1. August-Ansprache: «Sicherheit und Eigenständigkeit gehören zur DNA der Schweiz»

Bern, 31.07.2023 - Ansprache von Bundesrätin Viola Amherd, Chefin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) anlässlich des Nationalfeiertags in Luzern, Montag, 31. Juli 2023.

Es gilt das gesprochene Wort

En schöne güete Abund alle zäme!

Ich wurde hier in Luzern schon zweimal ausgeladen, habe mich aber nicht unterkriegen lassen, auch nicht von einer Radiusköpfchenfraktur am Ellenbogen... Auch das Organisationskomitee ist hartnäckig geblieben und hat mich jetzt zum dritten Mal eingeladen. Das ist eine Win-win-Situation, die mich besonders freut, denn wir haben es ja auch einer gemeinsamen Hartnäckigkeit zu verdanken, dass wir dieses Jahr den 175. Geburtstag der Eidgenossenschaft feiern können.

Hientamal braucht es auch heute einen harten Kopf.

Wir können dabei aber locker bleiben und Vertrauen in uns und unsere Fähigkeiten haben.

Wenn die Schweiz eine Medaille namens «Helvetia» wäre, stünde auf einer Seite die Zahl 1 für die erste Demokratie Europas inmitten von Monarchien. Die andere Seite würde eine schier unglaubliche Kontinuität symbolisieren.

Denn während in den vergangenen 175 Jahren alle Staaten rund um uns viele Leben gelebt haben, lebt die Eidgenossenschaft als einziger Staat in seiner ursprünglichen Form bis heute.

Vergessen wir also nicht, dass unsere föderalistische Struktur und die uns allen heiligen freiheitlichen Grundrechte nie missbraucht wurden, um in irgendeinem Namen irgendeine «neue Ordnung» zu schaffen. «Sicherheit» und «Eigenständigkeit» gehören zur DNA der Schweiz. Weil ich nicht Biologin bin, musste ich in einem Kinderbuch nachschauen, was DNA bedeutet: Dort wird sie als eine Art Buch beschrieben, «das eine Bauanleitung enthält, wie man alle Teile eines Lebewesens herstellt, z.B. die Muskeln oder die Spucke, und wann und wo die einzelnen Teile hergestellt werden sollen».

Eine Bauanleitung enthält auch unser Buch namens «Bundesverfassung».

Dort steht gleich in der Präambel, dass «sich das Schweizervolk und die Kantone ihre Verfassung selbst geben», und zwar «im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken» und «im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben». Ohne Offenheit und Weitsicht wären wir nicht so weit gekommen und auch nicht so weit herumgekommen. Viele sind, teilweise der Not gehorchend, voller Hoffnungen emigriert, andere folgten voller Selbstvertrauen einer Vision.

Davon zeugen Orte wie «Nueva Helvecia» in Uruguay und «New Helvetia» in Kalifornien oder herausragende Persönlichkeiten wie der Autobauer Louis Chevrolet, die Pionierin der Sterbeforschung Elisabeth Kübler-Ross, die Schriftstellerin und Fotografin Annemarie Schwarzenbach oder der Physiker Albert Einstein. Es ging aber auch über die weite Welt hinaus: Der erste Schweizer Astronaut, Claude Nicollier, und Thomas Zurbuchen wurden gar in einem Asteroiden verewigt.

Thomas Zurbuchen, bis vor Kurzem Wissenschaftsdirektor der Nasa, wird ab morgen an der ETH Zürich die Weltraumwissenschaften vorantreiben und eine nächste Generation von Führungskräften für die Raumfahrt ausbilden. Das sind nur einzelne Beispiele von mutigen Schweizer Frauen und Männern in der Welt und im Weltraum.

Gleichzeitig haben Immigrantinnen und Immigranten auf der Bodenstation Schweiz kleine, mittlere und grosse Unternehmen aufgebaut, Universitäten mitgestaltet und unsere Spitäler und Altersheime verstärkt. Sie haben so mitgeholfen, die Schweiz als einen der gefragtesten Wirtschafts- und Forschungsstandorte zu etablieren und unseren Wohlstand bis ins Alter zu tragen. Zusammengezählt kommt man so zum Resultat «Swiss finish».

