Von-Wattenwyl-Gespräche vom 2. September 2022

Bern, 02.09.2022 - An den Von-Wattenwyl-Gesprächen am Freitag, 2. September 2022, sind die Spitzen der Bundesratsparteien – wie einmal pro Jahr üblich – mit dem Bundesrat in corpore zusammengekommen. Besprochen wurden insbesondere Fragen in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, die Versorgungssicherheit, die Entwicklung der Inflation und der Kaufkraft, die Finanzplanung für die Jahre 2024–2026, die Corona-Situation vor den Herbst- und Wintermonaten und die Europapolitik.

Der Bundesrat zog eine erste Bilanz über die Situation nach mehr als sechs Monaten Krieg in der Ukraine und über die globalen Folgen und Auswirkungen auf Europa und die Schweiz:
Besprochen wurde in dem Zusammenhang die Migrationsbewegung aus der Ukraine und deren Auswirkungen auf die Schweiz. Insgesamt halten sich gemäss UNHCR 6,7 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in den westeuropäischen Ländern auf. Davon haben inzwischen rund 4 Millionen in den EU- und EFTA-Staaten ein Gesuch für temporären Schutz gestellt. Das Staatssekretariat für Migration hat bisher rund 62 000 Personen den Schutzstatus S gewährt. Knapp 2400 Personen haben inzwischen auf den Schutzstatus S verzichtet und die Schweiz selbständig verlassen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat das SEM beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen Fragen im Zusammenhang mit der Rückkehr zu klären. Obwohl ungewiss ist, wie lange der Krieg noch andauert, soll damit die Grundlage für eine rasche Rückkehr im Falle einer Verbesserung der Sicherheitslage geschaffen werden. Der Bundesrat wird bis spätestens im nächsten Frühjahr über die Aufhebung oder Verlängerung des Schutzstatus S entscheiden.

Ukraine
Die europäische Sicherheitsarchitektur befindet sich durch die militärische Aggression Russlands in einem tiefgreifenden Wandel. Multilaterale Organisationen spielen weiterhin eine wichtige Rolle in der Krisenbewältigung, werden aber gleichzeitig durch die Beeinträchtigung von Dialog und Kooperation herausgefordert. Als Brückenbauerin setzt sich die Schweiz weiterhin für einen effektiven Multilateralismus ein und bietet ihre Guten Dienste an.

Die Schweiz unterstützt die Ukraine und angrenzende Länder mit humanitärer Hilfe und nimmt geflüchtete Personen auf. Mit der Ukraine-Konferenz für den Wiederaufbau in Lugano (Ukraine Recovery Conference 2022) haben die Ukraine, die Schweiz und die internationalen Partner am 4./5. Juli gemeinsam den politischen Wiederaufbau-Prozess lanciert. An der Konferenz waren erstmals seit Beginn des Kriegs sämtliche relevanten Partner versammelt. Dabei wurden Grundsätze für den Wiederaufbau in der Ukraine beschlossen.

Versorgungssicherheit
Der Bundesrat ist mit den Kantonen, Städten und Gemeinden, ElCom und Swissgrid sowie der Wirtschaft und zahlreichen weiteren Akteuren daran, die Versorgungssicherheit im Strom- und Gasbereich der Schweiz laufend zu stärken. Zu den wichtigen Massnahmen gehören eine Wasserkraftreserve oder das Einrichten von Reserverkraftwerken. Der Bundesrat hat die Gasbranche beauftragt, ergänzend zu den ordentlichen Gaslieferungen für den kommenden Winter zusätzliches Gas zu beschaffen. Die Branche hat dieses Ziel inzwischen bereits erreicht. Der Bundesrat hat für das Winterhalbjahr ein freiwilliges Sparziel von 15% für Gas beschlossen, wie es auch andere EU-Länder kennen, ausserdem hat er soeben eine landesweite Sparkampagne lanciert.

