Einige Bemerkungen zum Föderalismus

Bern, 16.10.2023 - Treffen von kantonalen und kommunalen Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten in Bern, 13. Oktober 2023 Bundeskanzler Walter Thurnherr

«Der Föderalismus ist die Staatsform der Zukunft.
Es ist ein Missbrauch des Begriffs Föderalismus, ihn
zur Parole des untätigen Treibenlassens, des Neinsagens
und des Barrikadenbaus gegen die Zukunft zu machen.»

Herbert Lüthy

 

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident
Sehr geehrte Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten
Sehr geehrte Frau Nationalrätin, sehr geehrter Herr Nationalrat
Sehr geehrte Damen und Herren

Der Erfolg der modernen Schweiz liegt nicht in erster Linie im beeindruckenden Wirtschaftsaufschwung des 19. Jahrhunderts. Sondern im Umstand, dass sich Menschen ab 1848 als Schweizerinnen und Schweizer zu verstehen begannen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Der Händler in Genf, der die Welt bereist hatte, genauso wie der Hirt in Graubünden, dem schon das Nachbardorf gestohlen bleiben konnte. Der vermögende Burger in Bern genauso wie die verarmte Bäuerin in Bellinzona. Der Protestant aus Diessenhofen genauso wie der Katholik aus dem Entlebuech. Ja, sogar Basler und Zürcher gewöhnten sich an die Erfahrung des gemeinsamen Austauschs, und an den Gedanken, dass bei den andern – mindestens, wenn man genügend lange suchte und dabei Glück hatte – auch einige Vernünftige zu finden waren.  Überall in Europa suchte der Nationalismus rabiat die Staatsgrenzen entlang der Sprachgrenzen festzulegen, während bei uns langsam und nicht ohne Rückschläge das aufgebaut wurde, was heute manche Regierung verzweifelt zu schaffen versucht: Nämlich ein Verständnis, dass man gleichberechtigte Bürgerin und selbstbewusster Bürger eines Landes sein kann, auch wenn man sonst sehr verschieden ist.

Siamo un Paese non perché parliamo una sola lingua, bensì perché ne parliamo quattro; non perché condividiamo una sola fede, bensì perché permettiamo a tutti di avere la propria; non perché ci siamo sconfitti, bensì perché ci siamo uniti.

Das ist eine immense Leistung, auf die wir stolz sein können. Eine Errungenschaft, der wir Sorge tragen müssen – denn was errungen ist, kann auch wieder verloren gehen. Und ein Erfolg, der natürlich viel mit dem Föderalismus zu tun hat. 

Heute sind in diesem Saal alle drei Ebenen der Legislative vertreten. Der Präsident des Nationalrates hat mich eingeladen, zu Ihnen zu sprechen und hat mir dafür zwei mögliche Themen vorgeschlagen: Entweder a) «die landschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorzüge des Kantons Graubünden aus Sicht des Bundeskanzlers, unter spezifischer Berücksichtigung aller Vorzüge der fantastischen Surselva» oder b) «einige persönliche Bemerkungen zum Föderalismus». Ich habe b) gewählt, für a) hätte die Zeit für die anschliessenden Ergänzungen des Präsidenten nicht gereicht. Ich beschränke mich auf drei Punkte:

