2012 - Ansprache von Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf

1. August 2012 - Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Charas convischinas e chars convischins

Der 1. August, unser Nationalfeiertag, verbindet uns Schweizerinnen und Schweizer, wo auch immer wir sind. Ob in Basel, Yverdon, Bellinzona oder hier in Juf, im Kanton Graubünden.

Juf ist die am höchsten gelegene Siedlung in Europa, die im Sommer und im Winter bewohnt ist. Von hier aus reicht der Blick weit in das Tal hinein, auf die Berge – aber auch über das Tal und die Berge hinweg.

Wir erkennen die Weite, die Distanzen, sehen Zusammenhänge, für die wir im Alltag und in der täglichen Auseinandersetzung mit einzelnen, konkreten Problemen gelegentlich den Blick verlieren.

Wir wissen und wir sind dankbar dafür, dass wir in einem Land leben, wo der Geist der Freiheit, der Demokratie und des Friedens weht.

Das sind die Werte, für die wir uns alle zusammen einsetzen wollen. Das ist das Fundament, auf dem wir gebaut haben und auf dem wir weiterbauen wollen – auch um dem Druck von heute und morgen standzuhalten.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, hat Mark Twain geschrieben. Ereignisse aus unterschiedlichen Epochen sind nur bedingt miteinander vergleichbar. Jede Situation ist neu und einzigartig.

  • Immer wieder, ob im Jahr 1291, 1848 oder 2012 stellen sich aber auch die gleichen Fragen: 
  • Wie gehen wir mit Veränderungen um?
  • Wie gestalten wir unser Zusammenleben?
  • Wie verhalten wir uns in schwierigen Zeiten?

Vieles ist in Bewegung. Die Welt ist unberechenbar geworden, ganz besonders auch die Welt der Wirtschaft und der Finanzen. Mit Rettungsschirmen sollen Banken und der Euro gestützt werden, Schutzwälle gegen die Krise werden errichtet. Wenn in Europa die Dämme wirklich brechen, wird auch die Schweiz mehr oder weniger stark unter Wasser stehen. Das ahnen wir und das fordert uns heraus.

Wie gelingt es uns, auch in schwierigen Zeiten den Weitblick, den Blick für das Ganze zu behalten? Nicht nur hier in Juf, sondern im ganzen Land. Sicher nicht, indem wir wegschauen. Sondern indem wir mithelfen, die Dämme bei uns und in Europa zu befestigen.

Wir tragen Lasten mit, beim internationalen Währungsfonds zum Beispiel. Wir handeln in einer besonderen Lage mit besonderen Massnahmen, sei dies die Nationalbank oder der Bundesrat. Unsere Wirtschaft baut auf ihre grosse Leistungsstärke und erweist sich insgesamt als sehr krisenresistent.

Unsere Wirtschaft ist angewiesen auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Dies ist ein wesentlicher Grund für die Zuwanderung in den letzten Jahren. Im Verlaufe dieses Sommers wird die Schweiz neu 8 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner zählen.
Das Wachstum der Bevölkerung stellt uns vor grosse Herausforderungen – etwa bei der Verkehrsinfrastruktur, bei der Gesundheitsvorsorge, im Sozialbereich oder am Arbeitsplatz.

Die sich stellenden Fragen und Probleme sind offen anzusprechen, Lösungen zu diskutieren und Entscheide zu treffen.

Der Wind wird in den nächsten Jahren wohl auch für die Schweiz noch rauer werden. Nicht zuletzt werden wir den Druck von aussen noch mehr spüren und uns diesem verstärkt entgegenzustellen haben. Besonders wichtig wird sein, dass wir uns nicht gegenseitig in
den Rücken fallen. Es gilt die Reihen zu schliessen und in die gleiche Richtung zu gehen. Nicht nur am 1. August, unserem Nationalfeiertag. Auch morgen und übermorgen.
Die Schweiz hat viele Stärken. Bauen wir auf diesen Stärken auf. Kultivieren wir nicht die Schwächen. Entwickeln wir Stärke und Strategien für kommende Zeiten. Die Zukunft beginnt immer mit den Entscheiden, die wir heute treffen.

Wir wollen weiterhin unseren Staatshaushalt in Ordnung und die Verschuldung tief halten – in Gemeinden, Kantonen und Bund. Denn wer viele Steine im Rucksack hat, erreicht den Gipfel später als andere, oder gar nicht.

Wir investieren in Forschung und Bildung, in Präzision und Qualität. Dafür steht die Schweiz, mehr denn je. So können wir uns behaupten, so kann unsere Wirtschaft auch umweltgerecht und nachhaltig wachsen. So bleiben die sozialen Pfeiler unserer Gesellschaft – die AHV, die IV, die Pensionskassen – tragfähig. Unsere Kinder möchten weiter darauf bauen können.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Hier oben in Juf ist es still. Berge, Steine, Wiesen, einige wenige Menschen und ein paar Tiere prägen das Gesicht der Welt. Weiter unten sieht die Welt anders aus. Mehr Menschen und Maschinen, mehr Hektik und Lärm, vielleicht auch mehr Unsicherheit.

Doch wo auch immer wir gerade sind: Wir müssen das Fundament richtig bauen, damit das Dach hält. Das gilt überall, und das gilt immer. Die besten Dachziegel nützen nichts, wenn die Balken darunter morsch und die Mauern brüchig sind. Dieses Wissen, der Sinn für Qualität und Verlässlichkeit, die Offenheit für neue Ideen und Wege haben die Schweizerinnen und Schweizer geprägt und haben die Schweiz stark gemacht.

Darauf können und wollen wir weiterhin bauen!

En il num dal Cussegl federal giavisch jau a Vus tuts, a Vossas famiglias ed a Voss amis ina bella ed allegraivla festa per il prim d'avust.

Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Ihren Freunden im Namen des Bundesrats einen schönen, fröhlichen 1. August!

Download Nationalfeiertag 2012 (MP3, 5 MB, 15.09.2014)

Letzte Änderung 30.11.2015

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