Verschärfte Geschlechterungleichheiten während der Pandemie: Studie und Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen EKF

Bern, 23.05.2022 - Der Höhepunkt der Covid-19-Pandemie ist vorbei, im April wurde die «besondere Lage» aufgehoben. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen, auch aus Geschlechterperspektive. Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF hat die Einschränkungen und Unterstützungsmassnahmen des Bundes einer Geschlechteranalyse unterzogen und Empfehlungen formuliert.

Bereits zu Beginn der Pandemie zeigte sich, dass Frauen und Männer unterschiedlich von der Krise betroffen waren. Berufsfelder mit hohen Frauenanteilen wie Pflege oder Kinderbetreuung wurden über Nacht als systemrelevant erkannt. Schulschliessungen und Home-Office forderten etablierte familiäre Care-Arrangements heraus. In dieser Situation gab die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF beim Büro BASS
eine Gender-Impact-Analyse in Auftrag. Gefragt wurde, wie sich Schutzmassnahmen und Bundeshilfen auf die Erwerbs- und Familienarbeit auswirkten. Welche Effekte hatte die Pandemie auf Beschäftigung, Einkommen und familiäre Arbeitsteilung? Haben Frauen und Männer gleichermassen von den Bundeshilfen profitiert? Antworten liegen jetzt mit der Studie «Genderspezifische Effekte der staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus Covid-19» vor. Ziel ist es, Lehren und Empfehlungen für künftige Krisen abzuleiten.

Die Massnahmen verstärkten geschlechterspezifische Schieflagen
Untersucht wurde einerseits die Wirkung einschränkender Massnahmen wie Kita- und Schulschliessungen oder Home-Office-Pflicht auf Männer und Frauen. Wie für andere Länder gilt auch für die Schweiz: Die Schliessung von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen verstärkte die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Frauen übernahmen mehr Kinderbetreuung und reduzierten ihre Erwerbstätigkeit. Zudem verschärfte die
Home-Office-Pflicht zum Teil Vereinbarkeitskonflikte, insbesondere wenn die Rahmenbedingungen nicht geregelt waren und gleichzeitig Kinder betreut werden mussten.

Frauen in Kleinstpensen, Haushalte mit tiefen Einkommen und Beschäftigte in Privathaushalten sind die Verliererinnen der Pandemie
Dank der guten wirtschaftlichen Lage und weil der Bund umgehend Finanzhilfen beschloss, konnten in der Schweiz viele Stellen erhalten werden. Dennoch ging die Beschäftigung in einigen Branchen stark zurück. Das Gastgewerbe war von diesem Rückgang besonders betroffen. Am stärksten zurückgegangen ist das Arbeitsvolu­men bei Frauen mit Arbeitspensen unter 50 Prozent. Den Finanzhilfen ist zudem zu verdanken, dass das generelle Lohnniveau nicht sank. Trotzdem zeigen vertiefte Analysen, dass sich die Lage am unteren Ende der Einkommen zuspitzte. Vor allem Haushalte mit tiefen Einkommen und damit überdurchschnittlich viele Frauen verdienten weniger. Die Untersuchung der staatlichen Geldflüsse zeigt auch, dass weniger Hilfen in Form von Kurzarbeitsentschädigung und finanziellen Hilfen an Betriebe in die Branche der «sonstigen Dienstleistungen» flossen als erwartet. Dazu gehören persönliche Dienstleistungen wie Coiffeur- und Kosmetiksalons mit einem hohen Frauenanteil an den Beschäftigten. Für Selbständige stand Covid-Erwerbsersatz zur Verfügung. Doch es ist zu vermuten, dass Solo-Selbständige mit Teilzeitpensum das festgesetzte Mindesteinkommen nicht immer erreichten und ihnen dann der Zugang zu den Hilfen verwehrt blieb. Prekär war die Covid-19-Krise aber vorab für Erwerbstätige, die von den Covid-Hilfen ganz ausgeschlossen waren. Dies traf speziell auf Beschäftigte in privaten Haushalten zu. Fast 90 Prozent davon sind Frauen, oft mit sehr tiefen Einkommen und unsicherem Aufenthaltsstatus. Sie wurden nicht unterstützt, sondern einfach an die Arbeitslosenversicherung verwiesen, obwohl sie in der Pandemie zu den besonders vulnerablen Gruppen gehörten.

