3,1 Millionen Förderung für neue Forschungsprojekte am PSI

Villigen, 15.12.2022 - Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI erhalten zwei prestigeträchtige, sogenannte SNSF Starting Grants des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) in Höhe von insgesamt 3,1 Millionen Schweizer Franken. Damit werden neue Projekte auf dem Gebiet der Festkörperphysik sowie der Physikalischen Chemie gefördert.

Aufgrund der derzeitigen Nichtanbindung der Schweiz am europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe lancierte der SNF im Auftrag des Bundes als Übergangsmassnahme die SNSF Starting Grants 2022. Das Programm hat den Auftrag, innovative Forschungsprojekte in der Schweiz finanziell zu fördern. Das Förderinstrument steht allen Disziplinen und Themen offen. Forschende aus allen Ländern können daran teilnehmen. Zurab Guguchia und Kirsten Schnorr wurden jeweils mit einem solchen Förderbeitrag in Höhe von 1,8 beziehungsweise 1,3 Millionen Schweizer Franken ausgezeichnet. Dies ermöglicht ihnen den Aufbau und die Leitung eines eigenen Forschungsteams für eine Laufzeit von fünf Jahren, um ihre Projekte auf dem Gebiet der Festkörperphysik sowie der Physikalischen Chemie zu verwirklichen.

Kagome-Muster und Supraleiter

Das Projekt von Zurab Guguchia trägt den Titel Unconventional correlated quantum phases of layered materials und beschäftigt sich mit den quantenmechanischen Eigenschaften von mehrschichtigen Festkörpern. Die zweidimensionalen Strukturen solcher Materialien sind intern stark verbunden, interagieren jedoch nur schwach mit den benachbarten Schichten. Dies ermöglicht die Isolierung einzelner Schichten und die Nutzung ihrer einzigartigen elektronischen und magnetischen Eigenschaften. Ein Fernziel des Projekts ist es, Grundlagen für die Entwicklung neuer Materialien zu schaffen, welche beispielsweise in Quantencomputern genutzt werden können.

Ein Beispiel, mit dem sich Guguchia in Zukunft intensiver befassen will, sind sogenannte Kagome-Gitter, in denen sich die Atome in einer ganz bestimmten Geometrie anordnen. Der Name bezieht sich auf die Muster in traditionellen japanischen Bambuskörben - ein Netz von Dreiecken, die sich in den Ecken teilen. «Die ungewöhnliche Geometrie der Atome in Kagome-Gittern und das daraus resultierende Verhalten der Elektronen bilden unter anderem die Grundlage zum Verständnis von sogenannten Hochtemperatursupraleitern», erklärt Guguchia. Supraleiter sind Materialien, deren elektrischer Widerstand beim Unterschreiten einer gewissen Temperatur null wird. Anders als konventionelle Supraleiter, müssen Hochtemperatursupraleiter nicht so stark gekühlt werden und funktionieren je nach Material bereits bei etwa minus 170 statt minus 270 Grad Celsius.

Guguchia arbeitet als leitender Wissenschaftler im Labor für Myonspin-Spektroskopie am PSI. Das Labor nutzt die Schweizer Myonenquelle SµS. Diese Anlage produziert Elementarteilchen Namens Myonen. Mit 500 Milliarden Myonen pro Sekunde handelt es sich dabei um die weltweit leistungsstärkste Anlage ihrer Art. Der Spin - eine quantenmechanische Eigenschaft dieser Teilchen - interagiert mit dem zu untersuchenden Material und gibt dabei Aufschluss über dessen lokale magnetische Eigenschaften. Daraus ergibt sich wiederum die supraleitende Beschaffenheit dieser Materialien. Auch für sein künftiges Forschungsprojekt wird Guguchia von dieser einzigartigen Anlage profitieren können und die Bandbreite der Versuchsparameter erweitern, um tiefer in den mikroskopischen Mechanismus der Supraleitung vorzudringen. «Wir wollen verstehen, wie Wechselwirkungen auf der Kagome-Ebene manipuliert werden können, um Hochtemperatursupraleitung und neue Arten von Magnetismus zu erzeugen», so Guguchia über sein künftiges Projekt.

