«Wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit stärken und die internationale Zusammenarbeit substantiell ausbauen.»

Bern, 23.11.2023 - Eröffnungsrede von Bundesrätin Viola Amherd, Chefin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), anlässlich des Lucerne Dialogue Annual Meetings in Luzern, Donnerstag, 23. November 2023.

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich, heute hier bei Ihnen zu sein und danke für die Einladung.

Lassen Sie mich einleitend eine geopolitische Einordnung der aktuellen Sicherheitslage machen, die über Europa und mein Departement hinausgeht.

Mehr als drei Jahrzehnte lang glaubten wir, dass das Niederreissen des Eisernen Vorhangs das Ende von Kriegen in Europa bedeutet.

Dieser Glaube wurde auf massive Weise zerstört.

Unser Gefühl der Sicherheit wurde durch das brutale Vorgehen Russlands und seine Missachtung des Völkerrechts erschüttert.

Der Krieg in der Ukraine zeigt die ganze Breite einer hybriden Konfliktführung:

Den Einsatz von Desinformation und Propaganda, Cyberangriffen, Spezialkräften, Angriffe auf kritische Infrastrukturen und Destabilisierungsaktionen bis hin zum bewaffneten Konflikt.

Dieser Krieg droht noch eine Weile anzudauern und hat Auswirkungen auch auf die Schweiz.

Ich nenne z. B. die bedrohten Lieferketten, die Versorgungssicherheit, steigende Preise und Menschen, die Zuflucht bei uns suchen.

Aber auch anderswo sehen wir, wie seit Langem bestehende Konflikte erneut mit militärischen Mitteln ausgetragen werden, beispielsweise rund um Bergkarabach oder um Israel und Gaza.

Die Bedrohungslage hat sich weltweit negativ verändert und auch die Konflikte sind komplexer geworden – oft ausgetragen mitten in der Zivilbevölkerung und als Stellvertreterkriege von grossen Mächten.

Heute sehen wir denn auch mehr Konfliktmanagement als Konfliktlösung.

Die Spannungen zwischen Grossmächten und die Instabilität nehmen weiterhin zu.

In dieser Situation ist es wichtig, dass der Sicherheitsbegriff noch breiter als bis anhin verstanden wird.

Die Bedrohungen und Gefahren sind ebenso vielfältig geworden wie die Mittel, mit denen wir diese abwehren oder bewältigen müssen. Das ist zwar nicht neu, aber die Komplexität und Unübersichtlichkeit von Bedrohungen und Gefahren nehmen zu.

Die veränderte Sicherheitslage in der Welt und in Europa zeigt für die Schweiz den grössten Handlungsbedarf in zwei Bereichen auf:

Wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit stärken und die internationale Zusammenarbeit substantiell ausbauen.

Die verstärkte internationale Zusammenarbeit wurde bereits im Sicherheitspolitischen Bericht 2021 als prioritär eingestuft.

Der Zusatzbericht, der erste Lehren aus dem Krieg in der Ukraine zieht, bestätigt die eingeschlagene Richtung und untermauert die Dringlichkeit der Massnahmen.

Die internationale Zusammenarbeit erfolgt auf verschiedenen Ebenen:

Bilateral, vor allem mit unseren Nachbarländern, beispielsweise zwischen den Luftwaffen und im Katastrophenschutz – bei Informationsaustausch, Ausbildung, Training und Einsätzen.

Diese Kooperation ist gut eingespielt.

Multilateral beteiligen wir uns schon lange an der militärischen Friedensförderung in Krisengebieten mit unseren Partnern.

Unser Schwerpunkt liegt auf dem Westbalkan, der weiterhin grosse Spannungen kennt. Ich bin froh, dass das Parlament der Verlängerung des Swisscoy-Einsatzes um weitere drei Jahre zugestimmt hat.

Diese Region braucht weiterhin internationale Unterstützung, um stabil und sicher zu bleiben; das liegt in unserem direkten Interesse.  

Mit den europäischen Staaten wollen wir den regelmässigen Austausch zu sicherheitspolitischen Themen intensivieren, uns an Projekten der EU wie die «Pesco-Projekte» und noch stärker als bislang an Vorhaben der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) beteiligen.

Mit der Initiative European Sky Shield (ESSI) wollen mehrere europäische Staaten ihre Beschaffungsvorhaben von Systemen der bodengestützten Luftverteidigung besser koordinieren und allenfalls bündeln, um Skaleneffekte zu nutzen und die Interoperabilität zu verbessern. Von solchen Vorteilen können auch wir profitieren, ohne Verpflichtungen einzugehen.

Zudem wollen wir dem Europäischen Krisenschutzmechanismus beitreten, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Katastrophen- und Krisenfall erleichtert.

Mit der NATO arbeiten wir z. B. schon lange im Bereich Cybersicherheit und Cyberabwehr im Center of excellence in Talinn zusammen, aber es gibt noch beträchtliches Potenzial.

