1. August-Ansprache: «Dank verlässlichen Institutionen und einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung haben wir unser Land dorthin gebracht, wo wir heute stehen.»

Bern, 01.08.2022 - Ansprache von Bundesrätin Viola Amherd, Chefin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) anlässlich des Nationalfeiertags in Winterthur, Montag, 1. August 2022.

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident
Sehr geehrter Herr Präsident der Bundesfeierkommission
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der weltlichen und kirchlichen Behörden
Liebe Winterthurerinnen und Winterthurer
Liebe Gäste

Ich freue mich sehr, die diesjährige Bundesfeier mit Ihnen verbringen zu dürfen.

Der heutige 1. August ist ein besonderer, denn er fällt für fast alle von uns in eine Zeit, in der sich vieles, manchmal zu vieles gleichzeitig bewegt und uns zum Nachdenken zwingt.

Das fordert uns, tut aber auch gut.

Ich muss nicht ausholen: Auf dem europäischen Kontinent beherrscht ein Krieg die Tagesordnung.

Er betrifft auch jene, die sich nicht vor dem Raketen- und Bombenhagel in Kellern verstecken und in ständiger Angst leben müssen.

Sie und ich, wir alle sind betroffen und das Thema beschäftigt uns. Dasselbe gilt für die Pandemie. Es sieht aber leider danach aus, dass uns beide noch eine Weile unliebsam begleiten werden.

Lä’wer glich nit lugg!

Der Winterthurer Stadtrat hat den Ukraine-Krieg gleich in den ersten Tagen verurteilt, zum Frieden aufgerufen und mit einer Spende an die Glückskette erste Zeichen der Solidarität gesetzt.

Manche mögen solche Aktionen als naiv bezeichnen und ihre Wirkung belächeln, aber als ehemalige Stadtpräsidentin weiss ich um deren Bedeutung.

Als Mitglied der Landesregierung muss ich einen breiteren Horizont im Auge behalten:

Die jetzt sichtbar gewordenen Verwerfungen haben früher begonnen, die Welt ist schon seit geraumer Zeit eine härtere und konfrontativere.

Es gibt immer mehr autokratisch regierte Staaten, deren Führer sich eines demokratischen Mäntelchens bedienen, um ungeniert eigene Interessen zu verfolgen, und ihrer Bevölkerung weismachen, dass sie zu deren Wohl handeln.

Einige möchten in Anlehnung an vermeintlich «heroische Zeiten» ihre «alte Grösse» zurückholen und nutzen die sozialen Medien, um weit über ihre Grenzen hinaus Zwietracht zu säen, auch bei uns.

Die Bundesfeier ist – in der Sprache des Sports – eine Steilvorlage für einen Konter: Die Grösse unserer kleinen Schweiz geht auf die Verpflichtung der Talgemeinschaften Uri, Schwyz und Unterwalden, sich «bei Gewalt oder Unrecht von aussen gegenseitig zu helfen», und auf den modernen Bundesstaat von 1848 zurück.

Verlässliche staatliche Institutionen und eine freiheitliche Wirtschaftsordnung bildeten den Rahmen, in dem wir unser Land dorthin gebracht haben, wo wir heute stehen.

Nit vergäbe werden wir um unseren Wohlstand und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt benieden!

Wir müssen uns aber bewusst sein, dass das alles nicht in Stein gemeisselt ist, denn antidemokratische Tendenzen gibt es heute auch mitten in Europa.

Der amerikanischen Historikerin Anne Applebaum zufolge hat in unseren westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren ein «Kulturkrieg» zu einer Spaltung zwischen liberalen Werten und Patriotismus geführt.

«Indem die Ukrainerinnen und Ukrainer Demokratie und liberale Werte auf patriotische Weise verteidigt haben, hätten sie aber gezeigt, dass man beides tun kann.» Das habe, so Applebaum, im Westen keiner von uns getan.

Es besteht also Nachholbedarf. So können wir die Stelle des Bundesbriefs von 1291, wonach «fremde Richter nicht geduldet, bestehende Herrschaftsverhältnisse aber unangetastet bleiben» sollen, neu interpretieren:

→    Dulden wir nirgends fremde Richter, die freiheitsliebende Völker und mit ihnen unsere liberalen Werte frontal attackieren.

