1996 - Ansprache von Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz zum Nationalfeiertag

1. August 1996 - Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Am 1. August 1989 wandte ich mich vom Gotthard, also von der Wiege unserer Heimat aus, an Sie.

Heute, sieben Jahre später, spreche ich auf dem Mont Vully, zwischen Neuenburger-, Murten- und Bielersee. Hier wird im Jahr 2001 die 7. Landesausstellung stattfinden. Auf dieses Ereignis haben wir uns vorzubereiten. Die Expo 2001 soll zusammenführen: nicht nur uns Miteidgenossen, sondern auch Gäste aus nah und fern, die wir zu unserem Fest einladen wollen.

Der Mont Vully ist ein Symbol: Wir befinden uns hier an der Grenze zwischen Westschweiz und Deutschschweiz. Und Sie wissen es alle: Wir müssen die Verbindungen zwischen den einzelnen Landesteilen stärken. Wir müssen uns anstrengen, den Dialog und die Verständigung zwischen unseren vier Kulturen und Sprachen zu fördern: der rätoromanischen, der italienischen, der französischen und der deutschen Schweiz.

In dieser Gegend arbeiten fünf Kantone - Neuenburg, Freiburg, Bern, Jura und Waadt - eng zusammen, um das Jahr 2001 vorzubereiten. Denn die Regionen der Schweiz sollen sich behaupten können, und die eidgenössische Solidarität muss noch besser spielen als heute.

Doch dürfen wir nun nicht einfach in Ruhe fünf Jahre warten, um über unsere Zukunft zu entscheiden. Wir müssen heute handeln, weiter handeln, und zwar ohne Verzug.

Viele von Ihnen sind beunruhigt über die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen, die wir heute durchlaufen: Arbeitsplätze werden abgebaut als Folge von Fusionen und Umstrukturierungen grosser Unternehmen, die Arbeitslosigkeit bleibt hartnäckig, der Bundeshaushalt ist aus dem Lot geraten, die Einkommen sind bedroht, die Ausgaben für die Sozialversicherungen steigen und steigen. All dies führt zu einem Gefühl der Machtlosigkeit, diese Entwicklungen korrigieren zu können. Der Eindruck verstärkt sich, wir seien dieser Situation hilflos ausgeliefert.

Zunächst appelliere ich deshalb an die Verantwortlichen der Wirtschaft. Fahren Sie fort zu erneuern, zu investieren, zu wagen und Ihre Unternehmen zu stärken. Es besteht kein Zweifel: Veraltete Strukturen dürfen nicht künstlich aufrechterhalten werden, schon gar nicht mit staatlicher Hilfe.

Aber vergessen Sie nie die menschliche Dimension Ihrer Entscheidungen. Sie tragen gegenüber Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, gegenüber der gesamten Bevölkerung eine grosse Verantwortung. Die Wirtschaft hat im Dienst der Menschen zu stehen - und nicht umgekehrt!

Sodann appelliere ich an die Sozialpartner. Nehmen Sie den Dialog dort wieder auf, wo er allenfalls abgerissen ist. Führen Sie ihn mit Bestimmtheit. Ich verlange von Ihnen keine Kompromisse um jeden Preis, sondern den ehrlichen Willen zur Verständigung.

Schliesslich appelliere ich an die politisch Verantwortlichen. Angesichts einer Lage, die zu Besorgnis Anlass gibt, sollten wir uns vor populistischen Reden hüten. Vielmehr müssen wir die innerhalb von wenigen Jahren eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen besser erklären. Wir dürfen vor den Rahmenbedingungen der Zukunft unseres Landes nicht die Augen verschliessen.

Dies verlangt von uns, den politisch Verantwortlichen, Klarheit und Mut. Vermeiden wir überdies die Illusion einer Schweiz, die sich von der Welt und unserem Kontinent isoliert. Denn unser Land ist unausweichlich auf sie angewiesen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Schweiz und im Ausland, feiern wir den 705. Geburtstag unseres Landes in Dankbarkeit gegenüber den Generationen, die dieses Land geschaffen haben.

Engagieren wir uns: im Rahmen der direkten Demokratie, im Rahmen unserer Berufe, im Rahmen der unzähligen Vereine, die den Kitt unseres Landes ausmachen.

Setzen wir uns für die Schweiz ein. Wir haben starke Trümpfe in der Hand. Aber wir müssen sie auch ausspielen wollen.

Überall und immer soll somit der Grundsatz gelten: handeln statt klagen!

Auf dass Gott uns schütze.

Letzte Änderung 30.11.2015

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