Beim Erdgas werden Massnahmen vorbereitet, um bei einer sich verschärfenden Situation kurzfristig agieren zu können. Das Bewirtschaftungskonzept für eine Gasmangellage ging diese Woche bei Kantonen, Verbänden und weiteren interessierten Kreisen in eine dreiwöchige Konsultation. Die Versorgung mit Strom ist gegenwärtig sichergestellt. Bei den Mineralölprodukten führen logistische Engpässe auf dem Rhein und bei ausländischen Bahnen zu Nachschubproblemen. Eine zweite Pflichtlagerunterschreitung stellt die Versorgung der Schweiz sicher. Bundesrat und Parteien haben die Massnahmen, die für eine Verhinderung der Mangellage bereits getroffen worden sind, diskutiert. Sie haben sich auch über allfällige weiterführende Massnahmen ausgetauscht, um eine Mangellage zu verhindern.

Inflation und Kaufkraft
Mit dem Krieg in der Ukraine sind die Energiepreise international stark angestiegen. Dies hat dazu beigetragen, dass die Inflation auch in der Schweiz auf ein höheres Niveau als in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Im Juli lag sie bei 3,4 Prozent, das sind rund 5 Prozentpunkte unter dem Wert im Euroraum. Die höhere Inflation reduziert die Kaufkraft derzeit auch in der Schweiz. Alles in allem ist die Entwicklung jedoch nicht besorgniserregend: Seit dem Jahr 2000 ist die Kaufkraft der Löhne um 15 Prozent gestiegen, auch aufgrund der tiefen und teils negativen Inflation. Zudem ist im laufenden Jahr wieder eine stärkere Lohndynamik zu erwarten. Parteien und Bundesrat haben den Einfluss dieser Situation auf die Wirtschaft und die Haushalte diskutiert. Eine Arbeitsgruppe des Bundes analysiert laufend die weiteren Entwicklungen und evaluiert mögliche Massnahmen zur Abfederung der gestiegenen Preise, sofern solche nötig werden sollten.

Finanzplanung 2024–2026
Der Bundesrat hat mit den Parteispitzen über die schwierigen finanziellen Aussichten des Bundeshaushalts diskutiert. Ohne Gegenmassnahmen drohen ab 2024 strukturelle Defizite in Milliardenhöhe. Allerdings steht das Parlament im Moment noch vor richtungsweisenden Entscheiden, die milliardenhohe Unterschiede in den Finanzplänen machen können. Der Bundesrat unterstrich, dass das Parlament die Budgethoheit hat und die finanzpolitische Verantwortung für den gesamten Bundeshaushalt mitträgt.

Corona
Thema der Gespräche war auch die aktuelle Lage der Covid-19-Pandemie. Nach zahlreichen Infektionen über die Sommermonate mit Höhepunkt Anfang Juli ist die Immunität in der Bevölkerung im Moment hoch. Ab Herbst muss aber erneut mit Ansteckungswellen gerechnet werden. Der Schwerpunkt bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie liegt weiterhin darauf, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Gemäss aktueller Einschätzung kann die Bewältigung im Rahmen der ordentlichen Strukturen erfolgen. Ein adaptierter Impfstoff sollte im Herbst zur Verfügung stehen.

Europa
Der Bundesrat informierte zudem über den Stand der Sondierungsgespräche mit der Europäischen Union. Basis dieser Gespräche sind die vom Bundesrat am 23. Februar 2022 verabschiedeten Stossrichtungen eines Verhandlungspakets mit der EU. In den Sondierungen soll eruiert werden, ob eine ausreichende gemeinsame Basis für die Aufnahme von Verhandlungen besteht. Der Bundesrat hat zu Kenntnis genommen, dass der Paketvorschlag der Schweiz bei der EU insgesamt auf Interesse stösst. Zugleich bleiben erhebliche Differenzen bestehen. Dementsprechend hat er anlässlich seiner Klausursitzung am 17. Juni beschlossen, die Gespräche zu intensivieren.


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