Die einzelnen Teile des Lebewesens Schweiz wurden also in einem stetigen Prozess des Gebens und Nehmens zusammengebaut. Alleine wären wir nie so weit gekommen, und alleine werden wir auch künftig nicht weiterkommen. Als Verteidigungsministerin befasse ich mich beruflich damit, gemäss Art. 2 der Bauanleitung die Unabhängigkeit und Sicherheit unseres Landes zu wahren.

Sicherheit besteht aber nicht einfach nur aus Truppen und Waffen, sondern sie ist auch ein Gefühl. Den Weg vom armen Agrarstaat zum erfolgreichen Wirtschafts- und Forschungsstandort hätten wir nicht geschafft, wenn unsere Vorväter und Vormütter nicht auch dafür gesorgt hätten, dass sich alle sicher fühlen, und zwar zuhause, in Europa und in der Welt.

Dafür brauchte es Freunde, eine gut vorbereitete, aber damals zum Glück nur für den Grenzschutz eingesetzte Armee, diplomatisches Geschick und zwischendurch eine vermittelnde Hand.

Vergangenheit und Gegenwart können einander aber unvermittelt sehr nahekommen: Mit der Bundesverfassung von 1848 als Antwort auf den Sonderbundskrieg haben wir unsere letzten inneren Wirren hinter uns gelassen, während rund um uns zahlreiche Fackeln der Gewalt gebrannt haben. Heute brennen nur wenige Wegstunden von uns ganz andere Fackeln.

Ihre zerstörerische Kraft bedroht Europa wie nie seit dem letzten Weltkrieg, und zwar in alten und neuen Formen aus der Luft und aus dem unbegrenzten Cyberraum. Das kann niemanden kalt lassen, denn bedroht werden damit alle uns wichtigen Werte, zu denen gemäss Verfassung auch «Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt» gehören.

Die Verfassungsgeber waren so vorausschauend, dass sie uns verpflichtet haben, all diese Errungenschaften «auch für künftige Generationen zu bewahren». Eleinzig siwer sus dem aber nit, Abschottung ist kein Rezept.

Werfen wir also auch hier einen Blick auf unsere Bauanleitung:

Ihr zufolge

  • «unterstützen sich Bund und Kantone»,
  • «arbeiten in der Erfüllung ihrer Aufgaben zusammen»,
  • «schulden einander Rücksicht und Beistand»

und

  • «legen Streitigkeiten durch Verhandlung und Vermittlung bei».

Haben wir den Mut und verbinden diese Werkzeuge mit unserem bewährten Charakterzug «Weitsicht»: Unsere Verfassung von 1848 hat, mit einer Anpassung hier und einer Änderung dort, bis heute als Schutzschirm gehalten. Ein solcher ist jetzt aber für Europa gefordert, und auf diesen sind wir schlicht und einfach ebenfalls angewiesen.

Würde ich als Mitglied der Landesregierung nicht zusammen mit unseren Nachbarn schauen, wie ein Schutzschirm 2.0 für uns alle aussehen könnte, dürfte ich mich wohl bald nirgends mehr blicken lassen.

Mit dem Gen «Neutralität», das wir dabei selbstverständlich beachten werden, stehen wir übrigens nicht alleine da, sondern haben mit Österreich einen gleichgesinnten Partner im Boot. Weil «nehmen ohne geben» nicht zu uns gehört, will ich frühzeitig schauen, wie wir uns einbringen können, ohne die Substanz unserer Bauanleitung zu gefährden.

Das habe ich mit meinem deutschen Kollegen und meiner österreichischen Kollegin anfangs Juli in Bern diskutiert und mein deutscher Kollege dankte mir, dass ich für dieses trilaterale Treffen die Sonne organisiert hätte.

Wie ich das gemacht habe, weiss ich aber nicht mehr – das ist nichts als die Wahrheit!

Auch der weltberühmteste Luzerner schweizweit, ein real existierender Fabulierer mit vier Buchstaben, Emil, hatte es mit der Wahrheit. Er sagte, «Lügen kann man beichten, die Wahrheit muss man für sich behalten.» Wie Sie sehen, behalte ich die Wahrheit nicht für mich.

Deshalb ziehe ich es vor, hier zu schliessen, sonst verfahre ich mich vielleicht noch und komme ins Fabulieren oder gar der Lüge sehr nahe, was ich ja nicht will …

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen ein wunderbares Fest zu unser aller Jubiläum!


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