Vom trügerischen Einlegen und Freilegen

Bern, 15.09.2022 - Grusswort von Bundeskanzler Walter Thurnherr zum 100 Jahre Jubiläum des Vereins Schweizerischer Archivarinnen und Archivare Donnerstag, 15. September 2022 im Bernerhof, Bern

“Been going over a book on what former Presidents did in times past. Maybe I can get some ideas” Harry Truman to Dean Acheson, April 1953

Eigentlich habe ich nur zwei Dinge zu sagen. Erstens: Archive nehmen im Dickicht der Ministerien, Ämter, Haupt- und Nebenabteilungen, der Referate und Sektionen aller Verwaltungen dieser Welt eine spezielle Stellung ein, was man schon daran erkennt, dass sie von autoritären Führungen als erste abgefackelt werden, wenn es brenzlig wird. Von Archiven geht eine subversive Autorität aus, denn sie hüten, mindestens zum Teil, Zeugnisse von Taten und Untaten, von Indizien und Beweisstücken, die einem nicht immer geheuer sind, vor allem, wenn man namentlich erwähnt wird. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie in Moskau zu Beginn der 1990er Jahre nach jahrzehntelanger kaltschnäuziger Leugnung des Zusatzprotokolls zum Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt vom August 1939 Jelzin mit einem einzigen, plötzlich hervorgezauberten und hinter Glas ausgestellten Blatt mit den Unterschriften von Molotov und Ribbentropp gegenüber einer halb verdutzen, halb abgestumpften Bevölkerung historische Klarheit schaffte und damit gleichzeitig ein verkommenes, (scheinbar) überwundenes Regime der unverfrorenen Lüge bezichtigte.

Archive sind in diesem Sinn gefährliche Institute, mindestens für jene, die die Vergangenheit darstellen, wie sie hätte sein sollen und nicht, wie sie wirklich war.

Natürlich mit einem gewichtigen Vorbehalt: Wie Sie noch aus Ihrer Schulzeit wissen, bzw. mit der speziellen Relativitätstheorie gelernt haben, ist es schon aus physikalischen Gründen nicht möglich, die Zukunft vorauszusagen, es sei denn, Sie bewegen sich viel schneller als Licht, oder Sie arbeiten bei einer Sonntagszeitung.  

Die Vergangenheit wahrheitsgemäss nachzuzeichnen, ist nur scheinbar einfacher, und zwar nicht nur, weil das Gedächtnis uns überzeugend zu täuschen vermag, oder weil wir dieselbe Epoche auf millionenfach verschiedene Weise erleben. Sondern auch, weil nur einzelne Teile der Gegenwart im Netz der später Forschenden hängen bleiben und andere bewusst vergessen, verdrängt, verdreht oder überhöht werden. Sie, die Freunde, Gestalterinnen und Verwalter unserer Archive, kennen diesen Einwand und jene vielzitierte Mahnung an die Adresse der stolpernden und suchenden Geschichtswissenschaft, die Winston Churchill bei der Beisetzung seines Vorgängers aussprach: «History, with its flickering lamp, stumbles along the trail of the past, trying to reconstruct its scenes, to revive its echoes, and kindle with pale gleams the passion of former days».

Dass Churchill die Geschichte sehr nahe bei den Literaturwissenschaften einordnete und bei der Erforschung und Schilderung der Vergangenheit, vor allem seiner persönlichen Vergangenheit, durchaus Spielraum erkannte, der Nachwelt auf die Sprünge zu helfen, ist Ihnen auch bekannt. Aber man braucht auf diesem Gebiet weder auf Churchill noch auf de Gaulle, Mao oder andere zurückzugreifen, die Geschichte machten und sie gleich selbst auflegten. Das Zurechtrücken der eigenen Vergangenheit ist auch ein heimisches Handwerk, und selbst hierzulande wird zuweilen in die Kiste der finsteren Tricks und fragwürdigen Gerätschaften gegriffen, wenn es darum geht, die Lufthoheit über dem Gebiet der öffentlichen Wahrnehmung durchzusetzen. Etwas zerknirscht und enttäuscht schrieb 1975 Bundesrat Max Petitpierre in diesem Sinn dem damaligen Direktor des Bundesarchivs: «L’image que donne l’histoire des événements n’est pas toujours conforme à ce qui s’est réellement passé. On peut même affirmer que dans une assez large mesure, l’histoire est `fabriquée` par ceux qui ont joué un rôle dans les événements, c’est-à-dire les hommes politiques qui cherchent à justifier leur action en donnant une image favorable de ce qu’ils ont accompli, et par ceux qui la racontent et tentent de la raconter, les historiens ». Und seither dürfte es weitere Departementschefs, Firmenchefs, Armeechefs und Fraktionschefs gegeben haben (und natürlich sind damit auch die Chefinnen gemeint), ganz zu schweigen vom üblichen Kleinwild an Prominenten und Möchtegern-Prominenten, die dieselbe Erfahrung gemacht haben, oder zumindest überzeugt sind, sie hätten sie gemacht und eine vorteilhaftere öffentliche Erinnerung verdienen würden. Und dies vielleicht sogar zurecht.