Nanoteilchen und Röntgenstrahlung

Kirsten Schnorr, leitende Wissenschaftlerin der SwissFEL-Maloja-Experimentierstation am PSI, nutzt für ihr Projekt ebenfalls eine einzigartige Grossforschungsanlage am PSI - den Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL. Die 740 Meter lange Anlage erzeugt extrem kurze Pulse von Röntgenlicht mit Lasereigenschaften - die Länge dieser Pulse liegt im Femtosekundenbereich (1 Femtosekunde = 0,000 000 000 000 001 Sekunde). Damit können Schnorr und ihr Team Schritt für Schritt verfolgen, wie sich in einer chemischen Reaktion die kleinsten Bausteine einer Substanz voneinander trennen und zu einer neuen Substanz zusammenfinden.

Ihr Projekt trägt den Titel Ultrafast X-ray Induced Chemistry of Solvated Nanoparticles and Molecules und hat zum Ziel, chemische Reaktionen von gelösten Nanoteilchen gezielt auszulösen und zu verfolgen. Inspiration für dieses Projekt fand Kirsten Schnorr in der Krebsmedizin. «Verschiedene medizinische Studien haben gezeigt, dass gewisse Nanoteilchen, welche in Krebszellen injiziert werden, die Effizienz von Röntgenstrahltherapien erheblich steigern», erklärt Schnorr. Wie die zugrunde liegenden Reaktionsmechanismen im Detail ablaufen, ist allerdings noch nicht verstanden.

Schwere Elemente, wie beispielweise Gold, absorbieren Röntgenstrahlung wesentlich effizienter als leichte Elemente. Das Injizieren solcher Elemente in Form von Nanoteilchen in die Krebszellen erlaubt somit, viel Röntgenstrahlung gezielt zu deponieren. Ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden chemischen Vorgänge könnte dazu führen, Behandlungsziele in der Strahlentherapie mit einer niedrigeren Strahlendosis als derzeit üblich zu erreichen oder besonders strahlungsresistente Tumore effektiver zu bekämpfen. «Mit dem SwissFEL haben wir das richtige Werkzeug, um zu erforschen, was genau bei den chemischen und physikalischen Wechselwirkungen zwischen Nanoteilchen und Röntgenstrahlen passiert», erklärt Schnorr.

Dafür werden die Nanoteilchen in einer Flüssigkeit gelöst und mit Röntgenlicht bestrahlt. Die Bestrahlung führt zu lokalen Ausbrüchen hochreaktiver niederenergetischer Elektronen, welche wiederum mit ihrer Umgebung interagieren. Der SwissFEL ermöglicht eine bisher nicht erreichte, räumliche Kontrolle über diese Energieumverteilung auf Zeitskalen bis hin zu wenigen Femtosekunden. «Solche neuen grundlegenden Erkenntnisse könnten unmittelbar zur Verbesserung von Anwendungen eingesetzt werden, bei denen gezielte Reaktionszentren wichtig sind, wie zum Beispiel bei der Strahlentherapie mithilfe von Nanoteilchen», so Kirsten Schnorr.

Die beiden Förderbeiträge gehen an Projekte, die weltweit nur an wenigen Forschungsanlagen wie jenen am PSI durchführbar sind. Nebst Zurab Guguchia und Kirsten Schnorr wurde auch der PSI-Physiker Max Zoller mit einem Förderbeitrag von 1,7 Millionen Schweizer Franken ausgezeichnet. Sein Projekt ist in der Theoretischen Teilchenphysik angesiedelt und strebt die Entwicklung neuer Methoden und automatisierter Tools zur Berechnung von Hochpräzisionsvorhersagen wie beispielsweise für den Large Hadron Collider am CERN an. Das Projekt wird sowohl an der Universität Zürich als auch am PSI durchgeführt - das PSI fungiert dabei als Co-Host. Ebenfalls im Bereich der theoretischen Physik forscht Tomáš Bzdušek. Sein Projekt New paradigms for topological matter: delicate, multi-gap, hyperbolic wurde mit einem Förderbeitrag von 1,7 Millionen Schweizer Franken ausgezeichnet. Der PSI-Physiker wird sein Projekt an der Universität Zürich durchführen.

Text: Paul Scherrer Institut/Benjamin A. Senn

 

Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2200 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.


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