Entscheidende Daten fehlen
Einmal mehr hat man es beim Pandemiemanagement verpasst, von Beginn weg geschlechtersegregierte Daten zu erheben. Bei der Kurzarbeit beispielsweise, mit 13 Milliarden bis 2021 die wichtigste Unterstützungsmassnahme des Bundes, wissen wir heute nicht genau, wie viele Frauen bzw. Männer Gelder erhalten haben. Dies erschwert nicht nur die Analyse, sondern auch das Ableiten von Lessons learnt und geschlechterspezifischen Massnahmen für künftige Krisen.

Gleichstellung macht die Gesellschaft resilient
Dass die Pandemie-Massnahmen Geschlechterungleichheiten verschärft haben, lag zu einem wesentlichen Teil daran, dass sie auf bereits bestehende Schieflagen trafen. Jetzt ist die Zeit, das Geschlechterverhältnis in eine gute Balance zu bringen. Dazu sollen die Empfehlungen der EKF beitragen. Denn je gleichberechtigter eine Gesellschaft ist, desto resilienter ist sie auch gegenüber Krisen.

Die EKF sieht neben den spezifischen Forderungen auch ganz grundsätzlich den Bund in der Pflicht, die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben, gleichstellungspolitische Expertise bei Krisen von Beginn weg einzubeziehen und Daten geschlechtersegregiert zu erheben und
auszuwerten.

Erkenntnisse und   Empfehlungen auf einen Blick

1 Kita und Schulschliessungen beeinträchtigen die Erwerbsintegration von Müttern
Familien- und schulergänzende Kinderbetreuung sowie deren Finanzierung durch die öffentliche Hand ausbauen und den Betrieb in Krisen aufrechterhalten

2 Home-Office-Pflicht kann Vereinbarkeitskonflikte verstärken
Rahmenbedingungen für Home-Office definieren und Care-Arbeit egalitär verteilen

3 Entwicklung der Beschäftigung: Teilzeitbeschäftigte besonders betroffen
Erwerbsintegration von Frauen stärken und Anrecht für Eltern auf eine Pensenreduktion nach der Geburt eines Kindes mit Rückkehrrecht auf das ursprüngliche Pensum einführen

4 Entwicklung der Einkommen: Tieflohnbeziehende besonders betroffen
a) Nachqualifizierung von Frauen gezielt fördern
b) Tieflohnarbeit aufwerten und im Krisenfall besseren Lohnschutz gewähren
 
5 Zugang zu Unterstützungsmassnahmen: Persönliche Dienstleistungen untervertreten 
Bedürfnisse von Kleinunternehmen in frauentypischen Branchen berücksichtigen

6 Lücken im Auffangnetz: Beschäftigte in privaten Haushalten 
Spezifische Unterstützung für Beschäftigte in privaten Haushalten anbieten

7 Wirkung der Kurzarbeitsentschädigungen: Entscheidende Daten fehlen
Geschlechterspezifische Daten erheben und auswerten

8 Geschlechterungleichheiten haben sich in der Pandemie verstärkt
Kriseninterventionsmassnahmen geschlechtergerecht gestalten

9 Massnahmen treffen auf bereits bestehende Schieflagen
Mit mehr Gleichstellung die Resilienz von Wirtschaft und Gesellschaft stärken 
  
Studie
Heidi Stutz, Severin Bischof und Lena Liechti: Genderspezifische Effekte der staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus Covid-19, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS, XXI,107 S., Bern, Mai 2022.

Empfehlungen
Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF: Empfehlungen zur Studie «Genderspezifische Effekte der staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus Covid-19», Mai 2022.

Beides verfügbar unter www.frauenkommission.ch


Adresse für Rückfragen

Yvonne Schärli, Präsidentin der Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF
Tel. +41 79 371 85 94
yvonne.schaerli@bluewin.ch

Severin Bischof, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien, BASS
Tel. +41 31 380 60 85
severin.bischof@buerobass.ch

Bettina Fredrich, Geschäftsleiterin Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF
Tel.+41 58 483 99 40 / +41 79 283 48 74
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Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF
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