Der Vorbehalt gilt heute noch, und ich komme in meinem zweiten Punkt auf ihn zurück. Aber bei aller Skepsis, Vorsicht und präventiver Ablehnung der Historiographie: Es ist nicht alles falsch, was über Persönlichkeiten oder Zusammenhänge geschrieben wird, nur weil es von anderen und erst später vermessen und abgefasst wurde. Ganz im Gegenteil. Darüber hinaus bestehen in der Schweiz eine Vielzahl beeindruckender Kräfte, die mit grosser Vorsicht und Verantwortung freilegen, was vielleicht bis anhin unberücksichtigt oder vernachlässigt geblieben ist. Neben jenen Medienschaffenden, die, statt gründlich zu recherchieren, sofort Verdächtige finden, diese im ruchlosen Schnellverfahren aburteilen und aufs Schafott der öffentlichen Vorverurteilung ziehen, gab und gibt es immer wieder andere, die ernsthaft und aufrichtig bemüht sind, ein Ereignis, eine Entwicklung, ein Leben oder eine Zeit sorgfältig aufzuarbeiten, selbst wenn dabei kein Skandal zum Vorschein kommt. Oder nehmen Sie die zahlreichen Gerichte und Beschwerdeinstanzen in allen Teilen und auf allen Stufen des Landes, in denen akribisch nach- und aufgezeichnet, abgewogen und die Abwägung im Anschluss erläutert wird.

Nehmen Sie die Geschäftsprüfungskommissionen der kantonalen Parlamente und der beiden Räte auf Bundesebene: Da wird nochmals alles aufgerollt. Alle werden angehört. Es wird nachgestossen und zurückgefragt bis am Schluss ein in der Regel sorgfältig verfasster Bericht vorliegt, der die vielleicht vorgängig verbreitete Geschichtsklitterung des einen Chefbeamten oder der anderen Bundesrätin richtigstellt.

Oder eben, nehmen Sie die vielen Historikerinnen und Historiker, die in Ihren Archiven arbeiten, die Quellen suchen, reflektieren, in mühseliger und gewissenhafter Kleinarbeit neuzusammenfügen, aufschreiben und damit eine Leistung erbringen, die viel zu oft unterschätzt, verkannt oder unterschlagen wird. «Geschichtswissenschaft kann in ihrer Gesamtheit und Zielrichtung nichts Anderes sein», meinte Herbert Lüthy in einem nach wie vor sehr lesenswerten Aufsatz, «als historische Hygiene, als ein umfassendes Bemühen, unsere historischen Mythen, Rechtfertigungen, Angstträume und Wahngebilde durch bewusstes Wissen zu ersetzen; denn der Schutt unbegriffener und darum blind fortwirkender Geschichte liegt viel weniger auf dem Gelände als in unserem eigenen Bewusstsein». Natürlich sind Kenntnisse über die Geschichte noch keine Garantie für bessere Politik, aber mit Sicherheit sind sie eine Hilfe. Roy Jenkins, der britische Historiker und Präsident der europäischen Kommission (1977 bis 1981) ging Ende der 1980er Jahre in einem Vortrag in Washington der Frage nach: «Should Politicians know history?» und verglich dabei die Amtstätigkeit einer ganzen Reihe britischer und amerikanischer Minister und Präsidenten, von Churchill über (Clement) Attlee, (Anthony) Eden, (Andrew) Jackson, (Abraham) Lincoln bis zu (Harry) Truman, (John F) Kennedy und (Margret) Thatcher, mit deren Interesse an der Geschichte ihres Landes oder der internationalen Beziehungen. Sein Schluss war eindeutig und im Grundsatz wohl auch auf andere Länder übertragbar. Er meinte, gute Politiker sind historisch neugierig. Und umgekehrt:  «I believe that those with curiosity, whatever their educational and occupational background, are bound to have interest in and acquire some knowledge about the past; and that those without it are likely to be dull men and uncomprehending rulers».