Erstens: Der Föderalismus ist ein unerhörter Vorteil. Er gab von Anfang an zu reden. Einig war man sich nie. Aber ohne Föderalismus wäre die moderne Schweiz nicht entstanden, oder sie hätte nicht lange überlebt. In diesem Saal, und im ehemaligen Nationalratssaal etwa hundert Meter westlich von hier, war nie klar und eindeutig, was genau in den Kantonen und Gemeinden und was auf Stufe Bund zu regeln ist. Die Debatten waren zum Teil ermüdend. Als etwa in den 1850er Jahren die Flössordnung des Kantons Graubünden zur Diskussion stand und bei dieser Gelegenheit Nationalrat Pottier aus dem Wallis gegen die Einmischung des Bundes das Wort ergriff – Sie erkennen hier gewisse Konstanten – mochte sich der Rat nur mässig erwärmen. Die Basler Zeitung schrieb: «Darüber entspinnt sich nun eine höchst langwierige Diskussion und zwar unter so geringer Aufmerksamkeit der passiven Mitglieder, dass viele davon sich entfernen, um frische Luft zu schöpfen, einige sich hin und wieder dem Morpheus in die Arme werfen und andere sonst allotria treiben» (1). (Klammer: Morpheus, der Gott der Träume, Sohn des Hypnos, des Gottes des Schlafs). In der Regel ist es aber umgekehrt: Kaum eine Debatte wird so heftig und schwülstig geführt wie der Streit um die Zuständigkeiten und den richtigen Einbezug. Nur wenn es ums Geld geht, wird es leidenschaftlicher in der Schweiz, und einzig in der Aussenpolitik wird noch häufiger auf eine mit patriotischer Holzwolle verpackte Urgeschichte der Eidgenossenschaft zurückgegriffen. Die Argumente sind nicht immer dieselben: In der verbissen geführten Diskussion vom Frühjahr 1854 über die Gründung einer eidgenössischen Universität meinte der Abgeordnete von Freiburg, ein guter Katholik könne zu einer Universität kein Vertrauen haben, wenn «die Professoren von einer Behörde gewählt würden, deren Mehrheit nicht katholisch sein soll» (2) – als ob die katholisch gelehrte Chemie weniger Russ produzieren und die Algebra deswegen lustiger würde. 

Aber im Grundsatz ging und geht es beim Föderalismus in den letzten 175 Jahren immer um dasselbe: Welche Regulierung muss national sein, weil es einfacher ist, oder einheitlicher, oder billiger, oder nicht anders möglich. Und welche Zuständigkeit soll eben gerade nicht nach Bern verschoben werden, weil damit ein Wettbewerb von Ideen, die Bürgernähe, der Respekt vor den spezifischen Umständen vor Ort oder der Minderheitenschutz gewährleistet bleiben soll. Diese Abgrenzung kann nicht berechnet, sondern muss ständig aufs Neue geprüft und erstritten werden. Und jedes Mal sollte man sich daran erinnern, dass der moderne Bundesstaat nur deshalb möglich wurde, weil Bern «das mit dem Bund» sehr vorsichtig, handgerecht, einfallsreich und rücksichtsvoll anging. «Eine Nation…», so hiess es später in einer Denkschrift, «…, die ausschliesslich auf dem Willen ihrer Bürger beruht und keine andere Rechtfertigung hat als die Zustimmung ihres Volkes, kommt nur zustande, wenn jeder ihrer Angehörigen persönlichen Anlass hat, sich aus eigener Entscheidung einzuordnen» (3). Mit anderen Worten: Der Bund musste – und muss noch immer – ein überzeugender, und nicht nur ein verfügender, ordnender und verpflichtender Bund sein. Francesco Chiesa gab in einem Aufsatz über das Tessin im Jahre 1848 drei wesentliche Gründe für eine Zugehörigkeit zu diesem Bundesstaat an: «Tre cause: il beneficio d’essere liberi, la possibilità di conservare nelle leggi e nel governo le tradizioni locali, e il sentimento di benevolenza e die fratellanza che deriva dalla consuetudine e dalla gratitudine».  Bis heute umfasst dieser Bund eine zum Teil weniger dankbare als rebellische Gemeinschaft sich selbstständig verstehender Kantone, welche sich zwar darauf geeinigt haben, Handel zu treiben, Zölle abzuschaffen und einander beizustehen, die sich aber sonst eigenständig organisieren wollen und schon aus Prinzip jeden Zentralismus aus modischen Gründen ablehnen. Bundesbern tut gut daran, sich dessen bewusst zu bleiben.

