"Die Menschen in diesem Land sollen Perspektiven haben"

Votum von Johann Schneider-Ammann anlässlich der dringlichen Debatte zur Frankenstärke im Nationalrat (23.09.2015)

Ich bedanke mich für die Diskussion, sie war zweifellos wichtig. Sie hat für mich insbesondere eines gezeigt. Wir haben eine gemeinsame Zielsetzung, und die heisst: Die Schweizer müssen beschäftigt bleiben, die Menschen in diesem Land sollen Perspektiven haben, und das hat etwas mit dem Job zu tun.

Arbeitsplätze dank Rechtssicherheit und Kostenentlastung

Es gibt im Wesentlichen zwei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Die erste Voraussetzung heisst Rechtssicherheit, und die zweite Voraussetzung heisst Kostenentlastung: Dann sind die Unternehmungen an diesem Standort interessiert. Das wurde auch gestern Abend deutlich, als ich zum letzten Mal in einem Unternehmerkreis in der Romandie unterwegs war. Es ist ganz klar, dass die Schweiz als Standort attraktiv ist, attraktiv bleiben kann, wenn es uns gelingt, die Rechtssicherheit zu wahren, also Klärungen vorzunehmen - bilaterale Verträge, um ein Beispiel zu nennen -, und wenn es uns gelingt, die Kosten, die den Unternehmungen auferlegt werden, im Griff zu halten und zu reduzieren. Dann bleiben die Firmen, dann wollen die Firmen hier sein, und dann gelingt es uns, die Vollbeschäftigung sicherzustellen. Unsere gemeinsame Zielsetzung ist also erreichbar.

Deindustrialisierung verhindern

Es wurde jetzt viel von schleichender Deindustrialisierung gesprochen. Ich bin auch der Meinung, dass das passiert. Ich warne davor, und ich habe meine liebe Mühe, um das überall deutlich zu machen. Ich wünsche mir natürlich keine solche Situation, wie sie heute Morgen auch geschildert wurde, um deutlich machen zu können, dass etwas in Bewegung ist, was dann irreversibel sein könnte oder mit aller Wahrscheinlichkeit irreversibel sein wird. Deshalb müssen wir jetzt handeln, damit die Langzeitfolgen nicht unvorteilhaft sind.

Wir sind ein Land, das Perspektiven bieten kann, und das sind wir, weil es uns bisher gelungen ist, den allermeisten in diesem Land eine Lehrstelle zu bieten, den allermeisten einen Job zu bieten. Noch einmal: Ich orientiere mich nur an dieser gemeinsamen Zielsetzung.

Keine Rezession, aber Vollbremsung

Lassen Sie mich zwei Worte zur aktuellen Situation verlieren. Wir sind nicht in einer Konjunkturkrise, aber wir haben ganz klare Bremseffekte, die spürbar sind. Wir haben ein erstes Halbjahr mit Nullwachstum hinter uns, also keine Rezession, aber eine Vollbremsung. Die negativen Effekte sind vor allem im Aussenhandel und im Tourismus zu spüren, da sage ich Ihnen gar nichts Neues. Wichtig ist für uns allerdings, dass die Konjunktur in den verschiedenen Hauptabnehmergebieten einigermassen vernünftig unter Kontrolle bleibt, und ich bin natürlich froh, dass der Euroraum etwas stabilisiert ist, was die Konjunktur anbetrifft, und sogar ein modestes Wachstum aufweist. Das ist für unsere Exporteure ausserordentlich wichtig.

Die Firmen wehren sich, und ich habe allergrössten Respekt vor dem Kampf, der da geführt wird, dem Kampf um Arbeitsplätze. Sie wehren sich, aber sie verlieren Margen. Und wenn man Margen opfern muss, damit man im Markt bestehen kann - und das ist quasi der Normalfall geworden -, dann verliert man auf Dauer die Investitionsfähigkeit in die Innovation. Und wenn die Fähigkeit, in die Innovation zu investieren, reduziert wird, dann sind die Langzeitfolgen nicht sehr vorteilhaft.

Zu den Aussichten: Das Seco hat vor wenigen Tagen die neuesten Prognosen abgegeben. Wir gehen davon aus, dass wir per Ende Jahr ein Wachstum von knapp 1 Prozent haben werden. Wir gehen auch davon aus, dass wir im Jahr 2016 ein Wachstum haben werden, und wir gehen davon aus, dass die Beschäftigungslosigkeit sich in ganz bescheidenem Umfang erhöhen wird und immer noch alles einigermassen unter Kontrolle sein wird. Weil das so ist, ist es eben gefährlich, wenn wir nicht verstehen, dass wir jetzt handeln müssen, damit wir langfristig auf dieser guten Piste unterwegs bleiben.