Gerade in der Schweiz, deren Innenpolitik und Aussenpolitik so weit zurückreichen, wo so viel Schutt der Geschichte die Gegenwart prägt, belastet oder ermöglicht hat, wo in jedem Bereich der Politik dumpfes Geschichtsbewusstsein, ungeschriebene und über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte überlieferte Ansprüche oder Erfahrungen die Diskussion beherrschen - zuweilen zurecht vertreten, manchmal mit Kalkül verdreht - wäre die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Als die letzte Woche verstorbene Queen des Vereinigten Königreichs 1953 eingesetzt wurde, fand in der grossen, vom Krieg unversehrten Westminster Hall ein «Coronation Luncheon» statt, an dem sich ein beflissener amerikanischer Student mit dem Glas in der Hand traute, den britischen Premierminister anzusprechen, um ihn um einen Ratschlag für seine künftige Karriere zu bitten. Churchill drehte sich im zu und diktierte ihm streng: «Study history. Study history. In history lie all the secrets of statecraft». (Klammerbemerkung: Die Verwaltungsdelegation beider Räte in Bern sind seit Jahren daran zu bestimmen, wie das beim Bau des Parlamentsgebäudes frei gebliebene Giebeldreieck auf der Nordseite mit einer künstlerischen Darstellung ausgefüllt werden soll. Hätte sie das der Bundeskanzlei überlassen, stände längst dieses Zitat in allen vier Landessprachen über dem Eingang ;-)).

Die Archive dieses Landes, als Sammlungen und als Institutionen der Pflege und Aufbereitung von Millionen verschiedener Akten und Dokumente, sind von unerhörter Wichtigkeit. Wer bei Ihnen, meine Damen und Herren, in den Keller steigt, kommt in der Regel klüger heraus - wobei ich mich jetzt ausschliesslich auf die Amtsgebäude beziehe. Sie wissen: Ein Land zeichnet sich nicht so sehr durch seine Geschichte aus, sondern vielmehr dadurch, wie es mit ihr umgeht. In diesem Sinn sind Sie für einen sehr bedeutenden Teil des staatlichen Handelns verantwortlich, und ich danke Ihnen, dass Sie diese Verantwortung wahrnehmen.

Mein zweiter Punkt gilt, das dürfte Sie nicht überraschen, der Digitalisierung, bzw. der Sorge, ob das Archivierungsgesetz, wenn man es einigermassen genau nimmt, insbesondere mit dem in Artikel 2 des Gesetzes durch säuberliche Aufzählung definierten Grundsatz, wonach alle rechtlich, politisch, wirtschaftlich, historisch, sozial oder kulturell wertvollen Unterlagen des Bundes archiviert werden sollen, angesichts der digitalen Vielfalt überhaupt noch umsetzbar ist. Denn paradoxerweise erleichtert die Digitalisierung zwar die Redaktion, die Übermittlung von und die Suche nach verwendeten Aktenstücken. Sie hat aber auch zahlreiche, private und halbprivate Plattformen der Kommunikation geschaffen, deren Inhalte in der Regel – ich erlaube mir diesen Hinweis aus der Praxis – für die politische Entscheidfindung in Bundesbern genauso wichtig sein können, aber kaum vollständig im Bundesarchiv landen. Im allgemeinen Teil der 1997 überwiesenen Botschaft zum genannten Bundesgesetz ist zurecht und ausführlich von der Nachvollziehbarkeit getroffener Entscheidungen die Rede. Aber Nachvollziehbarkeit wird nicht in Kilogramm und Tonnen, bzw. in jenen Mega- und Gigabytes gemessen, die nun täglich ins Bundesarchiv übermittelt werden, sondern am Verständnis, das nach der Lektüre des gesichteten Materials übrigbleibt oder neu entsteht. Ich habe noch ganze Kisten von (mit Maschine geschriebenen) Schreiben und Notizen gesichtet, die die Vizekanzler meinem Vorgänger in den 1960er und 1970er Jahren übermittelt hatten, obwohl sie nur 20 Meter voneinander entfernte Büros belegten (und damit insbesondere ein aufschlussreiches Zeugnis ihrer etwas eigenartigen Zusammenarbeit hinterliessen). Glauben Sie, dass die zig Millionen E-Mails, die pro Jahr in der Bundesverwaltung hin- und hergeschickt werden, die geschäftsrelevanten sms zwischen Bundesräten und ihren Chefbeamten oder zwischen Parlamentariern und Bundesrätinnen, die Whatsapp-Nachrichten der persönlichen Mitarbeiterinnen gemäss GeverVerordnung abgelegt und damit dem Bundesarchiv übergeben werden?

