1997 - Ansprache von Bundespräsident Arnold Koller zum Nationalfeiertag

1. August 1997 - Es gilt das gesprochene Wort

Es ist ein schöner Brauch, dass wir unseren Nationalfeiertag mit Höhenfeuern weithin sichtbar machen. Denn Höhenfeuer, die über Täler und Berge hinweg leuchten , sind ein starkes Symbol der Zusammengehörigkeit.
Am 1. August stellt sich aber auch die Frage, wie es mit unserem inneren Feuer für die Schweiz steht. Ich meine jenes Feuer, das sich von den Werten, Ideen und Gefühlen nährt, die unser staatliches Selbstverständnis und die Berufung der Schweiz ausmachen.
Wenn wir einen Blick auf die Geschichte unseres Landes werfen, stellen wir fest, dass die Schweiz immer dann erfolgreich war, wenn die Landesteile, Stadt und Land, Alt und Jung zusammenhielten, wenn die Starken die Schwachen stützten, kurz wenn die Schweiz solidarisch war. Das Zusammenhalten in Not und Anfechtung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte unseres Landes. Die Verpflichtung zur Solidarität im Innern und nach aussen ist im Laufe der Zeit Teil der schweizerischen Staatsidee geworden, ebenso wie unsere direkte Demokratie, der Föderalismus oder die Freiheitsrechte.
Wenn wir daher die grossen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Zukunft meistern wollen, dann brauchen wir eine erneuerte Solidarität. Denn Wirtschaft und Staat müssen heute in gemeinsamer Anstrengung erneuert werden, wenn wir im weltweiten Wettbewerb bestehen wollen.
Die wirtschaftliche Erneuerung ist bereits weit fortgeschritten. Die Privatwirtschaft hat wichtige Restrukturierungen vorgenommen, Bundesrat und Parlament haben weitreichende marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt. Es gibt aber weiterhin viel zu tun: Ich nenne den unbehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt, den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die Sicherung unserer Sozialwerke und die Sanierung der Bundesfinanzen.
Der Erneuerung der staatlichen Institutionen dient die eingeleitete Reform der Bundesverfassung. Sie bietet uns die Gelegenheit, in einem offenen Gespräch klarzustellen, was die Schweiz ausmacht, was uns zusammenhält und worauf wir stolz sein dürfen.
Sie bietet uns aber auch Gelegenheit, dort systematische Reformen anzugehen, wo sie unausweichlich sind, damit unsere direkte Demokratie, unsere Justiz, unser Parlament und unsere Regierung auch in Zukunft funktionsfähig bleiben.
Ich sprach von einer erneuerten Solidarität. Diese innere Erneuerung unseres Landes ist in der Tat das Wichtigste. Solidarität im Innern ist nötig, um die Härten des wirtschaftlichen Strukturwandels aufzufangen. Eine erneuerte Solidarität, die sich mit Blick auf das Ganze auch im gemeinsamen Verzicht bewährt, brauchen wir, um die Interessengegensätze zwischen den verschiedenen Regionen unseres Landes zu überwinden und unsere Bundesfinanzen zu sanieren. Die Solidarität erneuern müssen wir auch, um der humanitären Tradition der Schweiz in der grossen Welt wieder festeren Gehalt und neue Ausstrahlung zu geben. Darauf sind wir gerade als neutraler Kleinstaat besonders angewiesen. Aus diesem Grund hat der Bundesrat die Schaffung einer Schweizerischen Stiftung für Solidarität" vorgeschlagen, mit der wir auf Jahrzehnte hinaus schwere menschliche Not im In- und Ausland lindern wollen.
Wir müssen uns von niemandem belehren lassen. Wir brauchen weder ausländische noch inländische Propheten. Aber ständig erneuern müssen wir uns. Stellen wir uns den heutigen und kommenden Herausforderungen selbstbewusst, solidarisch und offen. Dann wird unser kleines Land nicht nur eine grosse Vergangenheit, sondern auch eine grosse Zukunft haben. Ich wünsche Ihnen allen einen frohen 1. August.

Letzte Änderung 20.09.2018

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