Flexibler Arbeitsmarkt

Es gibt keinen Garanten für gute Rahmenbedingungen, das dürfen wir nicht in Anspruch nehmen, und Garanten für gute Rahmenbedingungen gibt es vor allem dann keine, wenn sich die öffentliche Hand, wenn sich die Politik zu fest in die privaten Angelegenheiten einmischen wollte. Das heisst mit anderen Worten, und das ist wiederum meine Überzeugung: Ordnungspolitisch müssen wir mutig und korrekt bleiben; Vorschriften ja, wenn sie unbedingt nötig sind, aber nicht so viele wie möglich.

Die Unternehmerschaft muss den Freiraum nutzen können. Je mehr Freiraum die Unternehmerschaft hat, je flexibler sie sich auf die Märkte einstellen kann, desto grösser ist ihre Chance zu bestehen, und desto grösser ist die Möglichkeit, die Beschäftigung sicherzustellen. Dann gibt es, und das sage ich bei dieser Gelegenheit auch wieder einmal, eine Verantwortung, die natürlich auch der Unternehmerschaft zukommt: Die Unternehmerschaft hat mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern höchst vorsichtig umzugehen. Es geht nur miteinander, wenn man in den Märkten bestehen will.

Geld- und Währungspolitik

Zum Stichwort Nationalbank: Die Nationalbank ist unabhängig. Die Nationalbank hat ihre Entscheidung am 15. Januar 2015 getroffen; mit der Zielsetzung, sich einen zusätzlichen Spielraum zu erarbeiten, um ihre Geldpolitik im Interesse der Gesamtwirtschaft unter Berücksichtigung der konjunkturellen Situation machen zu können. Die Nationalbank hat das bundesrätliche Vertrauen, und die Nationalbankpolitik wird vom Bundesrat grundsätzlich mitgetragen. Der Bundesrat nimmt gerne zur Kenntnis, dass die Nationalbank bemüht ist, die Wechselkursrelation zum Hauptabnehmer- und Hauptzulieferermarkt Europäische Union und damit zum Euro so zu stützen, dass die Reise in Richtung Kaufkraftparität geht.
Wenn ich in diesen Tagen gefragt werde, wie es mir geht, dann antworte ich normalerweise: Es geht mir 1.0986. Und wenn es mir 1.0986 geht, geht es mir schon ein Stück besser, als wenn es mir nur 1.0864 geht. Wir sind in einer Volatilität, aber wir sind relativ stabil, näher bei Fr. 1.10 als noch vor wenigen Wochen, als wir noch bei 1.345 waren. Und die Reise ist selbstverständlich nicht abgeschlossen, Kaufkraftparität ist deutlich über Fr. 1.20.

Langfristige Rahmenbedingungen

Welches sind die langfristigen Rahmenbedingungen, von denen ich überzeugt bin, dass wir sie im Auge behalten müssen? Das ist der flexible Arbeitsmarkt, das sind die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union. Das ist auch die unbürokratische, möglichst rasche Klärung von Artikel 121a, dessen Umsetzung mithilft, die bilateralen Verträge aufrechtzuerhalten. Das ist die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit - die Unternehmenssteuerreform III ist angesprochen.

Administrative Entlastung

Und dann bin ich meinerseits bei der administrativen Entlastung. Sie haben es gesagt: Der Bundesrat hat am 2. September diesbezüglich einen neuerlichen Bericht mit 31 Massnahmen aufgelegt. Diese 31 Massnahmen werden jetzt mit Konsequenz an die Hand genommen. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. Die 31 Massnahmen haben das Potenzial, die Bürokratie zu reduzieren, die administrative Belastung der Firmen und insbesondere der KMU zu reduzieren. Aber man muss es wollen, und man muss es mit Konsequenz durchsetzen wollen. (...)

(Gekürzte Version, der Titel und die Zwischentitel sind von der Redaktion admin.ch gesetzt. Quelle: Amtliches Bulletin des Parlaments)
 

Ganze Debatte: Wortprotokoll des Nationalrates

Letzte Änderung 23.11.2015

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