Zweitens, der Föderalismus ist unter Druck, und er bleibt unter Druck, zum Teil aus falschen und zum Teil aus guten Gründen. Ich weiss nicht, wie es Ihnen ergangen ist in der Pandemie. Ich persönlich habe unglaublich viele Föderalismus-Experten kennengelernt: Sobald zwei Kantone zum selben Problem nicht genau dieselben Massnahmen beschlossen hatten, schrieb einer dieser Experten aufgeregt über den nationalen Flickenteppich. Andere schlossen sich ihm an, jeder hatte eine Meinung, und viele verbreiteten die Empörung über ihr Smartphone. Das Internet hat uns bekanntlich alle zu mitteilsamen Experten auf allen Gebieten gemacht. Früher, als man die Leute noch auffordern musste, politisch mitzureden, passte die Provokation von Bundesrat Ritschard an die Adresse der Unbeteiligten: «Nicht jeder der schweigt, ist ein Philosoph. Es gibt auch verschlossene Schränke, die leer sind». Heute, angesichts der sozialen Medien, würde er wahrscheinlich ergänzen: «Und nicht jeder, der ständig herumtweeted, ist ein Philosoph. Es gibt auch offene Schränke, bei denen ein paar Tassen fehlen».

Aber die Diskussion machte deutlich, dass die Schweiz in den letzten hundert Jahren stark zusammengewachsen ist; dass man kurzerhand in einen anderen Kanton ausweicht, wenn im eigenen die Restaurants geschlossen werden; und dass man nicht mehr ohne Weiteres versteht, weshalb wenige Kilometer entfernt grundverschiedene Regeln gelten sollen, nur weil dort ein anderer Halbkanton beginnt. Als ich in dieser Phase der Pandemie für Gespräche nach Berlin reiste, erklärte mir vor Ort der Chef des Bundeskanzleramts in einer angeregten Diskussion, dass, wie man nun herausgefunden habe, sich selbst Katzen und Hunde mit dem Covid-Virus anstecken könnten. Da er an dieser Stelle eine rhetorische Pause einlegte, um seine Aussage wirken zu lassen, und weil mir gerade danach war, drehte ich mich unserem Botschafter zu und fragte ihn leise, aber deutlich genug, ob das denn bei uns in der Schweiz auch so sei. Der Botschafter verzog keine Miene und antwortete trocken, bei uns sei das von Kanton zu Kanton verschieden. Während die Deutschen herzhaft lachten, wendete ich mich wieder gefasst dem Chef des Bundeskanzleramts zu und tat so, als wäre dies genau die Antwort, die ich erwartet hatte. 

Was 1848 vielleicht noch zugetroffen hätte, ist heute etwas anders. Die Zeiten haben sich geändert, und am besten sieht man das an der Zeit selbst. 1848 hatte noch jeder Kanton eine andere Zeit. Und zwar nicht nur, weil die Sonne in Genf 16 Minuten später untergeht als in Rorschach. In Basel gingen alle Uhren eine Stunde vor. Böse Zungen behaupteten, dies gehe auf das Basler Konzil (1431 bis 1449) zurück, als die schlauen Basler, um die langweiligen Sitzungen des Konzils abzukürzen, die Uhr am Münster um eine Stunde vorstellten. Bei den Tessinern war es noch schwieriger. Ihre Zeitzählung begann bei Sonnenuntergang und ging durchgehend von 1 bis 24 Uhr. Ein Uhr im Tessin war also etwa 19.30 Uhr hier. Zwei Uhr war 20.30 Uhr und 23 Uhr im Tessin war dann ungefähr 06.30 Uhr am Morgen in Bern (4). In den einen Städten richtete man die Uhr nach der Sonne aus, in anderen nicht. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander, und es störte auch nicht. Denn wenn etwa ein Nationalrat von der Session in Bern zurück in die Ostschweiz reiste, brauchte er drei Tage. Da kommt es auf die eine oder andere Stunde nicht an.

