1987 - Ansprache von Bundespräsident Pierre Aubert zum Nationalfeiertag

1. August 1987 - Es gilt das gesprochene Wort 

Jedes Jahr feiern wir am 1. August den Bund, den unsere Vorfahren aus politischer Notwendigkeit und im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit geschlossen haben. Das Symbol der Freiheitsfeuer vor Augen, wird uns jedes Jahr neu bewusst, dass wir auch heute zusammenstehen und mit neuem Elan in die Zukunft gehen müssen.

Trotz aller kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede finden wir uns einmal im Jahr zusammen, um voller Festfreude die Unabhängigkeit, die Freiheit und die Demokratie zu feiern, diese Ideale, die während Jahrhunderten für die Entwicklung unseres Staates so entscheidend waren.

In vier Jahren feiert die Eidgenossenschaft den siebenhundertsten Geburtstag. Wie das ganze Schweizervolk wünscht auch der Bundesrat, dass es ein grosses, schönes und würdiges Fest werde. Aber wir brauchen nicht diese historische Feier abzuwarten, um uns für einige Momente an unsere Vergangenheit zu erinnern, unsere Gegenwart zu überdenken und Wünsche für die Zukunft zu formulieren.

Seit über 40 Jahren erlebt unser Land eine Zeit ausserordentlicher Prosperität. Dies darf uns jedoch nicht dazu verleiten, uns in unbeschwerter Sicherheit zu wähnen. Wenn wir den Staat, den unsere Vorfahren geschaffen haben, unabhängig, demokratisch und dynamisch erhalten wollen, so dürfen wir uns nicht darauf beschränken, das Erreichte einfach zu bewahren.

Heute kommt es darauf an, dass wir uns der beispiellosen technologischen Revolution mit den tiefgreifenden Umwälzungen, die sie uns aufzwingt, stellen. Mehr denn je sind wir gezwungen, Gewicht auf Forschung und Entwicklung zu legen. Der Staat und die wirtschaftlich Verantwortlichen müssen die notwendigen Massnahmen treffen, um die unvermeidlichen Strukturveränderungen zu erleichtern. Sie müssen zudem alles unternehmen, um die Risiken, welche die wirtschaftliche Entwicklung für unsere Umwelt mit sich bringt, soweit wie möglich zu begrenzen.

Die Geschichte unseres Landes zeigt uns, wie notwendig es ist, dass wir uns der Welt öffnen und uns nicht auf uns selbst zurückziehen. Wenn es noch nötig gewesen wäre, haben uns die jüngsten Ereignisse in Genf in Erinnerung gerufen, dass sich die Schweiz den politischen Spannungen, die unsere Weit bedrohen, nicht entziehen kann. Die Gewalt des Terrorismus, die uns regelmässig erschüttert, trifft unschuldige Opfer. Sie verletzt die Grundrechte des Menschen und damit auch die Staaten, die diese Rechte schützen. Die Achtung der Menschenrechte ist sowohl im Innern als auch in der Aussenpolitik ein Grundpfeiler unseres Rechtsstaates.

In welchem Masse wir fähig sind, den neuen Herausforderungen zu begegnen, die sich uns am Vorabend des 21. Jahrhunderts stellen, hängt stark davon ab, wieweit wir unsere Wirtschaft den neuen Gegebenheiten anpassen und unsere Konkurrenzfähigkeit auf den internationalen Märkten aufrechterhalten können.

Die Leistungen und die Erzeugnisse unserer Betriebe sind gewiss von hoher Qualität, aber wir müssen nach neuen Lösungen suchen und die wissenschaftliche und technische Forschung noch stärker vorantreiben. Ebenso müssen wir die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn verstärken und ihnen zeigen, dass wir auch bereit sind, uns anzupassen, wenn das allgemeine Interesse es verlangt.

Die Bemühungen, die wir unternehmen, um im Europa von morgen nicht isoliert dazustehen, sind deshalb von vitaler Bedeutung. Die Schweiz kann einen eigenen Beitrag leisten zur Gestaltung Europas und mithelfen, diesem den Platz in der Welt zu sichern, der ihm zusteht. Ich denke dabei nicht nur an das Europa der Zwölf, sondern an den gesamten europäischen Kontinent im geographischen Sinne und als vielfältige Einheit von Menschen und Kulturen, die sich dank zahlreicher Verbindungen und dank einer gemeinsamen Geschichte und Zivilisation sowie eines gemeinsamen kulturellen Erbes im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hat.

Wir können für die Herausforderungen der Zukunft aus der Vergangenheit wertvolle Lehren ziehen. Der 1. August gibt uns Gelegenheit, eine Brücke zu schlagen zwischen der Schweiz der Vergangenheit und der Schweiz von morgen. Ich lade Sie ein, diesen Gedenktag voller Freude und im Vertrauen auf Gott zu begehen und dabei die zerrissene und in raschem Wandel begriffene Welt, in der wir leben und in der wir unseren Platz behalten müssen, nicht zu vergessen.

Letzte Änderung 30.11.2015

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