2010 - Ansprache von Bundespräsidentin Doris Leuthard

1. August 2010 - Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Hier auf dem Lindenberg über dem Aargauer Reusstal mit dem Zugersee und dem Albis in der Ferne – hier bin ich zu Hause. Hier bin ich den Menschen nahe – unseren Traditionen, unseren Werten. Von hier aus kann ich aber auch den Blick in die Weite schweifen lassen. Hier spüre ich jenes Wechselspiel von Nähe und Ferne, von Heimat und Weltoffenheit, das die Schweiz ausmacht.

Nähe und damit Heimat, das sind die Menschen – dort, wo man lebt, sich aufgehoben fühlt, eingebettet in die reichhaltige Geschichte und Kultur unseres Landes, in die Erfahrungen der Generationen vor uns und in die Erfolge, die wir zusammen erzielen.

Auf das Erreichte dürfen wir stolz sein:

  • Dank unserer direkten Demokratie haben Sie als Bürgerinnen und Bürger eine grosse Mitwirkung an der Entwicklung des Staates.
  • Unsere tief in der Gesellschaft verwurzelte Wirtschaft liefert das Fundament für einen beachtlichen Lebensstandart und einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt.
  • Dank einer breiten wissenschaftlichen Basis sind wir auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet.

Die Pflege der Ferne haben wir nicht vergessen. Aus der Erkenntnis heraus, dass wir nie allein stark und mächtig waren und sein werden, haben wir uns ausgetauscht – mit den Nachbarn oder mit fernen Ländern. Wir waren dort solidarisch, wo andere unsere Hilfe brauchten.

Wir haben es immer wieder bewiesen und in der aktuellen Wirtschaftskrise erneut gezeigt: Die Alltagsprobleme meistern wir gut. Voraussetzung ist aber, dass alle ihren Beitrag leisten, jeder an seinem Ort, jede nach ihren Möglichkeiten. Mit dieser Einstellung werden wir auch die grossen Herausforderungen der nahen Zukunft bewältigen:

  • die demographische Entwicklung der Gesellschaft mit der Anpassung der Sozialwerke,
  • die Bewältigung der zunehmenden Mobilität auf Strasse und Schiene und deren Finanzierung oder
  • die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die Sicherung unserer hohen Lebensqualität.

Das wird politische Auseinandersetzungen geben, aber das werden wir gemeinsam und demokratisch lösen.

Wichtiger scheint mir aber, dass wir überlegen, was wir unternehmen, um weiterhin auf dieses Land stolz zu sein. Ich bin überzeugt, wir alle wollen, dass man mit Respekt und Anerkennung von der Schweiz spricht. Was also sind Errungenschaften, die wir erhalten oder gar ausbauen müssen, was sind neue Projekte? Was ist unsere Rolle in der sich verändernden Welt, was unser Beitrag dazu? Wie soll unser Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn aussehen? Wo soll die Schweiz in 10 Jahren stehen?

Ich möchte Sie herzlich einladen, diese Debatte über Fragen einer ferneren Zukunft heute zu beginnen – der 1. August eignet sich besonders dafür. Allein kann der Bundesrat diese Debatte nicht führen. Patentrezepte hat niemand; ich nicht und jene schon gar nicht, die dies im Brustton der Überzeugung von sich behaupten. Nur gemeinsam finden wir Lösungen, die von der Gesellschaft getragen sind. Wir brauchen die Ideen aller Menschen in unserem Land. Eine Debatte ist wichtig und sie hilft uns, die gegenwärtig spürbare Verunsicherung zu überwinden. Gemeinsam können wir den Kompass für die Schweiz neu ausrichten. Demokratie heisst nicht, die Faust im Sack zu machen oder lauthals zu protestieren. Demokratie ist Engagement für die Zukunft der Schweiz. Nutzen Sie Ihre Bürgerrechte daher und beteiligen Sie sich aktiv an der Diskussion.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, pflegen wir die Nähe, kümmern wir uns um das Wohl der Menschen und gehen die Zukunft ohne Scheuklappen an. Nehmen wir aber auch die Ferne ins Visier und engagieren uns aktiv in dieser Welt, wo nach wie vor viele Menschen in Armut und schlechten Verhältnissen leben müssen. Kehren wir zu einer konstruktiven politischen Debatte zurück. Überwinden wir Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Orientieren wir uns am Motto im Bundeshaus in Bern: „Einer für alle, alle für Einen“.

Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Nationalfeiertag.

Download Nationalfeiertag 2010 (MP3, 4 MB, 15.09.2014)

Letzte Änderung 30.11.2015

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