Aber dann kam die Telegrafie, und der Bundesrat schrieb 1851 in seiner Botschaft an das Parlament: «Der Raum verschwindet und eine Nachricht, die an der Nordsee dem galvanisierten Draht anvertraut wird, kann in derselben Minute dem Beobachter am Mittelmeere bekannt gemacht werden». Wenn die räumlichen Distanzen verschwinden, müssen sich auch die Zeitunterschiede auflösen, das sah man schon vor Einstein so, und folgerichtig liess Bundesrat Josef Munzinger zwei Jahre später im Amtsblatt veröffentlichen, dass ab Juli 1853 Schluss sein soll mit dem Kunterbunt und dass alle Uhren in den Telegrafenbüros, den Postbüros sowie die Kursuhren der Kondukteure jeden Morgen um 7 Uhr einheitlich und übereinstimmend nach der mittleren Zeit des Meridians von Bern gerichtet werden sollen. Heute stört sich niemand mehr daran, dass wir von einem Kanton in den anderen reisen können, ohne die Uhren umstellen zu müssen. Und selbst die Umstellung auf die mitteleuropäische Zeit im Sommer 1894 haben wir überlebt, ohne dass die Fundamente unserer Unabhängigkeit grösseren Schaden erlitten hätten. Aber es war natürlich ein Schritt der Zentralisierung und der Kompetenzbeschränkung der Kantone.

Ich beschreibe das hier so ausführlich, weil wir auf anderen Gebieten seit Jahrzehnten Vergleichbares erleben. Die Technologie verkürzt den Raum, vergrössert die Mobilität, erweitert den Horizont und verkleinert das Verständnis für lokale Regel-Unterschiede. Die Eisenbahnen, die Autobahnen, das Stromnetz, der Flugverkehr, die Sozialversicherungen, die Migration, die Digitalisierung etc. etc. Sie alle führen zu mehr Absprachen, nationalen Gesetzen und internationalen Verträgen. Immer zu Lasten des Handlungsspielraums von Gemeinden und Kantonen, aber nicht, weil man sich gegen die Kantone verschworen hätte, sondern weil sie eine notwendige Voraussetzung für die Zusammenarbeit sind.

Berücksichtigen Sie weiter die zahllosen finanziellen Abhängigkeiten, die sich in den letzten hundert Jahren quer durch das Land und durch alle föderalistischen Ebenen hindurch ergeben haben, und Sie erkennen, wie schwer durchschaubar der Föderalismus geworden ist. Oder wie es Herbert Lüthy bereits 1964 und sogar noch etwas giftiger formulierte: «Die Durchwässerung der Eidgenossenschaft mit Bundessubventionen und die wachsende Komplexität der Finanzausgleiche sind die greifbarsten Indizien dafür geworden, dass die formal so eifersüchtig gewahrten Kompetenzausscheidungen zwischen dem Bund und den Gliedern längst keiner sauberen und sachgerechten Verteilung der Aufgaben mehr entsprechen». Der Föderalismus bleibt unter Druck. Druck erzeugt oft Gegendruck. Zuweilen steigt die Temperatur, es verjagt ein Ventil, und es heult und pfeift im ganzen Maschinenraum. Aber der Bundeskessel hat bis heute gehalten. Was ist zu tun, dass es so bleibt? Dazu meine dritte Bemerkung.

Drittens, das politische Handwerk ist entscheidend. Die politische Schweiz stützt sich viel stärker als es vielleicht den meisten bewusst ist auf den nicht verbrieften Anspruch der informellen Konsultation, auf spontane Anhörungen, Gespräche und Verständigungen, auf den Einbezug und die kleinen Gesten der Rücksicht gegenüber allen, die einen Entscheid umzusetzen oder mitzutragen haben. Neben allen schriftlichen Vernehmlassungen, Gesetzen und Verordnungen, die das formale Verhältnis unter den Institutionen definieren und abstecken, sind diese davon unabhängigen und darüber hinausreichenden direkten Kontakte der indirekten Wertschätzung und des Rateinholens von unerhörter Wichtigkeit, namentlich wenn es um das Verständnis unter den föderalen Ebenen geht.

