Das heutige System hat gewichtige Vorzüge gegenüber einer Zufallswahl

Bern, 02.10.2021 - Delegiertenversammlung der FDP in Biel; Bundesrätin Karin Keller-Sutter - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Institutionelle Fragen scheinen oft trocken und abstrakt zu sein. Es sind aber meistens grundsätzliche Fragen für das Funktionieren unserer Demokratie. Einer solchen Frage stellen wir uns am 28. November, wenn wir über die sogenannte Justiz-Initiative abstimmen.

Die Justiz-Initiative verlangt, dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter künftig nicht mehr von der Bundesversammlung gewählt, sondern ausgelost werden. Damit würde man dem höchsten Gericht einerseits die demokratische Legitimation entziehen.

Andererseits wäre auch seine gesellschaftlich repräsentative Zusammensetzung in Frage gestellt. Beide sind wichtige Faktoren für die Akzeptanz der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

In diesem Sinne hat das eidgenössische Parlament die Justiz-Initiative ausserordentlich klar abgelehnt: Im Nationalrat fiel die Abstimmung mit 191 gegen 1 Stimme aus, bei 4 Enthaltungen. Der Ständerat war einstimmig gegen die Initiative. Auch die FDP-Fraktion hat sich in der Sommersession geschlossen gegen die Initiative ausgesprochen.

Ich möchte Ihnen kurz darlegen, warum Bundesrat und Parlament einen Systemwechsel bei den Wahlen ans Bundesgericht so deutlich ablehnen.
Was will diese Justiz-Initiative? Sie verlangt, dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter künftig nicht mehr in einem demokratischen Verfahren gewählt, sondern durch das Los bestimmt werden.

Vor der Auslosung würde bei Annahme der Initiative nicht mehr wie bisher die parlamentarische Gerichtskommission, sondern eine Fachkommission die Kandidatinnen und Kandidaten auswählen.

Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter müssten sich auch nicht mehr alle sechs Jahre einer Wiederwahl durch das Parlament stellen. Das Parlament dürfte sie - auf Antrag des Bundesrats - nur bei einer schweren Amtspflichtverletzung oder bei dauerhafter Amtsunfähigkeit wieder abberufen.
Ziel der Initianten ist es, die Bundesrichterinnen und Bundesrichter damit unabhängiger von der Politik zu machen und auch Parteilosen eine Wahlchance zu geben.

Liebe Delegierte

Die Initiative unterstellt, dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter heute nicht unabhängig urteilen können, weil sie Mitglied einer Partei sind und sich alle sechs Jahre einer Wiederwahl stellen müssen.

Dafür gibt es allerdings keine Hinweise - im Gegenteil: In der ganzen Geschichte des Bundesgerichts ist noch nie ein Richter oder eine Richterin wegen eines Urteils aus dem Amt gedrängt worden.

In dem Zusammenhang möchte ich auch daran erinnern, dass die Verfassung die richterliche Unabhängigkeit schützt. Das ist nicht bloss toter Buchstabe. Das Vertrauen der Bevölkerung ins Bundesgericht ist gross. In den Umfragen gehört das Bundesgericht immer zu den Institutionen mit der höchsten Glaubwürdigkeit.

Meine Damen und Herren: Kein System ist perfekt, aber das heutige System funktioniert. Es hat sich bewährt und es hat gewichtige Vorzüge gegenüber einer Zufallswahl.

Mit der Wahl durch die Bundesversammlung und mit dem Parteienproporz wird sichergestellt, dass die wichtigsten politischen Kräfte angemessen und auch transparent am Gericht vertreten sind. Es ist eine typisch schweizerische Lösung, die auch die angemessene Vertretung der Geschlechter, der Regionen und der Sprachen erlaubt.

Das Losverfahren hat ja keine politische Tradition in der Schweiz. Kein einziger Kanton lost seine Richter aus. Eine ausgewogene Zusammensetzung des Gerichts kann ein Losverfahren nicht oder nicht in gleichem Umfang sicherstellen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass ein Geschlecht oder auch eine politische Grundhaltung über viele Jahre stark unter- oder übervertreten wäre.
Eine Losziehung macht auch nicht automatisch die besten Kandidaten zu Richterinnen und Richtern, sondern jene, die am meisten Glück haben.

Liebe Freisinnige, mit unseren demokratischen Institutionen sollte man nicht spielen. Wir erleben eine sehr angespannte Zeit. Gewisse Kreise stehen unseren Grundwerten und Institutionen kritisch gegenüber. Es ist definitiv nicht der richtige Moment eine so wichtige Institution wie unser höchstes Gericht mit einem Systemwechsel zu destabilisieren.

Darum empfehlen Bundesrat und Parlament - übrigens auch das Bundesgericht selber - die Initiative zur Ablehnung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 


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