→    Betrachten wir unsere direkte Demokratie, in der das Volk das letzte Wort hat, als «bestehende Herrschaftsverhältnisse», und appellieren wir mit John F. Kennedy an unseren Patriotismus: «Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.»

Werden wir auch dann noch um unser Land benieden – tant mieux!

Solidarität gehört schon länger zur DNA Ihrer Stadt:

Julie Bikle engagierte sich im 1. Weltkrieg für Vermisste und Kriegsopfer aller Kriegsparteien und später für die Platzierung von 12'000 deutschen Kindern. Sie bezog sich dabei auch auf ihre demokratischen Überzeugungen und ihre Vision einer gerechten und Gegensätze versöhnenden Gesellschaft.

Die Politik wiederum hat dafür gesorgt, dass beispielsweise der Generalstreik von 1918 weniger heftig ausfiel als anderswo und die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, bei der ein Drittel Ihrer Bevölkerung die Arbeit verlor, mit Notstandsbeschäftigungen ohne soziale Konflikte überbrückt werden konnte.

Ihnen, liebe Winterthurerinnen und Winterthurer, muss ich Ihren Beitrag zu einer prosperierenden Schweiz nicht erklären.

Sobald ich mehr Zeit habe, möchte ich aber gerne wissen, welche «Schlitzohren» hinter Handwerkern, die Uhren und Öfen herstellten, High-Tech Pionieren wie Sulzer oder der Schweizerischen Maschinen- und Lokomotivfabrik, oder dem Handelshaus Volkart gesteckt haben.

Das ist keine freche Bemerkung, sondern ein Versprechen des House of Winterthur, mit dem die Stadt als eine der ersten schweizweit Standortpromotion, Wirtschaftsförderung und Tourismusmarketing betreibt.

Ich bin also gespannt, denn von gewieften Schlitzohren kann ich durchaus etwas lernen.

Imponiert hat mir, dass Sie parallel zur industriellen Entwicklung viel in die Ausbildung junger Berufsleute investiert und damit den Weg für die Berufsbildung made in Switzerland bereitet haben.

Wenn ich sehe, dass das Ausbildungszentrum und die Mechatronikschule zusammen pro Jahr etwa 250 Lehrlinge ausbilden, ist für mich als Politikerin die Prophezeiung, dass Handwerk auch in Zukunft goldenen Boden haben wird, kein besonderes Wagnis.

Als ehemalige Stadtpräsidentin bin ich beeindruckt, wie stark sich Winterthur für die Freiwilligenarbeit engagiert, und zwar in der Überzeugung, dass sie auch einem selbst Kraft gibt und letztlich die Stadt für Sie alle lebenswerter macht.

Diesbezüglich ist mit der «offenen Jugendarbeit» bereits die nächste Generation am Werk:

Zu Beginn der Pandemie hat sie das Schlagwort «Krise als Chance» beim Schopf gepackt und innovative Ideen umgesetzt.

Sie hat Jugendliche und Kinder in der für sie schwierigen Zeit nicht nur mit unterschiedlichsten Angeboten unterstützt, sondern die Jugendjob-Börse genutzt, um für ältere Menschen Einkäufe zu tätigen und so eine generationenübergreifende Solidarität an den Tag gelegt.

Auch der FC Winterthur hat die Zeichen der Zeit früh erkannt und im März 2020 folgenden Slogan geprägt: «Der Fussball steht still. Der FCW nicht: Fans helfen denen, die im Banne des Corona-Virus Hilfe brauchen. Wir für Winti. Zusammen für alle.» Das hat mich als Sportministerin besonders gefreut.

Ist es folglich nur «ausgleichende Wahrscheinlichkeit», wie Ihr «Beni National» sagte, oder eher «ausgleichende Gerechtigkeit», wenn es jetzt der lange als «unaufsteigbar» geltende FCW nach 37 Jahren wieder in die Super League geschafft hat?

Dort wird er wohl auf den FC Sitten treffen, vielleicht werde ich mir diesen Termin rot anstreichen.

Dafür brauche ich aber noch etwas Nachhilfeunterricht: Ich kann nachvollziehen, was eine «Bierkurve» und eine damit einhergehende «dritte Halbzeit» ist – die kennen wir bekanntlich auch –, aber beim «Salon Erika» oder bei der «Sirupkurve» bin ich mit meinem Walliser-Latein – und damit auch mit meiner Ansprache – am Ende.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


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