Terrorismusbekämpfung: Optimierung der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften von Bund und Kantonen

3001 Bern, 07.03.2023 - Eine Inspektion der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) hat Optimierungspotenzial bei der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften von Bund und Kantonen im Bereich der Terrorismusbekämpfung gezeigt. Die Empfehlungen der AB-BA werden von der Bundesanwaltschaft (BA) begrüsst und befinden sich in Umsetzung.

Nach dem mutmasslich dschihadistisch motivierten Tötungsdelikt in Morges vom 12. September 2020 beschloss die AB-BA, eine Inspektion innerhalb der BA vorzunehmen. Dieser Entschluss erfolgte aufgrund von Hinweisen des Waadtländer Staatsrats auf systemische Mängel im Bereich terroristische Straftaten (Bereich T) der BA sowie von Fragen der Geschäftsprüfungskommissionen der Eidgenössischen Räte. In die Inspektion einbezogen wurde auch die Tätigkeit der BA im Vorfeld der Messerattacke auf zwei Frauen am 24. November 2020 in Lugano.

Die beiden untersuchten Fälle betrafen die Amtszeit des früheren Bundesanwaltes. Der seit Januar 2022 amtierende Bundesanwalt hat die aus der Inspektion resultierenden Empfehlungen der AB-BA begrüsst und mitgeteilt, dass diese entweder bereits umgesetzt wurden oder sich in der Umsetzung befinden.

Verbesserung der Gefährlichkeitsbeurteilung

Im Fall des Anschlages von Morges konzentrierte sich die Inspektion auf den Zeitraum vor der Messerattacke, in welchem die Verfahrensleitung bei der BA lag. Die AB-BA kam zum Schluss, dass die mit zahlreichen Ersatzmassnahmen verbundene Entlassung des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft vertretbar war. Bemängelt wird dagegen das Ausbleiben einer Reaktion der BA, nachdem die Waadtländer Behörden verschiedene Verstösse gegen die auferlegten Ersatzmassnahmen gemeldet hatten. Nach Einschätzung der AB-BA hätte es sodann einer eingehenderen Gefährlichkeitsbeurteilung unter Einbezug der Standpunkte aller am Fall beteiligten Behörden des Beschuldigten bedurft. Die AB-BA empfiehlt deshalb die Einrichtung einer Koordinationsstelle, die alle beteiligten Behörden einbezieht, nämlich die kantonalen Staatsanwaltschaften («Single Points of Contact T» bzw. «SPOC T»), fedpol, die Kantonspolizei und die kantonalen Strafvollzugsbehörden.

In Fall der Messerattacke in Lugano hatte die BA ein früheres Strafverfahren gegen die Beschuldigte mit einer Nichtanhandnahmeverfügung erledigt. Nach inhaltlicher und formaler Prüfung der Verfügung war die AB-BA der Auffassung, dass diese nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen war. Im Lichte der Rechtsprechung wäre es notwendig gewesen, den Sachverhalt zu klären und eine eingehende rechtliche Würdigung vorzunehmen.

Die AB-BA empfiehlt zudem der BA, eine Richtlinie zu erlassen, die im Bereich der terroristischen Straftaten verbietet, Nichtanhandnahmeverfügungen in Form von so genannten «Stempelentscheiden» ohne Zustellungsvermerk, Begründung oder Rechtsmittelbelehrung zu erlassen.

Um die Gefährlichkeitsbeurteilung von Beschuldigten zu verbessern, empfiehlt die AB-BA, dass Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Bundes, die im Bereich terroristischer Straftaten eingesetzt werden, Grundkenntnisse in forensischer Psychiatrie erwerben. Angesichts der Zunahme psychiatrischer Gutachten und des Gewichts, das diesen in der Strafjustiz beigemessen wird, erachtet die AB-BA eine gezielte Weiterbildung für wichtig. Wenn Zweifel bestehen, ob Untersuchungshaft beantragt werden soll und kein psychiatrisches Gutachten vorliegt, empfiehlt die AB-BA, die Gefährlichkeit von Beschuldigten unter Beizug einer forensischen Psychiaterin oder eines forensischen Psychiaters zu beurteilen.

Optimierung der Verfahrensleitung

Mängel wurden in beiden Fällen auch bezüglich Definition und Einhaltung der Abläufe festgestellt, die im Dokument «Zusammenarbeit und Koordination zwischen den Staatsanwaltschaften des Bundes und der Kantone in Fällen von dschihadistischem Terrorismus» geregelt sind. Im Fall von Morges wurden die Waadtländer Behörden nicht genügend in die Kommunikation einbezogen und die Kommunikation wurde von der BA an fedpol delegiert. Im Fall von Lugano erfolgte die Information von Medien und Öffentlichkeit ebenfalls nicht durch die BA, sondern durch die Tessiner Behörden und fedpol. Darüber hinaus entsprach das Dokument hinsichtlich der Übernahme von Verfahren und der Information der kantonalen Staatsanwaltschaften über den Abschluss von Verfahren nicht mehr der aktuellen Praxis. Die AB-BA empfiehlt deshalb, das Dokument zu präzisieren, zu aktualisieren und bei künftigen Verfahren vorbehaltlos umzusetzen.

Eine Befragung der kantonalen Staatsanwaltschaften hat ergeben, dass diese die Zusammenarbeit mit der BA bei Terrorakten grundsätzlich positiv beurteilen. Die zu diesem Zweck eingerichteten zentralen Anlaufstellen bei den SPOC T werden sowohl von den Kantonen als auch von der BA als notwendig und sachgerecht beurteilt. Entsprechend dem Wunsch einiger Kantone empfiehlt die AB-BA der BA, einen regelmässigeren Informationsaustausch zu pflegen, die Kontakte entsprechend den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kantone anzupassen und bei Bedarf zu intensivieren.

Organisatorisch ist der Bereich T innerhalb der BA der Abteilung Rechtshilfe, Terrorismus, Völkerstrafrecht und Cyberkriminalität angegliedert. Da sich der Bereich T derzeit im Umbruch befindet, wurde auf eine vertiefte Analyse der Organisation verzichtet. Begrüsst wird von der AB-BA die Aufstockung des Personalbestands des Bereichs T auf heute insgesamt sieben Personen mit 620 Stellenprozenten gegenüber nur zwei Personen im Jahr 2020. Ob die neue Dotierung dem aktuellen Bedarf entspricht, wurde indessen nicht geprüft.

Vorgehen

Mit Rücksicht darauf, dass die beiden geprüften Fälle noch vor dem Bundesstrafgericht hängig sind, beschränkt sich die AB-BA auf die Veröffentlichung der wesentlichen Punkte ihrer Inspektion sowie der an die BA gerichteten Empfehlungen.

 

Die AB-BA dankt allen Beteiligten für die gute und konstruktive Zusammenarbeit.

 

Zur AB-BA:

Kernaufgabe der unabhängigen Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) ist die Beaufsichtigung der systemischen Aspekte der Tätigkeit der Bundesanwaltschaft. Die AB-BA umfasst als Kollegialbehörde sieben von der Vereinigten Bundesversammlung für die Dauer von vier Jahren gewählte Mitglieder. Gemäss Gesetz setzt sich die AB-BA aus einer Bundesrichterin, einer Bundesstrafrichterin, zwei im Anwaltsregister eingetragenen Anwaltspersonen und drei Fachpersonen zusammen. In ihrer Tätigkeit werden die Mitglieder der AB-BA von einem ständigen Sekretariat unterstützt.


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