1989 - Neujahrsansprache von Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz

1. Januar 1989 - Es gilt das gesprochene Wort

Ich grüsse zuerst all jene unter Euch, die körperlich oder seelisch leiden und von Sorgen geplagt sind.

Vielleicht sagen Sie sich, Neujahrsgrüsse und -wünsche seien nur für die anderen, die gerade Ihre Schwierigkeiten nicht selber erfahren haben.

Aber so ist es nicht. Meine Wünsche richten sich vor allem an Sie. Sie sind nicht allein. Unser Volk ist keine Robotergesellschaft. Unser Volk ist fähig zur Solidarität und zu menschlicher Wärme. Menschliche Wärme möchte ich Ihnen bringen und all denen, die sich in unserem Land verlassen und an den Rand gedrängt fühlen. Und das sind nicht wenige.

Aber schauen wir gemeinsam über die Grenzen unseres Landes hinaus, auf die Menschen, die überall in der Welt Not leiden, weil sie Opfer von Naturkatastrophen oder von terroristischer Gewalt sind. Im vergangenen Jahr wurde die Welt von zahlreichen solchen Katastrophen erschüttert.

Sie leiden Not, denn ihre Gesundheit, ja ihr Leben ist gefährdet durch Hunger, Versteppung und Epidemien.

Sie leiden Not, weil sie in ihrer menschlichen Würde verletzt werden, weil sie Tag für Tag Aggressionen ausgesetzt sind und weil ihr höchstes Gut, die Freiheit, gefährdet ist.

Unser Gewissen verbietet uns, bloss Neujahrsgrüsse zu bestellen. Es muss jeden Tag die Not in uns wachhalten und uns zu mitmenschlichem Handeln drängen. An der Erklärung der Menschenrechte gibt es kein Jota zu ändern. Sie muss überall gelebte Wirklichkeit werden.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Schweiz, oder wo Sie auch immer sind! Die Schweiz besteht, weil die Menschen sie gewollt haben. Sie ist in sieben Jahrhunderten harten Ringens gegen die Zeitläufe entstanden.

Das Jahr 1989 ist für die Schweiz ein wichtiges Jahr: für die Schweiz selbst, in der Welt, aber auch für die Schweiz in Europa.

Lassen Sie mich dazu drei Gedanken äussern und drei Wege zeigen, die einzuschlagen wären:

1. Gewiss ist die Schweiz historisch anders gewachsen als die anderen Länder Europas. Anerkennen wir diese Besonderheit! Das bedeutet aber nicht, dass die Schweiz in allen Punkten ein Sonderfall sein muss. Die Schweiz ist und bleibt ein souveräner Staat, aber sie ist keine Insel. Es wäre naiv, wenn wir meinten, die Schwierigkeiten und Probleme in der Welt gingen nur die anderen etwas an.

2. Wir spielen mit in dem Konzert der Nationen. Wenn wir hier eine wichtige Stimme spielen wollen, so müssen wir alle Initiative, Mut und unternehmerischen Geist entfalten, und zwar in allen Bereichen, wir müssen den Mut zum Risiko haben und investieren, schöpferisch sein und ständig erneuern. Wir dürfen nicht der Routine verfallen und uns nicht vom Erfolg und vom Komfort einschläfern lassen. Es wird uns nichts geschenkt. Das vergisst man gern. Wir können nur Grund zur Hoffnung haben, wenn wir zu ständiger dynamischer Erneuerung bereit sind. Das geht besonders die Jugend an. Schenken wir ihr Vertrauen .

3. Die Schweiz ist vielfältig in ihrer Einheit. Sie kann ihre Stärke sein, wenn die Schweizerinnen und Schweizer sich über die Sprachgrenzen hinweg besser kennenlernen. Ich appelliere an diesen stärkeren inneren Zusammenhalt der Schweiz. Wir bereiten jetzt für 1991 die 700Jahr- Feier der Eidgenossenschaft vor. Dieser innere Zusammenhalt soll Anlass sein, uns Europa und der Welt gegenüber in den besten Kräften und Qualitäten zu zeigen, Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, unser Land braucht mehr denn je Ihren persönlichen Einsatz. Ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie dazu bereit sind, und wünsche Ihnen allen ein gutes neues Jahr.

Gott segne unser Land!

Ihnen allen:

Ein glückliches neues Jahr!

Bonne année!

Buon Anno!

In bun onn nov!

Letzte Änderung 01.12.2015

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