Eltern im Strafvollzug: Lücken bei der Beziehungspflege von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil

Bern, 02.06.2023 - Die Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil fand insbesondere in der Deutschschweiz lange Zeit wenig Beachtung. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD, über den der Bundesrat am 2. Juni 2023 informiert wurde. Zwar haben sich in den letzten Jahren die Voraussetzungen verbessert, um zwischen Kindern und dem inhaftierten Elternteil die Beziehungspflege zu ermöglichen. Es besteht aber nach wie vor Handlungsbedarf. Der Bericht formuliert mehrere Massnahmen.

Sitzt ein Elternteil in Haft, ist dies für die Angehörigen eine grosse Belastung. Insbesondere auf die Entwicklung der Kinder kann eine längere Abwesenheit eines Elternteils erhebliche Auswirkungen haben. Deshalb verpflichtet die UNO-Kinderrechtskonvention ihre Vertragsstaaten, die Beziehungspflege von Kindern zu einem inhaftierten Elternteil zu fördern. In seinem Bericht von 2015 hat der UNO-Kinderrechtsausschuss festgehalten, dass in der Schweiz nicht genügend Informationen zur Thematik vorliegen. In einem ersten Schritt hat der Bundesrat deshalb die Verwaltung beauftragt, das Thema umfassend zu analysieren.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesamtes für Justiz (BJ) eine externe Studie zur Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil erarbeiten lassen. Gestützt auf diese Grundlage hat das EJPD einen Bericht erstellt, der von Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen und Fachverbänden gutgeheissen wurde. Der Bundesrat wurde am 2. Juni 2023 über den Bericht informiert.

Der Bericht des EJPD anerkennt zwar, dass die Sensibilisierung der Akteure für das Thema in den letzten Jahren zugenommen hat. Diverse Haftanstalten verfügen bereits über kinderfreundliche Besuchsmöglichkeiten oder planen, im Rahmen künftiger Bauprojekte solche einzurichten. In verschiedenen Vollzugseinrichtungen bestehen auch Elterngruppen für Inhaftierte, in denen die eigene Elternrolle sowie Erziehungskompetenzen zur Stärkung der Kinderbeziehung zum Thema gemacht werden.

Die Förderung der Beziehungspflege von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil ist jedoch weitgehend von privaten Initiativen abhängig. So bietet in der Westschweiz die Stiftung «Relais Enfants Parents Romands» (REPR) ein flächendeckendes Unterstützungsangebot für Angehörige von Inhaftierten und deren Kindern an. Im Tessin ermöglicht die Anlaufstelle «Pollicino» innerhalb der Strafvollzugsanstalt La Stampa den Angehörigen und dem inhaftierten Elternteil einen Ort zum Austausch. In der Deutschschweiz fehlen vergleichbare Angebote.

Kindern muss mehr Beachtung geschenkt werden

Trotz positiver Anzeichen kommt der Bericht zum Schluss, dass bei der Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil in der Schweiz gesamthaft Lücken bestehen. In vielen Haftanstalten fehlen kinderfreundliche Besuchszimmer; und es existieren weder Statistiken zur Anzahl Kinder mit einem inhaftierten Elternteil noch Studien zu den Folgen, welche die Inhaftierung eines Elternteils für die Kinder haben kann.

Gestützt auf diese Erkenntnisse präsentiert der Bericht mehrere Empfehlungen. Insbesondere ist die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Thematik weiter zu fördern. Auch bei den involvierten Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft oder Vollzugsbehörden) soll ein stärkeres Bewusstsein für die möglichen Folgen der Inhaftierung eines Elternteils für deren Kinder geschaffen werden. Ziel ist es, die Kinderperspektive auf allen Ebenen mitzuberücksichtigen, also bei der Verhaftung des Elternteils, im Strafprozess, bei Entscheiden und im Vollzug. Zudem sollen bei Neu- und Umbauten von Vollzugsanstalten die Bedürfnisse der Kinder konsequent mitgedacht werden.

Der Bericht empfiehlt weiter, die Forschung zur Thematik zu intensivieren und schweizweit Statistiken anzulegen. Weiter sollen der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den involvierten Behörden im Bereich des Straf- und Massnahmenvollzug und des Kindesschutzes gefördert werden. Die interkantonalen Konferenzen erkennen ebenfalls Handlungsbedarf und prüfen entsprechende Massnahmen. Das BJ will deshalb im Herbst 2023 einen interdisziplinären Austausch initiieren. Damit wird ein Grundstein für ein nationales Netzwerk im Hinblick auf eine bessere Arbeit mit den Angehörigen von inhaftierten Personen geschaffen.


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