Der Bundesrat nimmt den Bericht der interdepartementalen Arbeitsgruppe «1970» zur Kenntnis
Bern, 11.05.2016 - Die interdepartementale Arbeitsgruppe «1970» hat keine Hinweise darauf gefunden, dass im September 1970 in Genf ein «geheimes Abkommen» zwischen Bundesrat Pierre Graber oder anderen Vertretern der Schweiz und Farouk Kaddoumi, Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), abgeschlossen worden wäre. In ihrem Bericht präzisiert die Arbeitsgruppe zudem, dass sie keine Hinweise auf eine Behinderung der Abklärungen und Untersuchungen der Strafverfolgungsbehörden des Bundes zum Flugzeugabsturz bei Würenlingen im Jahr 1970 gefunden hat. Der Bundesrat hat den Bericht am Mittwoch, 11. Mai 2016, zur Kenntnis genommen. Anschliessend leitete er ihn an die Geschäftsprüfungskommissionen weiter und gab ihn zur vollständigen Veröffentlichung frei.
Die Arbeitsgruppe bestand aus Vertreterinnen und Vertretern des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA, des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD, des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, der Bundesanwaltschaft und des Schweizerischen Bundesarchivs. Sie hatte den Auftrag, zwei Fragen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen um das Jahr 1970 zu klären: Hat die Schweiz während der Flugzeugentführungen im September 1970 nach Zerka in Jordanien ein «geheimes Abkommen» mit der PLO abgeschlossen, um weitere palästinensische Anschläge zu verhindern? Haben die Strafverfolgungsbehörden des Bundes nach dem Flugzeugabsturz von Würenlingen im Februar 1970 vertiefte Abklärungen und Untersuchungen durchgeführt?
Um ihre Recherchen durchführen zu können, erhielt die Arbeitsgruppe Zugang zu allen Dossiers, die sie einzusehen wünschte. Sie prüfte nach dem Vieraugenprinzip rund 400 Dossiers, die von den sechs Eidgenössischen Departementen und der Bundeskanzlei stammten, sowie verschiedene «Fichen» der Bundespolizei. Die Recherchen wurden des Weiteren auf den Privatbestand von alt Bundesrat Pierre Graber und auf das Archiv des Internationalen Komitees vom Roten (IKRK) ausgeweitet. Schliesslich erhielt die Arbeitsgruppe auf Anfrage schriftliche Antworten von Farouk Kaddoumi, von Walter Buser, dem einzigen noch lebenden Teilnehmer der Bundesratssitzungen von 1970, und von Pierre-Yves Simonin, dem persönlichen Berater von Pierre Graber im Jahr 1970, der sich bisher nicht öffentlich geäussert hatte.
Die These eines «geheimen Abkommens» und eines möglichen Zusammenhangs zwischen diesem Abkommen und den Strafverfahren stammt aus dem im Januar 2016 erschienenen Buch von Marcel Gyr «Schweizer Terrorjahre. Das geheime Abkommen mit der PLO».
Die Arbeitsgruppe hat nach Abschluss ihrer Recherchen, deren Umfang und Vorgehensweise im Bericht dokumentiert sind, keine Quelle gefunden, die ein Treffen zwischen Farouk Kaddoumi und Pierre Graber oder hochrangigen Bundesbeamten im September 1970 in Genf bestätigen oder glaubhaft erscheinen lassen. Die Arbeitsgruppe ersuchte Marcel Gyr, die Glaubwürdigkeit jener Informationen zu verifizieren, über die dessen anonyme Quellen möglicherweise verfügten. Marcel Gyr lehnte dies jedoch ab.
Die zum Flugzeugabsturz bei Würenlingen vom 21. Februar 1970 geführten gerichtspolizeilichen Ermittlungen, welche namentlich auch internationale Fahndungs- und Rechtshilfebemühungen beinhalteten, waren umfangreich. Aus den konsultierten Dossiers haben sich keine Hinweise auf eine mögliche, politisch motivierte Einflussnahme des Bundesrats auf das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren ergeben. Insbesondere fehlen Hinweise auf eine Behinderung der Abklärungen und Untersuchungen der Strafverfolgungsbehörden des Bundes.
Der Bundesrat hat den Schlussbericht der interdepartementalen Arbeitsgruppe einschliesslich der Anhänge an die Geschäftsprüfungskommissionen der beiden Räte (GPK) weitergeleitet. Eine Präsentation des Berichts und Anhörungen zum Thema sind an der Sitzung der GPK vom 19. Mai 2016 vorgesehen.
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