Berufliche Vorsorge: Stark negatives Anlagejahr und steigende Anzahl Unterdeckungen / Umverteilung wie im Vorjahr gering

Bern, 09.05.2023 - Nach einem Jahr mit stark negativer Anlageperformance sind die Deckungsgrade der Vorsorgeeinrichtungen per Ende 2022 erheblich gesunken. Im Durchschnitt liegen sie aber immer noch über 100 %. Die durchschnittliche Netto-Vermögensperformance der Vorsorgeeinrichtungen im Jahr 2022 betrug –9,2 % (Vorjahr: 8,0 %). Entsprechend sanken die ausgewiesenen Deckungsgrade per Ende 2022 durchschnittlich auf 107,0 % (gegenüber 118,5 % per Ende 2021). Per Ende 2022 befanden sich damit 16,1 % (Vorjahr: 0,1 %) der Vorsorgeeinrichtungen in Unterdeckung. Wie im Vorjahr fiel die Umverteilung zwischen aktiven Versicherten und Rentenbeziehenden gering aus.

Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) veröffentlichte am 9. Mai 2023 die aktuellen Zahlen zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen. Die für die ganze Schweiz einheitliche und risikoorientierte Früherhebung bei Vorsorgeeinrichtungen ermöglicht eine aktuelle Gesamtsicht über die finanzielle Lage des Systems der beruflichen Vorsorge mit Stichtag 31. Dezember 2022.


Starke Marktschwankungen sorgen für tiefere Deckungsgrade

Die Rückkehr der Inflation und die damit verbundenen starken Zinsanstiege, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und gestörte Lieferketten sorgten im vergangenen Jahr für erhebliche Unsicherheiten bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und
entsprechende Verwerfungen an den Märkten.

Die stark negative Performance in den zentralen Anlagekategorien Aktien und Obligationen, aber auch in fast allen anderen Anlagekategorien, verschlechterten die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen im Jahr 2022 signifikant. Die durchschnittliche erwirtschaftete Netto-Vermögensperformance der Vorsorgeeinrichtungen fiel im Berichtsjahr stark negativ aus. Sie lag für Einrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung bei –9,2 % (Vorjahr: 8,0 %) und für Einrichtungen mit Staatsgarantie bei –8,2 % (Vorjahr: 8,3 %).

Die individuell ausgewiesenen Deckungsgrade sanken entsprechend im Durchschnitt auf 107,0 % (gegenüber 118,5 % per Ende 2021) bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung respektive 81,3 % (gegenüber 89,3 % per Ende 2021) bei den öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie. Per Ende 2022 wiesen damit noch 84 % der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung einen Deckungsgrad von mindestens 100 % aus (gegenüber mehr als 99 % im Vorjahr).

Mit Blick auf die Verpflichtungsseite einer Vorsorgeeinrichtung hat der Zinsanstieg mittelfristig aber auch eine positive Seite. Aus einer Marktwertsicht haben die langlaufenden Rentenverpflichtungen ebenfalls an Wert eingebüsst, d.h. mit dem Zinsanstieg werden die Rentenversprechen in Zukunft mit weniger Risiko finanzierbar sein.


Realverzinsung kurzfristig negativ, langfristig aber deutlich positiv


Aufgrund der negativen durchschnittlichen Performance im Berichtsjahr sank auch die durchschnittliche Verzinsung des Altersguthabens der aktiven Versicherten von 3,69 % per Ende 2021 auf 1,90 % per Ende 2022. Im Vergleich dazu lag die Jahresteuerung in der Schweiz 2022 gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) bei 2,8 % (Vorjahr: 0,6 %). Das bedeutet, dass für das Jahr 2022 viele aktive Versicherte erstmals
seit langem wieder eine negative Realverzinsung auf dem Vermögen der beruflichen Vorsorge erlitten haben.

Dies ist eine negative Nachricht. Basierend auf den im diesjährigen Schwerpunktthema (Kapitel 3) gemachten Analysen zeigt sich jedoch, dass – längerfristig betrachtet – die Anlageerträge, also der für die zweite Säule charakteristische dritte Beitragszahler, die in sie gesteckten Erwartungen im Durchschnitt erfüllt respektive sogar übertroffen haben.


Die Umverteilung bleibt gering

Die Schätzung der Umverteilung zeigt im Berichtsjahr wie im Vorjahr ein praktisch ausgeglichenes Verhältnis der Aufwendungen für die aktiven Versicherten und die Rentenbeziehenden, jedoch fällt sie erstmals seit der Schätzung durch die OAK BV (ab 2014) zu Gunsten der aktiven Versicherten aus (0,2 Milliarden Franken). Entsprechend hat sich auch die Umverteilung im Durchschnitt über die letzten fünf Jahre
(0,4 % des Vorsorgekapitals der aktiven Versicherten und Rentenbeziehenden) weiter verringert.

Es ist zu erwarten, dass mit den von den Vorsorgeeinrichtungen während den letzten mindestens zehn Jahren getroffenen Massnahmen (Senkung Umwandlungssatz und Senkung technische Zinssätze) sowie mit dem im Berichtsjahr beobachteten deutlichen
Anstieg des Zinsniveaus die Umverteilungsphase zulasten der aktiven Versicherten zu ihrem Ende gekommen ist. Zu beachten ist, dass dies nicht für die BVG-Minimalkassen gilt. Für diese Einrichtungen wird es erst mit der im Parlament verabschiedeten BVG-Reform möglich sein, ein nahezu ohne Umverteilung finanzierbares Leistungsniveau umzusetzen.