Mesdames et Messieurs, C’est quand on demande à quelqu’un son avis qu’il se sent vraiment intégré. Non pas au moyen de questionnaires écrits ou de procédures compliquées, mais par téléphone ou lors d’une réunion. Ou même à l’occasion d’un repas pendant lequel le conseiller fédéral se penchera vers le conseiller d’État pour lui chuchoter à l’oreille : « François, tu en penses quoi? », « Brigitte, tu pourrais me donner un coup de main dans ce dossier ? ». Et tout à coup, là où il n’y avait avant que de la résistance, on voit poindre chez l’autre de la compréhension. Peut-être même qu’il vous donnera un conseil… et même un bon conseil parfois. Ou vous aurez une réponse du genre : « Si tu supprimes cet article, je rediscuterai du projet avec les communes ». Et bien sûr, ce conseiller d’État, cette conseillère d’État ne dira pas ensuite à ses collègues : « J’ai parlé de la question avec le conseiller fédéral Berset ou Parmelin, j’étais contre, mais maintenant je suis pour ». Mais peut-être dira-t-il : « Attention, c’est un peu plus compliqué que ça... ». Bref, l’expérience ne cesse de confirmer cette simple réalité : un échange direct et personnel ne débouche sûrement pas tout de suite sur un compromis, mais il favorise grandement la compréhension réciproque. Cette compréhension de l’autre est essentielle dans notre structure fédéraliste, comme l’a notamment montrée la période récente de crises que nous avons tous vécue, avec le recours au droit de nécessité.

Il y a toutefois deux réalités à ne jamais perdre de vue :

a) Parler, oui bien sûr… mais encore faut-il être compris. Qui veut consulter sur un projet doit pouvoir le faire dans plus d’une langue nationale. Un conseiller fédéral alémanique doit pouvoir s’entretenir avec un conseiller d’État romand, et un conseiller fédéral romand, avec le gouvernement d’Uri ou de Glaris. Et inversement, un conseiller d’État genevois doit pouvoir comprendre les arguments des directeurs cantonaux des finances, même s’ils sont formulés en allemand ou en italien lors de la conférence. Pour qui veut faire de la politique en Suisse, les langues ne sont pas un simple passe-temps, elles sont un outil indispensable. Et je ne suis pas sûr à cet égard que l’évolution va toujours dans la bonne direction.

b) Parler, oui… mais encore faut-il être capable d’écouter. Écouter, ce n’est pas seulement attendre que l’autre ait fini de parler pour pouvoir à nouveau développer ses propres arguments. Écouter, c’est être disposé à comprendre l’autre. Il n’est du reste pas très suisse de se montrer intransigeant et martial, même en brandissant un drapeau ou une cloche de vache ; de considérer qu’il n’y a qu’une seule vérité, la sienne, et que celui qui ne la partage pas trahit le pays ; de chercher à imposer les exigences les plus maximales sans jamais en dévier, parce que l’on n’a en tête que les intérêts de son parti ou de sa région, et non ceux du pays. On voit actuellement aux États-Unis où cela peut mener. Alors que c’est justement l’un des pères de la Constitution américaine qui a fait ce constat , tellement valable pour nous aussi : « Compromisers do not make great heroes, but they do make great democracies » (Les compromis ne font peut-être pas les grands héros, mais ils font les grandes démocraties).