Natürlich gab es schon früher informelle Kanäle, Absprachen und nicht protokollierte Sitzungen. Ich habe eingangs die Umwälzungen in Moskau zu Beginn der 1990er Jahre erwähnt. Als ich kürzlich die für die Diplomatischen Dokumente der Schweiz, Dodis, editierten und im Übrigen vorbildlich kommentierten Akten aus den Jahren 1989 bis 1991 mit meinen Handnotizen aus jener Zeit verglichen hatte, fiel mir auf, was damals alles gar nicht aufgeschrieben wurde, zum Verständnis unserer diplomatischen Schritte jedoch wesentlich gewesen wäre, zumal letztere eher an eine aussenpolitische «Brown’sche Bewegung» erinnerten als an die Schlussfolgerungen einer klaren Strategie.

Heute präsentiert sich die Situation jedoch deutlich kritischer, und die diesbezüglichen Feststellungen in der vor zwei Jahren durchgeführten, Ihnen allen bekannten, externen Evaluation des Archivierungsgesetzes, gelten mehr denn je. Meines Erachtens riskieren wir, spätestens in dreissig Jahren festzustellen, dass wir im Bundesarchiv zwar über wahnsinnig viele Dokumente verfügen, aber trotzdem ungenügend dokumentiert sind.

Vergrössert wird diese Sorge durch die Erfahrung, dass das Öffentlichkeitsgesetz vielleicht bei den interessierten Journalistinnen und Journalisten für mehr Transparenz sorgt, aber nicht unbedingt bei den Historikerinnen und Historikern. Die Sitzungsprotokolle sind in den letzten zehn Jahren fast überall auf die Zusammenfassung getroffener Entscheide zusammengeschrumpft. Auf die Nennung von Namen wird vielerorts verzichtet, und was in den Gesprächen an deutlichen Ausdrucksformen oder Vergleichen verwendet worden ist, wird in den abgelegten Aufzeichnungen nicht mehr erwähnt oder in aalglatte Worthülsen transformiert. Bei Ämterkonsultationen schreibt ein Amt nur noch, was es auch bereit ist, später in einer Zeitung nachzulesen, was in Einzelfällen sogar dazu führt, dass das BGÖ als Mittel zur Kommunikation eingesetzt wird: Man formuliert eine klare, zuweilen politische Aussage mit unmissverständlichen Adjektiven wie «unakzeptabel», «stossend», «befremdend» und dergleichen mehr, und erklärt dem neugierigen Journalisten scheinheilig, er könne ja ein BGÖ-Gesuch stellen, um mehr über die Haltung des Amts zu erfahren. Das Öffentlichkeitsgesetz hat viele Vorteile, insbesondere was den Schreibstil der Bundesangestellten betrifft, da sie immer mit der Veröffentlichung ihrer E-Mails rechnen müssen. Aber es hat auch Nachteile, und zu diesen gehört der Umstand, dass heute heikle Dinge weniger oft aufgeschrieben, sondern mündlich weitergegeben werden.   

Es kommt ein Letztes hinzu: Archive prägen mit ihren Weisungen zur Verwaltung, Aufbewahrung und Ablieferung von Unterlagen [so Art. 5 des Archivgesetzes] nicht nur das Was, sondern auch das Wie des Wissensmanagements der Verwaltungen. Die Digitalisierung hat dabei einiges verändert, aber wenn man genau hinschaut, wundert man sich zuweilen, wie wenig: Stolz wird auf die papierlosen Büros und durchgehend digitalisierten Geschäftsprozesse verwiesen, legt die verwalteten Informationen jedoch weiterhin als PDF in «Unterlagen» ab, die dann in «Dossiers» gebündelt und schliesslich in «Ordnungsbäumen» am richtigen thematischen Ast aufgehängt, schubladisiert werden.

Die Metaphern, die einem solchen Wissensmanagement Pate stehen, entstammen somit der Welt der Zettelkasten, der braunen Biella-Dokumentschachteln und der Bundesordner, jene mit stahlblechverstärkten Unterkanten, Ecken und Griffloch, gebaut um unseren Ideen Halt und unserem Wissen abschliessende Ordnung zu geben.

