hier in der Schweiz unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger angegriffen werden oder sich bedroht fühlen müssen. Der Antisemitismus hat – wie andere Formen des Hasses gegen Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion – keinen Platz in unserer demokratischen Gesellschaft, in welcher Toleranz, der gegenseitige Respekt und das Zusammenleben massgebend sein müssen. Die politische Meinungsäusserung ist ein durch die Verfassung garantiertes Recht, doch der Aufruf zu Hass und die Diskriminierung sind durch das Gesetz verboten.

Aufgrund der heftigen Emotionen und Spannungen häufen sich auf allen Seiten Aussagen, welche Parallelen zwischen dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und den aktuellen Ereignissen ziehen. Hier ist grosse Vorsicht geboten, denn solche Vergleiche führen häufig zu falschen Analogien, welche die Wahrnehmung verzerren. Nicht nur könnte die Anerkennung der Sonderstellung des Holocaust untergraben werden, es könnten auch neue Spannungen entstehen und die Polarisierung verstärkt werden. Die politische Verantwortung gemahnt deshalb zur Zurückhaltung, sowohl um der Wahrheit willen wie auch, um die Möglichkeit eines Dialogs und eines gegenseitigen Verständnisses aufrechtzuerhalten.

Die Erinnerung an den Holocaust zu bewahren, ist auch deshalb so wichtig, weil die Stimmen der Überlebenden unter uns nach und nach verstummen. Während die letzten direkten Zeuginnen und Zeugen verschwinden, sind es nun die Orte, an denen die Verbrechen Nazideutschlands und seiner Kollaborateure begangen worden sind, welche die historische Wahrheit belegen. Aus diesem Grund ist die Annahme einer Charta für den Erhalt solcher Orte durch die International Holocaust Remembrance Alliance, zu der die Schweiz gehört, ein wichtiger und begrüssenswerter Schritt. Die Charta betont die Wichtigkeit des Schutzes der Orte, die mit dem Holocaust und dem Genozid an den Roma in Zusammenhang stehen, damit diese Orte ihre Rolle für das Gedenken, die Information und die Bildung, insbesondere der jüngsten Generationen, voll und ganz erfüllen können.

In der Schweiz wurde 2023 ein erster wichtiger Schritt zum Erhalt der Erinnerung an den Holocaust gemacht. Auf Basis der einstimmigen politischen Signale aus dem Parlament hat sich der Bundesrat dafür ausgesprochen, in Bern gemeinsam mit den Stadtbehörden einen Erinnerungsort für die Opfer des Nationalsozialismus zu schaffen. Ferner geht es darum, das Errichten eines nationalen Netzes von Gedenkstätten und Informationsstandorten zu unterstützen, ausgehend vom Kanton St. Gallen und seinem grenzüberschreitenden Projekt. Dabei ist es die Absicht des Bundesrates, eine klare Nachricht gegen Genozid, Antisemitismus und Rassismus sowie für Demokratie, Rechtsstaat, Freiheit und individuelle Grundrechte zu senden. Die Anstrengungen zur Verhinderung von Massenverbrechen können von besseren Kenntnissen über den Holocaust und von der Förderung einer offenen Debatte – einschliesslich der Rolle, welche die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs gespielt hat – nur profitieren.

Als ihm der Friedensnobelpreis verliehen wurde, sagte der Philosoph und Auschwitz-Überlebende Elie Wiesel Folgendes: «Für uns war das Vergessen nie eine Option. Sich zu erinnern, ist ein nobler und notwendiger Akt.» Im Kern dieses Gedankens von Wiesel steht die Überzeugung, dass uns ein Aufgeben jener Erinnerungsarbeit dazu verdammen würde, die Katastrophen und Kriege der Vergangenheit zu wiederholen. Heute verneigen wir uns aus diesem Grund vor dem Andenken an die Opfer. Heute müssen wir mehr denn je unsere Anstrengungen verstärken – unsere Anstrengungen zu verstehen, zu erklären, zu diskutieren und zu warnen.


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