1985 - Neujahrsansprache von Bundespräsident Kurt Furgler

1. Januar 1985 - Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Landsleute in der Schweiz und im Ausland,

Zum neuen Jahr wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben und allen, die in der Schweiz leben, Glück und Gottes Segen. Einen besonderen Gruss entbiete ich allen Kranken, Notleidenden, Arbeitslosen, überhaupt allen, die mit Sorge beladen sind. Wir gehören zusammen und teilen daher Freud und Leid.

Leben, miteinander leben in der schweizerischen Demokratie, der Staatsform des Gesprächs und der Geduld, ist eine echte Chance. Der freie Bürger, in seiner Einmaligkeit als Person, mit eigenen Talenten, Grundrechten, die ihm als Mensch zukommen und nicht vom Staat verliehen worden sind, schliesst mit Gleichgesinnten einen Bund, um in Frieden und Freiheit zu leben, möglichst gerechte Zustände zu schaffen und das gemeinsame Wohl zu mehren. Mir scheint, dass unsere Staatsidee heute noch ebenso aktuell ist wie vor 700 Jahren.

Wir haben Weihnachten gefeiert, die Friedensbotschaft vernommen, die allen zuteil wird, die guten Willens sind. Und wir sind glücklich, dass in wenigen Tagen in Genf das erste bedeutende Ost-West-Treffen seit dem Scheitern der früheren Abrüstungsgespräche stattfindet. Die Menschheitskrise ruft nach neuen Anstrengungen, um Kriege zu beenden und neue Kriege zu verhindern, um den Hungernden zu helfen, um allen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Ich heisse die Gesprächspartner im Namen von Bundesrat und Schweizervolk willkommen und wünsche ihnen schöpferische Kraft, Mut und Weisheit für Entscheide, die der ganzen Menschheit dienen.

Wirtschaftlich gibt uns der Jahresanfang Grund zur Hoffnung. Als Land ohne Rohstoffe sind wir heute und morgen auf Exporte angewiesen. Wir müssen Güter produzieren und weltweit verkaufen, um unsere Importe zu bezahlen. Deshalb ist es für unser Land von zentraler Bedeutung, die Herausforderung, die uns durch die modernen Technologien gestellt wird, anzunehmen und zu meistern. Dank einem guten und noch ausbaufähigen Schulungs- und Bildungssystem, dank der Fähigkeit und Willenskraft der Menschen, dank wagemutiger Unternehmer, partnerschaftlich verbunden mit tüchtigen Arbeitern und Angestellten und dank der Freiheit in unserer Eidgenossenschaft, die eine freie soziale Marktwirtschaft überhaupt erst ermöglicht, wird es uns gelingen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen. So bieten zum Beispiel Mechanik und Mikroelektronik zusammen enorme Möglichkeiten, nicht nur für Grossunternehmen, sondern auch für mittlere und kleinere Betriebe. Es gilt, diese Chance zu nutzen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und gemeinsam den Schritt in die Zukunft zu wagen. Nur so können neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nur so kann der soziale Friede, dieses hohe Gut, gewahrt und gefestigt werden .

Ich lade am heutigen Neujahrstag alle ein, unsere Eidgenossenschaft mitzugestalten, an ihr teilzunehmen. Gemeinsam können wir die brennenden Probleme der Gegenwart am besten lösen: Stärkung der freien Gesellschaft, Schutz unserer Lebensgrundlagen, wie Wasser, Luft, Boden, Wald. Ein Wort Albert Schweitzers sei uns wegleitend: «Die Welt wird erst auf die Füsse zu stehen kommen, wenn man einsieht, dass nicht neue Massnahmen, sondern neue Einstellungen dazu notwendig sind.» Tragweite und Tiefe dieses Ausspruchs liegen auf der Hand. Mehr Einsicht in die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, mehr Vertrauen auf die eigene Kraft ergänzt durch eidgenössische Solidarität tun not.

Dazu brauchen wir alt und jung, vor allem auch die junge Generation mit ihren Ideen, mit ihrem Zukunftsglauben. Nicht umsonst wurde das Jahr 1985 zum «Jahr der Jugend» ausgerufen. Es soll bei uns mehr sein als ein schales Alibi. Ich hoffe auf Begegnungen zwischen den Generationen aus allen Landesteilen. Sich besser kennenlernen als Ziel. Die föderalistische Staatsidee verdient es, auf diese menschliche Weise neu gelebt zu werden. Ich grüsse Euch herzlich, liebe junge Mitbürgerinnen und Mitbürger, auch Euch, liebe Buben und Mädchen. Diese Eidgenossenschaft ist Eure Zukunft.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich wünsche Ihnen allen ein gutes neues Jahr!

Letzte Änderung 01.12.2015

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