Dies sind nur einige Beispiele für unsere Zusammenarbeit mit europäischen Partnern und der NATO.

All diese Kooperationen sind mit der Neutralität der Schweiz vereinbar.

Denn das ist jede Zusammenarbeit, die keine Verpflichtungen zur gemeinsamen Verteidigung enthält, sei dies durch rechtliche Vereinbarungen oder Sachzwänge.

Ziel der ausgebauten Kooperation ist, dass wir unsere eigenen Fähigkeiten stärken, Beiträge leisten und dadurch solidarisch sind. Es ist wichtig, Solidarität mit unseren Partnern zu zeigen, denn wir sind auch auf Unterstützung angewiesen.  

Wir sind fest verankert in der westlichen Wertegemeinschaft.

Deshalb sind insbesondere funktionierende bilaterale Beziehungen zur EU absolut zentral für die Schweiz, ihren Wohlstand und ihre Sicherheit.

Stromsicherheit, Medikamentensicherheit, Patientensicherheit, Versorgungssicherheit, Migration, Terrorismus, Naturkatastrophen in Folge des Klimawandels usw. sind Themen, die auf Bundes- und Kantonsebene bearbeitet werden.

Das sind aber auch Themen, die auf Bundes- und Kantonsebene und mit internationalen Partnern angepackt werden müssen.

Aus diesem Grund habe ich die Schaffung des Staatssekretariates für Sicherheitspolitik, SEPOS, beantragt.

SEPOS soll die Kohärenz der verschiedenen sicherheitspolitischen Mittel stärken, sowohl der zivilen wie der militärischen, und die sicherheitspolitische Kooperation im In- und Ausland koordinieren.

Es ist nicht neu, dass das gerade in der föderalen Schweiz nicht einfach ist.

Im Bereich der Verteidigung ist es mit der EU schwierig, da diese bis anhin keine gemeinsame Verteidigungspolitik kannte.

Aufgrund des Ukraine-Kriegs werden diesbezüglich Bestrebungen intensiviert.

So sollen z. B. eine Schnelleingreiftruppe geschaffen werden und die Rüstungsgüter-Beschaffung vermehrt gemeinsam erfolgen.

Der zweite Punkt ist für uns interessant, da wir bei der Rüstungsindustrie klare Abhängigkeiten vom Ausland haben. Damit wir nicht komplett auf Importe angewiesen sind und eine gewisse sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis unterhalten können, muss diese Industrie wettbewerbsfähig sein und exportieren können.

Schweizer Unternehmen müssen sich auch an internationalen Forschungsprojekten beteiligen können.

Eine als übermässig restriktiv wahrgenommene Politik zur Wiederausfuhr von Kriegsmaterial untergräbt die Zuverlässigkeit der Schweiz als Lieferantin, was die Industrie und damit unsere Sicherheit schwächt.

Die Schweiz muss bei der europäischen Zusammenarbeit mitmachen, um einerseits einen Beitrag zur Sicherheit auf unserem Kontinent zu leisten und andererseits, nicht ohne Partner dazustehen, wenn es darauf ankommt.

Auch das ist eine Frage der Verteidigungsfähigkeit!

Mit der Beschaffung des F-35, der inzwischen von 12 Staaten in Europa gekauft wurde, ergeben sich gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Auch das EVA-Projekt Hub for EU Defence Innovation (HEDI) bietet die Möglichkeit, bestehende Innovationsaktivitäten der EVA zu stärken und neue Aktivitäten zu initiieren.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz arbeitet mit der EU und der NATO in den Bereichen Krisenmanagement und Resilienz – vom Schutz kritischer Infrastrukturen über Lieferketten bis hin zum Katastrophenschutz aktiv mit.

Für die Schweiz ist es wichtig, wie sie sich international positioniert.

Die Schweiz gehört zur westlichen Wertegesellschaft und sie muss auch entsprechend handeln.

Auf dem Weg der bilateralen Zusammenarbeit mit der EU müssen Fortschritte erzielt werden.

Ich bin überzeugt, dass eine gute Zusammenarbeit mit der EU unabdingbar für die Schweiz ist, nicht nur im Bereich der Sicherheitspolitik.

Mit einem geordneten und gestärkten Verhältnis zur EU gewinnt die Schweiz an Handlungsspielraum und dadurch an Souveränität.

Klare Regeln, eine enge Einbindung in Versorgungsnetzwerke und ein starkes Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit Partnern, die unsere Werte und Interessen teilen, sind für die Schweiz bedeutend.

Dies mit Blick auf Akteure, die unsere Werte nicht teilen, und mit Blick auf die vielen heutigen und zukünftigen Spannungsherde der Welt.

Derzeit lässt der Bundesrat ein Verhandlungsmandat für die EU-Beziehungen ausarbeiten, basierend auf den Eckwerten, die wir im Juni verabschiedet haben.

Ich bin zuversichtlich, dass wir vorankommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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