Da die Vorsorgeeinrichtungen von der Umverteilung sehr unterschiedlich betroffen sind und waren, wird es für sie wichtig sein, die Auswirkungen der in den letzten Jahren entstandenen Umverteilung für ihre Versicherten zu analysieren und für einen Ausgleich zwischen den unterschiedlich behandelten Generationen zu sorgen.


BVG 21 hilft BVG-Minimalkassen, Modernisierungsbedarf bleibt bestehen


Die vom Parlament in der BVG 21-Reform beschlossene Anpassung des Umwandlungssatzes an die demografische und wirtschaftliche Realität, sprich die gestiegene Lebenserwartung und das tiefere Zinsniveau, entlastet insbesondere die BVG-Minimalkassen. Dies stärkt die finanzielle Stabilität des Systems.

Es ist zudem nach zehn Jahren Erfahrungen mit der Strukturreform angezeigt, auch beim bestehenden gesetzlichen Kontroll- und Aufsichtssystem die notwendigen Modernisierungen in Angriff zu nehmen. Die Evaluation der Strukturreform BVG, welche das Parlament mit dem Postulat 21.3968 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) in Auftrag gegeben hat, ist deshalb ein wichtiger Schritt.

Vor dem Hintergrund der ungebremsten Entwicklung hin zu immer grösseren und komplexer werdenden Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen sollte der Gesetzgeber insbesondere die Aufsichtsinstrumente anlehnend an die bestehenden Regelungen in vergleichbaren modernen Aufsichtssystemen stärken. Die OAK BV wird ihre Erfahrungen bei den Themen Transparenz, Governance und Aufsicht im Rahmen dieser Evaluation einbringen und den gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufzeigen (https://www.oak-bv.admin.ch/de/themen/evaluation-strukturreform).


Ausblick


Als langfristige Investoren müssen Vorsorgeeinrichtungen mit Marktschwankungen umgehen können. Die guten Börsenjahre bis und mit 2021 erlaubten es vielen Vorsorgeeinrichtungen, ihre Wertschwankungsreserven voll aufzubauen. Damit waren sie in der Lage, die negativen Folgen der Entwicklungen der Kapitalmärkte auch zu tragen. Vorsorgeeinrichtungen, welche ihre Wertschwankungsreserven bis Ende 2021 ungenügend aufgebaut hatten, sind demgegenüber jetzt in Unterdeckung oder verfügen nur noch über geringe Wertschwankungsreserven. Per Ende 2022 ist ein grosser Teil der Wertschwankungsreserven aufgebraucht. Noch 58 % der Vorsorgeeinrichtungen verfügten per Ende Berichtsjahr über eine Wertschwankungsreserve von mindestens 25 % ihres Zielwerts.

Periodische Unterdeckungen von Vorsorgeeinrichtungen sind gesetzlich erlaubt. Laufende Renten sind in der zweiten Säule garantiert, dies gilt auch bei Vorsorgeeinrichtungen in Unterdeckung. Die aktiven Versicherten einer Vorsorgeeinrichtung in Unterdeckung können mit Sanierungsmassnahmen wie Minderverzinsungen oder Sanierungsbeiträgen konfrontiert werden. Dies hängt jedoch von der individuellen Situation der Vorsorgeeinrichtung ab. Eine Unterdeckung zieht nicht automatisch Sanierungsmassnahmen nach sich. Sie wird aber in jedem Fall von der regionalen Aufsichtsbehörde einzeln geprüft. Zum aktuellen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass Sanierungsbeiträge
nur in den wenigsten Fällen notwendig sein dürften.

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV)
Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV ist eine unabhängige Behördenkommission. Sie wird vollständig über Abgaben und Gebühren finanziert. Für die Direktaufsicht der Vorsorgeeinrichtungen sind die insgesamt acht kantonalen / regionalen Aufsichtsbehörden am Sitz der jeweiligen Einrichtung zuständig. Deren Oberaufsicht urch die OAK BV erfolgt unabhängig von Weisungen des Parlamentes und des Bundesrates. Direkt von der OAK BV beaufsichtigt werden hingegen die Anlagestiftungen sowie der Sicherheitsfonds und die Auffangeinrichtung. Zudem ist die OAK BV Zulassungsbehörde für die Experten für berufliche Vorsorge.
Mit Blick auf das Ziel, die finanziellen Interessen der Versicherten verantwortungsbewusst und zukunftsgerichtet zu schützen, operiert die OAK BV auf der Basis einer einheitlichen und risikoorientierten Aufsicht. Mit ihren in einen volkswirtschaftlichen und langfristig ausgerichteten Kontext eingebetteten Massnahmen und Entscheiden will sie Behörde zu einer konsequenten Verbesserung der Systemsicherheit sowie zu Rechtssicherheit und Qualitätssicherung beitragen.
Für den Schutz der Vorsorgegelder der Versicherten ist im Gesetz die risikoorientierte Führung der Vorsorgeeinrichtungen verankert. Entsprechend ist die Aufsichtstätigkeit auszurichten. Das Gesetz stellt hier der OAK BV das Instrument der Weisung zur Verfügung. So kann die OAK BV Weisungen für die Tätigkeit der Experten für berufliche Vorsorge, der Revisionsstellen sowie für die Aufsichtsbehörden erlassen.


Adresse für Rückfragen

Manfred Hüsler
Direktor Sekretariat OAK BV
Tel. Nr. 058 462 94 93
manfred.huesler@oak-bv.admin.ch



Herausgeber

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge
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