In der digitalen Welt versagen solche Verfahren, oder sie schaffen gar neue Probleme. Strukturierte Daten werden ohne Rücksicht auf Zuständigkeitsgrenzen neu verknüpft, die Unterscheidung von «Daten» und «Metadaten» verschwimmt zusehends, und anstelle von eindimensionalen Ordnungsbäumen treten eine Vielzahl von «Tags». Wissen wäre, so gedacht, ein vielschichtiges Netz, das zwar sehr wohl eine Logik, nicht jedoch eine zentrale Ordnung hat. Wir werden daran arbeiten müssen – und das Bundesarchiv hat mit dem Aufbau der Plattform für Linked Data LINDAS auch schon hervorragende Grundlagenarbeit geleistet.

Natürlich, man kann insbesondere das Problem der schwierigeren Nachvollziehbarkeit politischer Entscheide auf einfache Weise lösen. Die erste Möglichkeit besteht darin, den Gegenstand des Archivierungsgesetzes einzuschränken und auf jenen Vorschlag zurückzukommen, den Senator Paul Usteri im Dezember 1798 bei der Gründung des Nationalarchivs vortrug. Er meinte, in ein Archiv gehören «Dokumente der Gerechtigkeit, der Humanität, des Edelmutes, der Treue und des schweizerischen Biedersinns» (1). Dafür reiche «das Erdgeschoss im rechten Flügel des Regierungsgebäudes in Aarau», wie auch ein Gutachten an das Direktorium der Helvetischen Republik festhielt, was - angesichts der Anforderungen an den Inhalt – nicht sonderlich überraschen dürfte.

Und die zweite Möglichkeit besteht im «chinesischen Ansatz», dass nämlich eigentlich alles, was irgendwo von einem Bundesangestellten geschrieben gesagt oder angedeutet wurde, vollständig protokolliert, mit künstlicher Intelligenz sortiert, augenblicklich geprüft und vollständig abgelegt wird.

Beide Varianten sind in der Schweiz weder sinnvoll noch mehrheitsfähig. Ich bin überzeugt, dass wir mit den Mitteln der Digitalisierung einen pragmatischen Mittelweg suchen und bestimmen müssen, der den Zielen des Archivierungsgesetzes entspricht, aber gleichzeitig keinen administrativen Moloch aufbaut. Und das ist eine der Herausforderungen, die noch etwas Kopfarbeit bedürfen. Im Übrigen bietet die Digitalisierung auch enorme Chancen, um die in unseren Archiven versteckten Schätze einer grösseren Öffentlichkeit noch besser zugänglich zu machen; das Bundesarchiv und andere Archive in der Schweiz haben dies in den letzten Jahren eindrücklich bewiesen. Auch in diesem Bereich liegt bestimmt noch einiges drin.

Schluss

Meine Damen und Herren, Sie haben zu Beginn dieses Jahres alle miterlebt, was passieren kann, wenn einer mit genügend Macht die Vergangenheit verkehrt herum erzählt, um damit einen Krieg zu beginnen. Wenn einer die Geschichtsbücher umschreiben lässt, Memorial verbietet, die freie Presse verbietet und schliesslich unwidersprochen behaupten darf, die Ukrainer seien eigentlich Russen, der Westen schuld am Krieg und der Krieg sei gar keiner, sondern eine spezielle Militäroperation. Bei allen Fehlern, die Boris Jelzin hatte und machte: Die heutige Führung hätte den Molotov-Ribbentropp Pakt wohl kaum aufgelegt.

Archive haben eine subversive Autorität, weil sie immer wieder Quellen an die Oberfläche befördern und verhindern, dass einer einfach etwas erzählen kann, nur weil er über genügend FSB, GRU und OMON Truppen verfügt. Sie sind wichtig. In der Schweiz und anderswo. Sorgen wir dafür, dass sie ihre Aufgaben auch in Zukunft erfüllen können.

(1) Nachzulesen in der Geschichte des Bundesarchivs von Walter MEYRAT, Das Schweizerische Bundesarchiv von 1789 bis zur Gegenwart. Maschinell vervielfältigte «Festgabe für die Vereinigung Schweizerischer Archivare anlässlich ihrer Jahresversammlung in Bern,13./14. Oktober 1972».
https://www.bar.admin.ch/dam/bar/de/dokumente/publikationen/Das-schweizerische-Bundesarchiv-Walter-Meyrat-1972.pdf.download.pdf/Das-schweizerische-Bundesarchiv-Walter-Meyrat-1972.pdf


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