2003 - Ansprache von Bundespräsident Pascal Couchepin zum Nationalfeiertag

1. August 2003 - Es gilt das gesprochene Wort

Bei vielen von uns weckt der 1. August Erinnerungen an Vergangenes – Erinnerungen an die eigene Kindheit oder Jugendzeit. Bilder und Gefühle von damals, sie sind es, was uns in erster Linie mit unserem Vaterland, unserer Heimat, der Schweiz verbindet. 

Manchen erscheinen diese vergangenen Zeiten als die besseren Zeiten. Die Schweiz feiern, das heisst für sie: schwelgen in Erinnerungen an eine Welt, in der noch alles harmonisch und einfach war und es auf alle Fragen eine einfache Antwort gab. 

Die Realität aber ist eine andere. Jede Generation muss das Schweizersein neu erfinden und damit auf ihre Weise an einer nun schon über 700jährigen Geschichte weiterschreiben. Dabei können allerdings die Erinnerungen an den 1. August, an diese Augenblicke des kollektiven Wohlgefühls, eine Quelle der Energie sein, die wir brauchen für unser Projekt einer Schweiz, in der alle Generationen gut zusammen leben können. 

Mit der Erst-August-Feier können wir zum Ausdruck bringen, dass wir nach wie vor an unser gemeinsames Projekt glauben. Wir wollen eine mehrsprachige Schweiz, eine tolerante Schweiz, eine Schweiz, die die einzelnen Kulturen respektiert und aus der Verschiedenheit der Überzeugungen und Werthaltungen ihren Atem schöpft. 

Wir wollen eine Schweiz, die ihren Platz in Europa behauptet, in einem Europa, das im Begriff ist, sich auf friedlichem Weg neu zu bauen. In den Jahren, die vor uns liegen, werden wir zu entscheiden haben, in welcher Form wir an der Entwicklung unseres Kontinents teilhaben wollen. Heute aber schon müssen wir den Mut haben zu zeigen, dass wir da sind und dass wir solidarisch sind, besonders mit jenen Staaten, die neue Mitglieder der Europäischen Union sind oder es werden möchten. 

Zu Beginn dieses Jahres habe ich meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, 2003 möge ein Jahr des offenen demokratischen Dialogs und ein Jahr der Entscheidungen werden. Bisher haben sich meine Hoffnungen erfüllt. 

Die Ereignisse im Irak boten uns Anlass, unsere Meinungen klar zu äussern und dazu zu stehen. Erfreulicherweise sind viele junge Menschen vehement für ihre Überzeugungen eingestanden. Selbstverständlich kamen dabei oftmals weit auseinander liegende Haltungen zum Ausdruck. Bestimmte Engagements prallten an einer harten und alles andere als idealen Wirklichkeit ab. Aber diese unterschiedlichen Positionen haben uns nicht entzweit – im Gegenteil: Wir sind durch sie reicher geworden. 

Im Mai dieses Jahres, als wir über neun Vorlagen abstimmten, hat sich einmal mehr gezeigt, dass die direkte Demokratie in unserem Land bestens funktioniert. Auch hier hat die demokratische Auseinandersetzung unser Bewusstsein für die Probleme erweitert und uns den Blick auf neue Lösungen geöffnet. So schreitet unser Land voran. 

Der 1. August ist ein wichtiger Meilenstein im Jahresverlauf. Ich wünsche mir, dass wir bei diesem Fest um uns herum, und ganz besonders bei den jungen Menschen, die Begeisterung wecken können, an der Zukunft dieses Landes zu bauen. Gemeinsam zu bauen, und dabei nicht nur die Sonderinteressen der eigenen Klasse, Generation und Region im Auge zu haben, sondern in erster Linie das Gemeinwohl. 

Wenn ich das so sage, meine ich nicht, dass es keine legitimen Eigeninteressen gibt; über diesen Eigeninteressen muss aber immer das Wohl des Ganzen stehen. 

Das ist der Gedanke, der uns heute an diesem Fest verbindet: Wir feiern den Sinn für das Gemeinwohl. Diesem Gemeinsinn verdanken wir es, dass wir einen Staat und eine Gesellschaft aufbauen konnten, von denen viele nur träumen können. Wir haben im Jahr 2003 gute Gründe, den 1. August in Freundschaft, Freude und Zuversicht zu begehen.

Download Nationalfeiertag 2003 (MP3, 635 kB, 15.09.2014)

Letzte Änderung 30.11.2015

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