Nous devons absolument avoir ces deux réalités en tête. Au cours des dernières décennies, nous avons mis en place de nombreuses institutions, conférences et plates-formes de dialogue pour favoriser les échanges entre la Confédération et les cantons. Une Maison des cantons a été inaugurée à Berne, et certains cantons envoient même des ambassadeurs au Palais fédéral. Mais ce dont nous avons vraiment besoin, ce n’est pas d’institutions ou de lois, c’est d’un état d’esprit.

Meine Damen und Herren, wer heute nachliest, was der Schriftsteller Robert Walser vor knapp hundert Jahren auf dieser Tribüne da oben über die Delegierten da unten geschrieben hatte, kann den spöttischen Ton gut heraushören. Er sprach von den «anwesenden Insgewichtfallenden», von den «Stilldasitzenden» und einer «im ganzen Haus nicht zu leugnenden Schläfrigkeit». Er war auch nicht überzeugt von den rhetorischen Talenten im Saal, zum Beispiel, als er über einen Herrn im vorgerückten Alter schreibt: Er «fängt zu sprechen an, und nach einer Minute belebt mich die Gewissheit, dass er zu verzichten scheint, grossen Eindruck zu machen; denn er verhielt sich rednerisch gewissermassen so, dass man beim Aufmerksamsein leise einnickte» (5). Heute wird dieser Saal, und wohl auch der Saal Ihrer politischen Arbeit in den Kantonen für bedeutend mehr Dramatik genutzt, vor allem, wenn die Medien das Geschehen mitverfolgen. Aber trotz aller zuweilen vielleicht sogar berechtigten Kritik, möchte ich dagegenhalten. Die Räte in diesem und in Ihren Sälen haben eine gewaltige Verantwortung. Sie kommen alle aus einer Gemeinde, nehmen die Interessen ihrer Region mit und vertreten sie. Und zwischen den Sessionen kehren sie zurück und versuchen zu Hause die Haltung von Bundesbern oder des Kantons zu erklären. Die Legislativen sind wesentliche Träger und nicht nur die Taktgeber in unserem föderalistischen System.  Sie prägen und leben den Föderalismus. An Ihnen, meine Damen und Herren, liegt es, wenn eigene Interessen im Interesse des ganzen Landes zurückgestellt werden müssen. Wenn es gilt, Rücksicht auf eine Minderheit zu nehmen, statt eine Mehrheit durchzudrücken. Und wenn man mit Mass und Umsicht handeln muss, statt sich auf Twitter auszulassen. Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihr Engagement und Ihre Arbeit. Der Föderalismus braucht reife Köpfe. Und wenn wir ehrlich sind, nicht nur der Föderalismus.

Wir sind ein Land, nicht weil wir eine einzige Sprache sprechen, sondern weil wir vier Sprachen sprechen. Nicht weil wir einen Glauben teilen, sondern weil wir jedem seinen Glauben lassen. Nicht weil wir einander besiegt haben, sondern weil wir uns zusammenschlossen.

Siamo un Paese non perché parliamo una sola lingua, bensì perché ne parliamo quattro; non perché condividiamo una sola fede, bensì perché permettiamo a tutti di avere la propria; non perché ci siamo sconfitti, bensì perché ci siamo uniti.

Und ein stolzes Land wollen wir auch bleiben. Und damit möchte ich auch schliessen, oder wie der Nationalratspräsident sagen würde:

Grazia fitg. Vegni bain a chasa.  

Fussnoten:  

  • (1): Jürg Düblin, die Anfänge der Schweizerischen Bundesversammlung
  • (2): Ibid.
  • (3): Hermann Weilenmann: Der Weg zur Viersprachigkeit
  • (4): In Sessa im Malcantone, wo Bundesrat Ignazio Cassis aufgewachsen ist, zeigte die Uhr am Kirchturm noch bis 1864 die «italienische Zeit» an. Vgl. auch: Jakob Messerli, Zeiteinteilung und Zeitgebrauch im 19. Jahrhundert in der Schweiz.
  • (5): Robert Walser, das Parlament, 1926 


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