1986 - Ansprache von Bundespräsident Alphons Egli zum Nationalfeiertag

1. August 1986 - Es gilt das gesprochene Wort 

Wir feiern heute den Geburtstag der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Geburtstage lenken den Blick zurück in die Vergangenheit. Als Gemeinschaft unterschiedlicher Sprachen, Konfessionen und Überzeugungen haben wir viele Gründe, der Entstehung unseres freiheitlichen Staatswesens zu gedenken und dankbar und freudig den heutigen Tag zu begehen. Gewiss, die Geschichte unseres Landes ist auch eine Geschichte des Suchens, des Scheiterns und der Versäumnisse, aber sie zeugt nicht weniger von der Bereitschaft und der Fähigkeit unserer Gemeinschaft, immer wieder neue Herausforderungen anzunehmen und sie erfolgreich zu bestehen. Auch angesichts der komplexen Aufgaben, vor denen unser Land heute sieht, sind deshalb Kleinmut und Verzagtheit nicht am Platz.

Die letzten Wochen und Monate haben uns in eindringlichster Weise bewusst werden lassen, dass wir mit der Nutzung moderner Technologien an Grenzen stossen: Der Schutz des Lebens und der natürlichen Lebensgrundlagen muss heute nachhaltiger und konsequenter andern Zielsetzungen übergeordnet werden. Dies ist eine Aufgabe, die von uns nicht nur ein Umdenken, sondern auch entschlossenes Handeln verlangt, bis hin zu Einschränkungen in liebgewordenen Lebensgewohnheiten. Wir haben in der Tat keine Zeit mehr zu verlieren.

Dabei dürfen wir das bisher Erreichte nicht gering schätzen. Manche unserer Gewässer und Seen sind dank gemeinsamer Anstrengungen gesünder geworden. Die beschlossenen und in Aussicht genommenen Vorschriften zur Luftreinhaltung gehören zu den strengsten in Europa; sie werden zweifelsohne längerfristig ähnlich positive Auswirkungen zeitigen wie die frühzeitig eingeleiteten Massnahmen zum Schutze des Wassers. Auch in andern Bereichen gibt es Fortschritte, die uns zuversichtlich stimmen dürfen. Dies gilt etwa für die wirtschaftliche Entwicklung und die sozialen Einrichtungen, die einen beachtlichen Stand erreicht haben. Wir verfügen zudem über ein vielfältig ausgebautes Bildungswesen und eine leistungsfähige Forschung, die wir weiter fördern möchten. Sie sind wichtige Voraussetzungen für die Selbstbehauptung unseres Landes.

Die Schweiz muss sich aber auch als menschliche Gemeinschaft immer wieder neu bewähren. Es ist nicht zu übersehen, dass die Bereitschaft, an der Lösung öffentlicher Aufgaben mitzuwirken, vielerorts gesunken ist. Eine Wiederbelebung des Gemeinschaftsgeistes ist deshalb vordringlich. Eine menschliche und solidarische Schweiz bedarf Ihrer und unser aller Mitwirkung. Denn nur die immer wieder gegenseitig bezeugte und gelebte Anteilnahme kann letztlich auch dem einzelnen Geborgenheit und Zugehörigkeit, kurz: das GefühI der Heimat vermitteln.

Mitmenschlichkeit darf aber nicht an den Grenzen unseres Landes haltmachen. So muss die Schweiz auch nach wie vor bereit bleiben, sich aktiv für ein besseres Verständnis unter den Völkern einzusetzen. In diesem Geiste der Solidarität zwischen Menschen und Völkern, des Respektes vor der Natur und dem Leben wollen wir den Tag der Heimat begehen, im Vertrauen darauf, dass uns der Schutz des Allmächtigen weiterhin erhalten bleibe.

Letzte Änderung 30.11.2015

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