2002 - Neujahrsansprache von Bundespräsident Kaspar Villiger

1. Januar 2002 - Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Drei Herausforderungen beschäftigen mich an der Schwelle des neuen Jahres ganz besonders:

Wie können wir den so wichtigen Zusammenhalt unseres Landes stärken?
Wie wollen wir gemeinsam die nächsten vielleicht etwas bewegteren Jahre erfolgreich bewältigen?
Wie können wir mithelfen, jene grossen Probleme dieser Welt zu lösen, die auch uns betreffen?
Ich befinde mich in Yverdon-les-Bains, auf dem Gelände der Expo 02. Hier wird eine Stätte der Begegnung entstehen, der Begegnung von Menschen aus dem In- und Ausland, aber auch der Begegnung mit unserer Geschichte, unserer Zukunft, unserer Kultur. Wir sind ein Volk, welches aus verschiedenen Sprachgruppen und Kulturen besteht. Diese Vielfalt macht den besonderen Reichtum der Schweiz aus. Der Zusammenhalt eines Volkes ist aber nie auf Dauer gesichert. Deshalb müssen wir immer wieder bewusst daran arbeiten. Dazu braucht es zweierlei: Wir müssen erstens wichtige Werte pflegen wie den Respekt vor Minderheiten, den sozialen Ausgleich, den Gemeinsinn, die gelebte Solidarität, die direkte Demokratie. Und zweitens müssen wir bewusst aufeinander zugehen, einander zuhören, den Dialog führen, die Meinung anderer respektieren, einander verstehen lernen. Die Expo 02 wird als Ort des Dialogs dazu einen gewichtigen Beitrag leisten.

Wie steht es nun mit der Bewältigung unserer Zukunft? Natürlich sind auch bei uns viele Probleme ungelöst. Ein Vergleich mit andern Ländern zeigt indessen, dass wir Grund zu Dankbarkeit haben: Die Arbeitslosigkeit ist tief. Das soziale Netz ist dicht. Unsere Jungen haben viele Chancen. Kaum ein anderes Volk kann politisch so wirksam mitbestimmen. Es geht uns gut.

Und doch spüre ich da und dort Verunsicherung. Sie ist verständlich. Das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab. Der rasche Wandel überfordert viele Menschen. Die traurigen Ereignisse der letzten Zeit haben uns alle bewegt. Sie erzeugen Ängste. Trotzdem haben wir keinen Grund zur Resignation. In den neunziger Jahren, als das Wachstum tief, die Arbeitslosigkeit hoch und die Staatsdefizite immens waren, haben wir nach anfänglichem Zögern in Politik und Wirtschaft viele Probleme und Reformen erfolgreich angepackt. Das hat sich ausbezahlt. Dieses Rezept müssen wir auch jetzt beherzigen. Gerade in schwierigen Momenten müssen wir Probleme aktiv anpacken und die Strukturen in Staat und Wirtschaft neuen Gegebenheiten anpassen. Verlieren wir also den Mut nicht! Wir haben die Kraft, die künftigen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Deshalb schaue ich persönlich zuversichtlich in die Zukunft.

Nun zur Mitarbeit an der Lösung der grossen Probleme dieser Welt! Das Wachstum der globalisierten Wirtschaft bringt vielen Menschen neue Lebenschancen. Das ist erfreulich. Aber diese Chancen sind ungleich verteilt. Und die vernetzte moderne Zivilisation ist störanfällig geworden. Die Auswirkungen des schrecklichen Terroranschlages vom 11. September des letzten Jahres belegen es. Solange es Regionen mit Krieg, Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit gibt, wird es Flüchtlingsströme, wird es Nährboden für Terrorismus geben. Die Folgen davon treffen auch uns. Wir müssen deshalb aktiv mit gestalten, wo es um die Lösung solcher Probleme geht. Es liegt in unserem Interesse, wenn Menschenrechte durchgesetzt, Konflikte entschärft, Hunger überwunden und Umweltzerstörung verhindert wird. Genau damit befassen sich die Vereinigten Nationen. Schon heute arbeiten wir im Rahmen ihrer Unterorganisationen erfolgreich mit. Es ist Zeit, dass wir mit vollen Rechten beitreten und mitbestimmen, unsere Stimme erheben und Einfluss gewinnen. Natürlich ist auch die UNO nicht perfekt. Aber sie ist die einzige weltumspannende Organisation, die sich dieser Probleme annimmt. Ich weiss, dass der UNO-Beitritt in unserem Land umstritten ist. Lasst uns darüber einen konstruktiven Dialog führen!

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Im Namen des Bundesrates möchte ich Ihnen die besten Neujahrswünsche entbieten. Den Jüngeren wünsche ich Mut zum Aufbruch und Erfolg im Beruf, den Älteren Gesundheit und Lebensqualität, den Kranken Linderung der Schmerzen, Geduld und Genesung, den Behinderten Kraft und Zuversicht, Ihnen allen Glück und Gottes Segen!

Download Neujahrsansprache 2002 (MP3, 286 kB, 12.09.2014)

Letzte Änderung 30.11.2015

Zum Seitenanfang

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/reden/neujahrsansprachen/2002.html