Klimawandel, Landwirtschaft und die Rolle der Biotechnologie

Bern, 31.10.2022 - Die Schweiz soll einen angemessenen Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten. Aus Sicht der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) muss die Landwirtschaft mehr zur Reduktion der Emissionen beitragen, als die Politik ihr heute vorgibt. Zudem muss angesichts des Klimawandels dringend die landwirtschaftliche Produktion angepasst werden. Hauptziel ist dabei die nachhaltige Sicherung der Ernährung. Neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas werden mit der Erwartung verknüpft, dass sie hierzu einen wichtigen Beitrag leisten können. Die deutliche Mehrheit der EKAH schätzt die Chancen dieser Verfahren jedoch für zu gering ein, um im gegebenen engen Zeitraum wesentlich zur Anpassung beizutragen. Ihnen dennoch eine solche Rolle zuzuweisen, heisst, eine Wette auf die Zukunft einzugehen. Dies ist angesichts der Dringlichkeit der Anpassungsziele ethisch nicht zu rechtfertigen.

Die Schweiz verpflichtete sich im Pariser Klimaübereinkommen, einen angemessenen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung zu leisten. Die mit einem Verfehlen der Ziele verbundenen Schadensszenarien sind ethisch inakzeptabel. Zugleich muss die Ernährungssicherheit, die durch den Klimawandel global gefährdet ist, nachhaltig gewährleistet werden. Das heisst, alle Menschen müssen Zugang zu genügend Nahrung haben.

Die Landwirtschaft trägt mit ihren Treibhausgas-Emissionen ebenfalls zum Klimawandel bei (siehe Kasten 2). Die Klimastrategie der Schweiz legt für die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Bereichen (zum Beispiel Industrie und Wohnen) ein wesentlich tieferes Reduktionsziel fest. Es müssen bis 2050 nur mindestens 40% der Emissionen reduziert werden. Aus Sicht der EKAH ist dieses politisch festgelegte Reduktionsziel ethisch gesehen unzureichend.

Emissionen, die nicht reduziert werden, müssen kompensiert werden. Hier kommen so genannte Negativemissionstechnologien (NET) ins Spiel, die der Atmosphäre Treibhausgase entziehen. Aus Sicht der EKAH bestehen gegenüber NET aber Vorbehalte. Insbesondere ist fraglich, ob sie genügend schnell entwickelt und umgesetzt werden können und ob sie ausreichend leistungsfähig sein werden. Dennoch wird man auf sie angewiesen sein. Aus ethischer Sicht bedeutet dies, dass NET angesichts der Dringlichkeit der Klimaziele möglichst rasch und international abgestimmt entwickelt werden müssen. Vor dem Hintergrund der mit NET verbundenen Unsicherheiten und Risiken, ist die Reduktion insgesamt so gestalten, dass am Ende die kleinstmögliche Menge an Treibhausgas-Emissionen kompensiert werden muss. Aus Sicht der EKAH führt deshalb nichts daran vorbei, das Reduktionsziel in der Landwirtschaft zu erhöhen. Gleichzeitig muss die Anzahl Nutztiere erheblich verkleinert und mehr pflanzliche Nahrung für die Menschen angebaut werden.

Die raschen klimatischen Veränderungen beeinflussen auch die landwirtschaftliche Produktion. Um die Landwirtschaft anzupassen, sind - mit Blick auf das Ziel - die effizientesten und effektivsten Massnahmen zu ergreifen. In diesem Kontext wird derzeit intensiv über die Chancen neuer gentechnischer Verfahren (siehe Kasten 3) und ihre rechtliche Einordnung diskutiert. Die klare Mehrheit der EKAH findet es eher unwahrscheinlich, dass die neuen gentechnischen Verfahren in der knappen Zeit, die zur Verfügung steht, einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung oder Steigerung der Ernteerträge leisten können. Die Minderheit der EKAH vertraut auf den technischen Fortschritt. Alle sind sich jedoch einig, dass neue gentechnische Verfahren nur so eingesetzt werden sollten, dass keine Pfadabhängigkeit entsteht. Dies bedeutet, dass gleichzeitig bereits bestehende Technologien genutzt und alternative Lösungsansätze gefördert werden, die zum Erreichen des 1,5 Grad-Ziels beitragen können.

Kasten 1: Mandat der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich EKAH

Die EKAH ist gesetzlich beauftragt, die Entwicklungen und Anwendungen der Bio- und Gentechnologie im ausserhumanen Bereich zu beobachten und aus ethischer Sicht zu beurteilen. Der Mandatsbereich umfasst damit alle Anwendungen der Bio- und Gentechnologie an Tieren, Pflanzen und anderen Organismen einschliesslich deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.

Das Mandat der EKAH umfasst drei Hauptaufgaben:
- Die EKAH berät den Bundesrat und die Verwaltung bei der Vorbereitung der Gesetzgebung im Bereich der ausserhumanen Bio- und Gentechnologie und unterbreitet Vorschläge für die künftige Rechtsetzung.
- Sie berät die eidgenössischen und kantonalen Behörden beim Vollzug bundesrechtlicher Vorschriften.
- Sie informiert die Öffentlichkeit über Fragen und Themen, die sie behandelt, und fördert den Dialog über Nutzen und Risiken dieser Technologien.

Kasten 2: Anrechnung der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen gemäss Pariser Übereinkommen

Der Sektor Landwirtschaft emittiert derzeit rund 14 % der Treibhausgase, die der Schweiz nach Pariser Übereinkommen angerechnet werden. Insbesondere die Methan- und Lachgasemissionen spielen eine grosse Rolle: über 80 % des Methans und über 60 % des Lachgases stammen aus der landwirtschaftlichen Produktion. Dazu setzt die Bearbeitung landwirtschaftlich genutzter Böden weitere Treibhausgase frei.In den 14 % nicht enthalten sind aufgrund des Territorialprinzips des Pariser Übereinkommens die importierten Vorleistungen wie etwa der Anbau von Futtermitteln oder die Herstellung von Mineraldünger im Ausland. Auch Emissionen, die nach dem Verlassen des Hofes anfallen, werden nicht der Landwirtschaft, sondern dem Industrie- und Dienstleistungssektor angerechnet.

Kasten 3: Neue gentechnische Verfahren

Unter dem Begriff «neue gentechnische Verfahren» werden biotechnologische Verfahren zusammengefasst, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurden. Sie werden auch Genome Editing-Verfahren genannt. Das bekannteste, aber nicht einzige dieser Verfahren, ist das Crispr-System. Die neuen Verfahren ermöglichen - im Vergleich zur bisherigen Gentechnik - Organismen einfacher, rascher und präziser genetisch zu verändern. Derzeit finden auf politischer Ebene sowohl in der Schweiz als auch innerhalb der Europäischen Union intensive Diskussionen über die rechtliche Einordung dieser Verfahren statt.


Adresse für Rückfragen

Prof. Dr. Klaus Peter Rippe, Präsident EKAH, Tel. +41 76 433 89 22
Ariane Willemsen, Geschäftsführerin EKAH, Tel. +41 79 728 21 60, ekah@bafu.admin.ch



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